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Homepage: Mit Kinski am Küchentisch

Lena Smolonogina synchronisiert deutsche Filme: Vor fünf Jahren studierte die Russin an der Universität Potsdam

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So viel Platz! An die ersten Eindrücke aus Potsdam erinnert sich Lena Smolonogina gut: Ihr Zimmer im Wohnheim in der Kaiser-Friedrich-Straße war größer als die Einraumwohnung, in sie vorher ihr Leben verbracht hatte – zusammen mit ihrer jüngeren Schwester und den Eltern. Zwanzig Jahre alt war die Germanistik-Studentin, als sie 2002 aus der Fünfmillionenstadt St. Petersburg für ein Jahr ins vergleichsweise beschauliche Potsdam kam. „Ich war zum ersten Mal allein.“ Die Umstellung habe ihr gut getan, sagt sie.

Heute, fünf Jahre später, hat die ehemalige Germanistik-Studentin eine Doktorarbeit geschrieben und verteidigt. Die 25-Jährige wohnt wieder in der Plattenbauwohnung in einem Außenbezirk der Newa-Metropole – ohne Eltern. Die haben vor anderthalb Jahren eine Neubauwohnung bezogen. Sie leben mit mehreren Tausend Menschen in einem „Wohnkomplex“, wie sie in Russlands zweitgrößter Stadt nur so aus dem Boden schießen. Die Dimension dieser Wohnburgen beeindruckt allerdings nur Touristen.

Die trifft Lena Smolonogina bei der gelegentlichen Arbeit als Stadtführerin. Denn vom Doktortitel und dem Seminar an der Pädagogischen Alexander-Herzen-Universität kann sie nicht leben. Deshalb erklärt sie ausländischen Besuchern die Bilder im Kunstmuseum „Eremitage“, gibt Deutsch-Nachhilfe und dolmetscht – zum Beispiel bei der Eröffnung der Bosch-Siemens-Kühlschrankfabrik in diesem Jahr. Seit einem Jahr übersetzt sie deutsche Filme für den „Fünften Kanal“, einen Petersburger Fernsehsender, der sein Programm landesweit ausstrahlt.

Die hohen Jugendstilhäuser in der Tschapygina-Straße leuchten in der Mittagssonne – gegenüber steht das Hauptgebäude des Fernsehsenders, eine lachende Sonne schmückt die Fassade. Die Glasfront mit getönten Scheiben schützt vor neugierigen Blicken. Als das „Telezentr“ mit sechs Studios Anfang der siebziger Jahre eingeweiht wurde, war es das modernste in der damaligen Sowjetunion. In den 1990er Jahren wurden die Angestellten dann zu Hunderten entlassen. In dem plötzlich leergezogenen Haus seien die Katzen durch die Gänge geschlichen, erinnert sich der Verwalter beim Rundgang. In der riesigen Empfangshalle kommt sich der Besucher klein vor. Nur mit Besucherkarte und gegen Vorlage des Passes wird man weiter vorgelassen. In den langen Korridoren ist es staubig und laut: Das Gebäude wird grundsaniert. Die Entlassungswelle ist überstanden, aber jeder zweite der etwa 1500 Mitarbeiter ist Freiberufler.

So wie Lena Smolonogina. Ins „Telezentr“ kommt sie nur, um sich die Filme abzuholen: Einen Arbeitsplatz hat sie hier nicht. Übersetzt wird zuhause, am Küchentisch. Es sind anspruchsvolle Autorenfilme, die dann im Nachtprogramm laufen, aber auch Krimi-Klassiker wie „Die toten Augen von London“ mit Klaus Kinski – oder eine Tierarzt-Serie. Von der Programmredaktion bekommt die Übersetzerin eine DVD des jeweiligen Films, dazu die Dialogliste mit deutschem Text.

Vor dem Computer übersetzt sie die Dialoge dann „Stück für Stück“: Bei einem 90-Minuten-Film gibt es im Schnitt 30 Seiten Text. Den Film muss sie trotz der Dialogliste anschauen: „Manchmal gibt es Änderungen, da muss ich höllisch aufpassen, dass ich das mitkriege und verstehe“. Ein Problem sind auch Massenszenen, Gedränge auf einem Marktplatz zum Beispiel, wo alle durcheinander reden: „Da schreibe ich dann selber etwas“, verrät die Germanistin.

Den fertigen Text vergleicht sie am Ende mit dem Film – dann passt sie die Satzlänge an und fügt die Pausenlängen ein. Denn die russischen Synchronsprecher sollen später schließlich genau dann sprechen, wenn sich die Lippen der Schauspieler bewegen. Damit das sekundengenau klappt, läuft auf dem Bildschirm eine Uhr, die die Zeit auf die Hundertstelsekunde genau anzeigt.

Etwa 100 Dollar verdient Lena Smolonogina pro Film. Die Übersetzungen macht sie nur sporadisch: „Je nachdem, wie ich Zeit habe.“ Maximal sechs Filme im Monat schafft sie. „Von den meisten Filmen gibt es schon Übersetzungen“, weiß die Akademikerin. Aber die Rechte dafür zu kaufen sei für die Fernsehstation teurer als die Neuübersetzung.

Die Filme sind für Lena Smolonogina ein Schritt auf dem Weg zum Traumjob: „Ich möchte irgendwann Literatur übersetzen“, sagt die 25-Jährige. „Vorher muss ich schlichtere Sachen machen“, schätzt sie die Lage ein. Viele ihrer Kommilitonen sind Fremdsprachensekretärin geworden: Darauf hatte sie aber keine Lust – auch wenn sie so auf ein festes Einkommen verzichten muss. „Ich will mein Leben selbst organisieren“, sagt sie.

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