Landeshauptstadt: Mit einem Schinken ins Jenseits?
Das 5000 Jahre alte Doppelgrab in der Kleinen Fischerstraße zieht Passanten an und gibt Anlass zu Spekulationen
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Das 5000 Jahre alte Doppelgrab in der Kleinen Fischerstraße zieht Passanten an und gibt Anlass zu Spekulationen Von Karsten Sawalski „Das ist schon spannend“, sagen alle, die am Dienstagvormittag bei Regen und Kälte die Kleine Fischerstraße besuchen. Passanten, Fernseh-Teams und Archäologen stehen dort am Rand einer zwei Meter tiefen Grube und schauen auf die Überreste von zwei Personen, die hier vor etwa 5000 Jahren bestattet wurden. Die Skelette liegen sich in Hockstellung so gegenüber, dass die Knie des einen fast den Kopf des anderen berühren. „Das ist ein Fund von landesweiter Bedeutung“, sagt Thomas Kersting vom Archäologischen Landesmuseum, „in Brandenburg haben wir nicht allzu viele Ausgrabungen in diesem gutem Zustand“. Die Gestalten sind klein und wirken grazil. Es könne sich um die Bestattung zweier Frauen handeln. Der Diplom-Historiker Jonas Beran, der zusammen mit Harald Reuße von der Archäologie-Manufaktur Wustermark den sensationellen Fund gemacht hat, will sich aber noch nicht festlegen. Erst eine Untersuchung im Labor des Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege in Wünsdorf wird eine wissenschaftlich fundierte Auskunft darüber geben können, wie alt die Bestatteten wirklich sind und welchem Geschlecht sie angehören. Da sind die Passanten mit eigenen Deutungen weniger zurückhaltend. „Dit is “n oller Äjypter, der sich verlof“n hat“, sagt einer und die Atmosphäre am archäologischen Ausgrabungsort schwingt für einen Moment von der andächtigen Faszination in Heiterkeit um. „Was ist mit dem Gold?“, fragt ein anderer Passant, der seinen Hund an der Leine hält, damit der nicht an die wertvollen Knochen geht. Die lustigen Zwischenrufe bilden aber die Ausnahme. Die Vorbeikommenden sind ehrlich interessiert an dem archäologischen Fund, erkundigen sich nach dem Alter der Bestatteten und vermuten im Bereich der Heilig-Geist-Straße noch weitere Gräber. Diese Vermutungen sind berechtigt, denn in Verbindung mit der Ausgrabung in der Heilig-Geist-Straße, bei der man nur noch eine Leichenverfärbung im Erdreich fand, vermuten auch die Fachleute, „dass hier einmal ein jungsteinzeitlicher Friedhof gewesen ist“, so Reuße. Weitere Grabungen wird es aber erstmal nicht geben. „Normalerweise bleiben die Funde im Boden, wo sie geschützt sind“, sagt die Stadtarchäologin Gundula Christel, „denn auch eine Ausgrabung ist eine Zerstörung des Fundes, wenn auch kontrolliert“. Aber im Falle des Doppelgrabes lagen Teile des Skelettes so, dass sie geborgen werden müssen, weil sie sich im Verlauf der zu verlegenden Fernwärmeleitung befinden. Somit besteht eine rechtliche Grundlage für die Ausgrabung. „Hätten wir nur einen Schädel entdeckt, dann wäre der dort verblieben“, erklärt Christel, die das Entgegenkommen des Bauherren lobend erwähnt. Denn nur drei Meter vom archäologischen Fundort entfernt ruht eine große Baggerschaufel der Energie und Wasser Potsdam GmbH (EWP). „Durch die Ausgrabung haben wir etwa zwei Wochen verloren“, sagt ein Mitarbeiter der EWP geduldig, „aber zum Glück hält das Wetter noch“. In der Grube ist nur Platz für den Prähistoriker. Mit Löffel, Spachtel und Pinsel arbeitet er emsig und sehr vorsichtig an etwas, das neben dem einem Schädel hervorlugt. „Ein Knochen kann es nicht sein“, vermutet Beran, weil es zu weit vom Fuß des anderen Skelettes entfernt liegt. Die Ausgräber haben sich vorgenommen, den Fund noch heute zu bergen. Dazu müssen sie das Erdreich unter den beiden Körpern entfernen, die Skelette bandagieren und, indem Bretter darunter geschoben werden, den Fund in zwei oder drei Teilen bergen. Bei der anschließenden Laboruntersuchung sei die viel zitierte C-14-Methode nicht unbedingt von Vorteil, erklärt die Stadtarchäologin: „Die Keramik verrät manchmal mehr“, so Christel. Am Kopf der einen Leiche liegt nämlich ein Gefäß, dass Reuße vorläufig und vorsichtig der Trichterbecher- oder Schnurkeramikkultur zuweist. Die Ausrichtung der Bestatteten gibt viel Raum zur Spekulation. „Die Ausrichtung spielt eine große Rolle „, sagt Beran, „bei anderen Doppelgräbern lagen Männer zeitweise immer rechts. Vielleicht handelt es sich um einen Jungen?“. Der Prähistoriker meint zu erkennen, dass es sich um noch junge Leute handele, wahrscheinlich unter 30 Jahre, weil ihre Zähne noch nicht sehr stark abgekaut sind. Ob sie beide an einer Krankheit gestorben sind? Die gemeinsame Bestattung lässt das vermuten. Dann legt Beran doch noch einen Knochen frei – einen Schweineknochen. Hat man dem Toten einen Schinken mit ins Jenseits gegeben?
Karsten Sawalski
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