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Den ganzen Tag über Kreisten Helikopter - am Abend dann konnten die Geiselnehmer von Paris überwältigt werden.

© dpa

Geiselnahmen in Paris: Mit aller Gewalt

Drei Islamisten bei Befreiungsaktionengetötet, mehrere Geiseln sterben 88 000 Polizisten und Sicherheitskräftein Frankreich im EinsatzBundespräsident Gauck:„Wir lassen uns durch Hass nicht spalten“

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Berlin - Zwei Tage nach dem tödlichen Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ ist es in Frankreich am Freitag zu einer neuen Eskalation gekommen. Die beiden Brüder, die für das Massaker in der Zeitschrift verantwortlich sein sollen, wurden am späten Nachmittag östlich von Paris bei einem Einsatz der Gendarmerie-Eliteeinheit GIGN in Dammartin-en-Goële getötet. Dort hatten sich die beiden Islamisten mit einer Geisel in einer Druckerei verschanzt. Die Geisel konnte unverletzt befreit werden. An der Druckerei waren Schüsse und mehrere Explosionen zu hören. Über dem Ort waren Rauchwolken zu sehen. Landesweit waren knapp 90 000 Polizisten und Sicherheitskräfte im Einsatz.

Auch ein weiterer Geiselnehmer, der im Osten von Paris an der Porte de Vincennes fünf Menschen in einem jüdischen Supermarkt festgehalten hatte, wurde bei einer Polizeiaktion getötet. Bei der Geiselnahme wurden mindestens vier Menschen getötet.

Zuvor war der Mann schwer bewaffnet in den Supermarkt gestürmt. Bei dem Täter handelte es sich um einen Mann namens Amédy Coulibaly. Nach Angaben aus Ermittlerkreisen stand er in enger Verbindung zu den Brüdern Said und Chérif Kouachi, denen das Massaker in der Redaktion von „Charlie Hebdo“ zur Last gelegt wird. Wie der jüngere der beiden Brüder saß er bereits wegen islamistischer Aktionen im Gefängnis. Ermittler vermuteten, dass er auch für eine Schießerei in Montrouge vom Donnerstag verantwortlich war, bei der eine Polizistin starb.

Unterdessen mehrten sich Hinweise, dass die Verbindungen der Brüder zum Terrornetzwerk Al Qaida doch enger waren als zunächst gedacht. Offenbar reiste der ältere der beiden 2011 in den Jemen, wo er nach einem Bericht der „New York Times“ mehrere Monate lang im Umgang mit Kleinwaffen ausgebildet wurde. Dem Bericht zufolge waren sowohl die amerikanischen als auch die französischen Behörden darüber im Bilde. Nach US-Angaben stehen die beiden seit Jahren auf einer Liste von Terrorverdächtigen, die nicht in die USA einreisen dürfen.

Nach den Angaben der „New York Times“ fungierte seinerzeit der Islamist Anwar al Awlaki im Jemen als Mentor für zahlreiche junge Muslime aus dem Westen. Auch Said Kouachi habe seinerzeit al Awlaki getroffen, der später bei einem US-Drohnenangriff getötet wurde. Laut „New York Times“ rief al Awlaki mehrfach dazu auf, Karikaturisten zu töten, die aus seiner Sicht den Propheten Mohammed beleidigten. Der Islamist Coulibaly wiederum, der in einem jüdischen Supermarkt Geiseln genommen hatte, sagte vor seinem Tod BFM-TV, er gehöre zur DschihadistenGruppe „Islamischer Staat“ (IS) und habe sich mit den „Charlie-Hebdo“-Attentätern abgestimmt. Angesichts der Geiselnahme an den beiden Orten berief Staatschef François Hollande erneut eine Krisensitzung im Elysée-Palast ein. Zuvor hatte Hollande bei einer Pressekonferenz im Innenministerium erklärt, dass jetzt alles zum Schutz der Franzosen getan werden müsse. „Wir wussten, dass jederzeit etwas geschehen konnte“, sagte der Staatschef und wies darauf hin, dass in den vergangenen Monaten mehrere Attentatspläne durchkreuzt worden seien. „Wir sind in einem Krieg gegen den Terrorismus“, sagte Regierungschef Manuel Valls. Das ursprünglich für den kommenden Sonntag geplante Treffen von Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Straßburg wurde verschoben. Statt dessen kündigten Merkel, der britische Regierungschef David Cameron und der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi ihre Teilnahme an einer am Sonntag geplanten Solidaritätskundgebung in Paris an.

Hollande rief bei der Pressekonferenz im Innenministerium die Bevölkerung zur Besonnenheit auf und forderte, sämtlichen „Stigmatisierungen“ einzelner Bevölkerungsgruppen eine Absage zu erteilen. Zuvor hatte es am Donnerstag Brandanschläge vor Moscheen in der Nähe von Lyon und in Le Mans im Nordwesten Frankreichs gegeben.

Der französische Schriftsteller Michel Houellebecq verließ vorübergehend Paris. Der Sender „Canal+“ verzichtete darauf, ein für Freitagabend vorgesehenes Gespräch mit dem Schriftsteller auszustrahlen. Der Sender begründete die Programmänderung mit den laufenden Geiselnahmen. Zuvor war ein provokanter Roman Houellebecqs erschienen, der von der fiktiven Machtübernahme des Präsidentschaftskandidaten einer muslimischen Partei handelt.

In Deutschland riefen Vertreter von Politik und Religionsgemeinschaften zur Verteidigung der demokratischen Grundwerte auf. „Unsere Demokratie ist stärker als der Terror“, sagte Bundespräsident Joachim Gauck. „Wir lassen uns durch Hass nicht spalten.“ Christen, Juden und Muslime verurteilten indes den Anschlag in einem gemeinsamen Manifest. SPD-Chef Sigmar Gabriel sprach sich für eine Solidaritätskundgebung aller gesellschaftlicher Gruppen aus. Der Bundestag will am kommenden Donnerstag der Opfer gedenken.

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