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Einen Angehörigen zu pflegen, ist eine fordernde Aufgabe.

© mauritius images / Maskot

Mit Mitte 20 die Eltern pflegen: Wie „Young & Caring“ jungen Menschen hilft

Die Potsdamer Austausch-Gruppe will Betroffenen einen Raum bieten, um über eigene Erfahrungen zu reden. Eine Studentin hatte das Angebot ins Leben gerufen

Was tun, wenn die eigenen Eltern plötzlich pflegebedürftig werden, obwohl man selbst gerade noch mit Ausbildung oder Studium beschäftigt ist? Eine schwierige Situation, die für junge Erwachsene sehr überfordernd sein kann: Plötzlich muss man sich um einen nahestehenden Menschen kümmern, obwohl man dem Elternhaus gerade erst entwachsen ist und seinen eigenen Lebensweg gehen möchte

Die Potsdamer Austausch-Gruppe „Young & Caring“ hat sich zum Ziel gesetzt, Betroffenen einen Raum zu bieten, um über eigene Erfahrungen zu reden, Zweifel und Ängste auszusprechen und von schönen und belastenden Seiten der Sorgearbeit zu berichten. „Vielleicht fühlen wir uns schuldig oder überfordert, vielleicht auch dankbar, etwas geben zu können - vielleicht alles auf einmal“, heißt es auf dem Flyer von Young & Caring. Seit Februar gibt es das Angebot Heidehaus nahe der Heidesiedlung an der Großbeerenstraße, es findet immer am dritten Donnerstag im Monat um 16.45 Uhr statt. Der nächste Termin ist am 20. Oktober.

Kaum Angebote für junge Pflegende

Ins Leben gerufen wurde „Young & Caring“ von Manuela Schulz: Die 32-jährige Studentin aus Potsdam war Mitte 20, als ihr eigener Vater plötzlich pflegebedürftig wurde. „Ich hatte das Bedürfnis, mit jemanden darüber zu sprechen, kannte aber nur ganze wenige Personen in meinem Umfeld, die in ähnlichen Situationen waren“, sagt Schulz.

In Potsdam und Berlin fand sie zwar viele Angebote und Selbsthilfegruppen für pflegende Angehörige, doch keine davon richtete sich explizit an junge Menschen oder an Menschen, die keine eingetragenen Pflegepersonen sind. 2021 entstand so die Idee, selbst ein entsprechendes Angebot zum Austausch ins Leben zu rufen.

Manuela Schulz rief Young & Caring ins Leben.
Manuela Schulz rief Young & Caring ins Leben.

© Privat

Für Schulz geht die Sorgearbeit für nahe Angehörige mit ständigen Abwägungsprozessen einher: „Man muss immer wieder Entscheidungen zwischen dem eigenen Lebensweg und dem Lebenskomfort der pflegebedürftigen Person treffen.“ Das kann sehr fordernd sein: Die Menschen, die zu „Young & Caring“ kommen, verbringen wöchentlich zum Teil zehn Stunden und mehr mit ihren Angehörigen - neben Arbeit oder Studium.

Unternimmt man etwas und lässt dafür einen Besuch ausfallen?

Doch in der Gruppe soll es nicht nur um praktische Erfahrungen des Pflegens gehen, sondern vor allem um die vielen emotionalen Prozesse und Belastungen, für die im Alltag häufig kein Raum ist: Welches Verhältnis hat man eigentlich zu seinen Eltern? Was ist man seinen Eltern schuldig und was nicht? Wo grenzt man sich ab? Hat man sich richtig entscheiden? Unternimmt man etwas und lässt dafür einen Besuch ausfallen? Oder nimmt man die zu pflegende Person einfach mit?

„Diese inneren Auseinandersetzungen ziehen Energie und nehmen bewusst oder unbewusst Einfluss auf viele Entscheidungen“, sagt Schulz. Entscheidungen wie: Wo wohnt man? Wie lange ist man im Urlaub? Wählt man sein privates Umfeld danach aus, ob man über die Pflege sprechen kann, oder nicht? „Das Thema ist sehr schambehaftet, viele Menschen fühlen sich damit alleingelassen“, berichtet Schulz. „Manche finden, dass es unsexy ist, im Freundeskreis davon zu erzählen.“

„Manche sagen einfach: Ich kann das nicht leisten.“

Dabei geht es nicht nur um zu pflegende Eltern: „Young & Caring“ ist ebenso offen für Menschen, die zum Beispiel pflegebedürftige oder psychisch kranke Geschwister oder Angehörige haben, die etwa durch einen Unfall oder seit ihrer Geburt eine Behinderung haben. Die Lebenssituationen der Menschen, die zu „Young & Caring“ kommen, sind ganz unterschiedlich: Manche sind bereits seit ihrer Jugend mit dem Thema konfrontiert, manche haben bereits pflegerische Vorerfahrungen, manche leben mit ihren Angehörigen zusammen, manche nicht.

Manche haben sich auch dagegen entschieden, ihre Angehörigen selbst zu pflegen. „Mir war es wichtig, das Angebot für alle offen zu halten, egal, wie jemand sich entschieden hat“, sagt Schulz. „Manche sagen einfach: Ich kann das nicht leisten. Oder: Ich will das nicht leisten. Das gibt unsere Beziehung nicht her.“ Auch hinter dieser Entscheidung stehen Geschichten und Emotionen, für die „Young & Caring“ einen Raum bieten will; vor allem wenn es um Gefühle wie Trauer, Ärger oder Enttäuschung geht, die man gegenüber den zu pflegenden Angehörigen nicht äußern kann oder will.

„Young & Caring“ soll dem Thema privater Pflege nicht nur mehr Aufmerksamkeit verschaffen, sondern auch die öffentliche Wahrnehmung darauf hinterfragen: „Es wird in unserer Gesellschaft meist selbstverständlich hingenommen, dass sehr viel unentgeltliche Sorgearbeit geleistet wird“, sagt Schulz. Ihr sei wichtig, dass dabei das Thema Selbstfürsorge und die Wahrung eigener Grenzen mehr in den Blick genommen werde: „Man wird oft dafür gelobt, dass man sich um andere kümmert, aber man bekommt nie Lob dafür, dass man auch für sich selber sorgt“, so Schulz. Ihr Wunsch ist, dass „Young & Caring“ eine Möglichkeit bietet, diese Selbstfürsorge umzusetzen.

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