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Etwas HELLA: Mit der Tram nach Utopia

Man kann sich im Leben auf nicht allzu vieles verlassen. Auf die Preisanhebungen bei Bus-, Tram- und Bahntickets zum Jahresbeginn schon.

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Man kann sich im Leben auf nicht allzu vieles verlassen. Auf die Preisanhebungen bei Bus-, Tram- und Bahntickets zum Jahresbeginn schon. Ich frage mich, wie lange das so weitergehen kann. Bis Taxifahren billiger wird als die Öffentlichen? Das wird natürlich nicht passieren, egal ob der Benzinpreis in den Keller fällt und sogar die Strompreise nachgeben. Die Taxi-Innung zieht natürlich nach. Wo sind sie hin, die Träume von Utopia oder zumindest einer Stadt, in der die öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos benutzt werden dürfen und man deshalb das Auto ganz einfach am Stadtrand stehen lässt?

Anderswo haben das Kommunen versucht. Leider ist ihnen inzwischen meist die Luft beziehungsweise das Geld ausgegangen. Die amerikanischen Städte Seattle und Portland haben ihren kostenlosen öffentlichen Nahverkehr nach immerhin 40 Jahren eingestellt, die belgische Stadt Hasselt hielt 17 Jahre durch, in den brandenburgischen Städten Templin und Lübben war Teilversuchen nur sehr kurzer Erfolg beschieden und bei der estnischen Stadt Tallin bleibt abzuwarten, wie lange sie durchhält. Jens Wieseke vom Fahrgastverband Igeb nennt „günstigere und einfache Tarife“ die bessere Alternative zum völlig kostenlosen Nahverkehr. Und da die Berliner und der ganze Verkehrsverbund drumherum samt Potsdam helle sind, halten sie sich genau daran.

Oder sollte ich da etwas verwechselt haben? Gerade sind die neuen Fahrpreise für den Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg publik gemacht und die üblichen zehn Cent oben draufgelegt worden. Potsdam aber, das sich mit seinem gut ausgebauten Nahverkehr brüstet und auf sinkende Landeszuweisungen hindeutet, verlangt gleicht 20 Cent mehr. Denn, so sagt sich der Verkehrsbetrieb in Potsdam, wer sich über den erhöhten Fahrpreis ärgert, hat nicht mehr genug Kraft, seinen Unmut über Baustellen und Verkehrsbehinderungen zu äußern. Dabei wurde noch nicht einmal angefangen, die Tramlinie im Norden zum Plattner-Campus hin zu verlängern und das Leipziger Dreieck, dessen Umbau garantiert ein Millionengrab wird, auch noch nicht angefasst. Dass es steigende Fahrgastzahlen in Straßenbahnen und Bussen gibt, erhöhe nicht etwa die Einnahmen, sondern nur die Abnutzung der Verkehrsmittel. Außerdem sind angeblich viel zu viele Autofahrer wegen der günstigen Sonderangebote und der vielen Parkplätzen am Stadtrand auf die Öffentlichen umgestiegen und füllen Busse und Bahnen bis zum letzten Stehplatz. Da muss man einfach beim Fahrpreis kräftiger zulangen, damit das nicht überhandnimmt. Oder liege ich da schon wieder falsch?

Ich persönlich entlaste natürlich auch den Verkehrsbetrieb und fahre so lange weiter Fahrrad, bis ich im Rollstuhl sitze. Dann lease ich mir ein Luxusmodell, das ich auch im Straßenverkehr benutzen kann, und das – wenn das mit den Fahrpreiserhöhungen so weiter geht – wahrscheinlich billiger wird als die Jahreskarte für Potsdam AB.

Unsere Autorin ist langjährige Redakteurin und jetzt freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Potsdam

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