zum Hauptinhalt
Im Rückenschwimmen am aussichtsreichsten. Yannick Lebherz vom Potsdamer SV startet bei Olympia in London auf mindestens zwei Stecken.

© dapd

Sport: Mit des Vaters Genen

Yannick Lebherz vom Potsdamer Schwimmverein startet bei den Olympischen Spielen in London. Dort hofft er auf neue Bestzeiten und den Finaleinzug über 400 Meter Lagen und über 200 Meter Rücken

Stand:

Ist er genetisch vorbelastet? Yannick Lebherz denkt kurz nach und sagt dann: „Das kann schon sein.“ Das Schwimmen liege seiner Familie sozusagen im Blut, meint der Schwimmer des Potsdamer SV im OSC, der sich Ende Juli und Anfang August bei den Olympischen Spielen in London mit der Weltspitze über 400 Meter Lagen und 200 Meter Rücken messen wird. Sein Vater Thomas, jetzt als Schwimm- Landestrainer Württembergs in Stuttgart tätig, war in jungen Jahren selbst ein ausgezeichneter bundesdeutscher Rückenspezialist, der sich für die Olympischen Spiele 1980 in Moskau qualifiziert hatte. „Dann aber verhinderte der Boykott der Spiele seinen Start bei Olympia, und nun freut er sich, dass sein Sohn diese Chance bekommt. Er ist, denke ich, schon ein bisschen stolz auf mich“, erzählt Yannick Lebherz, der noch vier jüngere Geschwister hat. „Die waren oder sind auch alle Schwimmer. Zwar nicht auf dem Level wie ich, aber der siebenjährige Luca, mein jüngster Bruder, war mit sechs schon schneller als ich in dem Alter. Seine Technik sieht schon gut aus – er hat auch was von unserem Vater geerbt.“

Yannick Lebherz schwimmt seit seinem dritten Lebensjahr. „Da mein Vater damals als Trainer beim DSW Darmstadt arbeitete, bin ich praktisch im Wasser groß geworden“, so der jetzt 23-Jährige. Schon mit zwölf Jahren stellte er seinen ersten Deutschen Altersklassen-Rekord über 400 Meter Lagen auf; jene 5:09,85 Minuten aus dem Jahr 2001 sind noch immer aktuelle nationale Bestmarke. Insgesamt 28 deutsche Altersklassenrekorde und 20 deutsche Jahrgangs-Meistertitel heimste Lebherz im Nachwuchs für den DSW seiner Geburtsstadt Darmstadt ein, ehe er sich in Potsdam zur nationalen und internationalen Größe bei den Erwachsenen entwickelte. Er wurde 2010 über 200 Meter Rücken und 400 Meter Lagen jeweils Deutscher Meister auf der Lang- und der Kurzbahn, schwamm im gleichen Jahr auf beiden Strecken in Budapest in die Finals der Europameisterschaften, holte bei den Kurzbahn-EM 2010 in Eindhoven Gold auf der Rücken- und Silber auf der Lagen-Strecke, verteidigte im vergangenen Jahr auf der 50-Meter-Bahn beide deutsche Meistertitel, schraubte dabei den nationalen Lagen-Rekord auf 4:14,02 Minuten und startete Ende Juli bei den Weltmeisterschaften in Shanghai, wo er mit verknackstem rechten Fuß die Finals seiner beiden Parade-Strecken verpasste. Bei den Deutschen Meisterschaften 2012 buchte er im Lagenschwimmen zugleich mit dem Titel das London-Ticket, und auch Platz zwei über 200 Meter Rücken hinter dem Frankfurter Jan-Philip Glania, der mit 1:55,87 Minuten Deutschen Rekord schwamm, reichte zur Olympia-Qualifikation. Ob er in London auch in der Viermal-200-Meter-Freistil-Staffel eingesetzt wird, ist noch offen. „Es heißt, dass wir uns alle bereithalten sollen“, sagt er.

Auf der Rücken-Strecke sieht Yannick Lebherz derzeit seine größere Chance, sich in den Endlauf zu schwimmen. „Das wäre super“, sagt er. „In der Weltrangliste stehe ich hier derzeit auf Platz neun, und bis auf die ersten drei ist die Konkurrenz nicht so weit weg. Außerdem habe ich mit Glania noch einen Deutschen vor mir – und ich will wieder der schnellste Deutsche in diesem Jahr werden.“ Um dazu in London seine derzeitige persönliche Bestzeit von 1:56,84 Minuten deutlich zu verbessern, flog Lebherz am Sonntag mit seinem Heimtrainer Jörg Hoffmann noch einmal in ein zweiwöchiges Höhen-Trainingslager in der spanischen Sierra Nevada. „Jetzt stehen jeden dritten Tag hochintensive Belastungen und dazwischen zwei Tage lockereres Training an“, erklärt der Schwimmer. „Außerdem heißt es Höhenluft atmen und den Effekt auf sich wirken lassen.“ In dünnerer Luft bildet das Blut mehr rote Blutkörperchen, die den Sauerstoff transportieren – eine erlaubte und in vielen Sportarten gängige Form der Leistungsunterstützung.

Bei Jörg Hoffmann trainiert Yannick Lebherz, der im März dieses Jahres offiziell vom DSW Darmstadt zum Potsdamer SV wechselte, seit Ende 2009. „Ich finde es wichtig, dass ein Trainer seine Sportart auch selbst als Athlet erlebt hat und dadurch weiß, was es heißt, sich jahrelang zu quälen“, sagt Lebherz. Im Herbst 2008 kam er während einer Reise zum Weltcup nach Singapur zufällig mit Hoffmann ins Gespräch und erfuhr, wie sich der Doppel-Weltmeister von 1991 auf den längsten Freistilstrecken, Olympiadritte von 1992 und vierfache Europameister jeweils über 1500 Meter Kraul einst selbst schindete. „Dann habe ich in einigen Höhentrainingslagern mit ihm gearbeitet und gespürt: Das passt. So hart wie Hoffi muss ein Trainer auch sein, denn wenn viel verlangt wird, wird man besser, als wenn man Lob für jede Kleinigkeit bekommt.“ An sich selbst habe er im Laufe seiner Zeit im Luftschiffhafen beobachtet, „dass ich, wenn ich im Training eigentlich an meiner Grenze angekommen bin, nicht lockerlasse, sondern weiter arbeite“, so Lebherz. „Das ist eine Fähigkeit, die man im Spitzensport für Spitzenleistungen braucht.“ Und es gehöre auch eine ordentliche Portion Willensstärke dazu, in der jetzigen Ferienzeit, wenn die heimische Schwimmhalle leer ist, mit vollem Einsatz seine Übungsbahnen zu ziehen. „Aber ich weiß ja, wozu ich mich quäle“, erklärt Lebherz, der sich inzwischen in Potsdam sehr wohl fühlt. Er verfolgt auch gern live die Spiele der Turbine-Fußballerinnen und Babelsberger Kicker, der SC-Volleyballerinnen und VfL-Handballer und will selbst bis Olympia 2016 in Rio de Janeiro für Potsdam schwimmen.

Jetzt steht aber erst einmal London vor der Tür, wohin der Potsdamer direkt aus Spanien fliegen wird. Im dortigen Aquatics Centre wird er gleich am ersten Wettkampftag, dem 28. Juli, die 400 Meter Lagen schwimmen. „Hier hat er geringere Chancen als auf der Rückenstrecke, weil er im Brustschwimmen noch deutliche Reserven hat. Da reicht sein Niveau national für Spitzenleistungen, international noch nicht“, erklärt Jörg Hoffmann, und sein Schützling sieht es ebenso. „Ich war zwar schon immer vielseitig, aber Brust ist und bleibt wohl meine schwächste Teildisziplin“, sagt Yannick Lebherz. „Ich bin an meinem ersten Wettkampftag noch nie langsam gewesen, aber ein Finaleinzug wäre diesmal ein Riesenerfolg für mich. Dafür müsste ich schon im Vorlauf alles geben – und ich will dabei zumindest meinen eigenen Deutschen Rekord verbessern.“

Um dies nicht zu gefährden, lässt der Schwimmer die Eröffnungsfeier tags zuvor im Olympiastadion aus. „Hoffi hat mir erzählt, dass er 1992 bei der Eröffnung acht Stunden rumstehen musste – das kann ich mir einfach nicht erlauben“, erklärt Yannick Lebherz, der auch nicht bis zum Schluss der Spiele in London bleiben will. Bald nach seinen Wettkämpfen zieht es ihn zurück nach Hause – wo er seinem Vater sicher viel zu erzählen haben dürfte.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })