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Evangelisches Zentrum für Altersmedizin in Potsdam: Mit Schwesternhaube und Stahlhelm

Vor 70 Jahren wurde das Krankenhaus in der Weinbergstraße, heute Evangelisches Zentrum für Altersmedizin, gegründet. Das Jubiläum wird am morgigen Mittwoch gefeiert

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Wer heute durch die Weinbergstraße geht, nimmt das Evangelische Zentrum für Altersmedizin möglicherweise kaum wahr. Unaufgeregt und fast idyllisch schmiegen sich die kleinen Altbauten an den auslaufenden Weinberg. An die aufregende Gründung vor 70 Jahren erinnert in dem heute modernen Gebäudekomplex nichts mehr. Dabei gibt es viel zu erzählen über das Haus, das mit so viel persönlichem Engagement und Glück entstanden ist. Am morgigen Mittwoch wird an 70 Jahre Evangelisches Krankenhaus mit einem festlichen Empfang erinnert.

Gegründet wurde das Haus in Zeiten größter Not und Notwendigkeit im April 1945. So ganz genau lässt sich kein Datum festlegen. Doch nach der Bombennacht im April war Potsdam zerstört, auch das Städtische Krankenhaus und Sankt Josefs hatten Schaden genommen. Das Haus der Evangelischen Frauenhilfe in der Weinbergstraße indes war unversehrt. Dort waren Schwestern der Frauenhilfe, die aus den Ostgebieten flüchten mussten, untergekommen. Die Idee, aus dem großen Haus, das zu Friedenszeiten als Schulungs- und Erholungsheim der Frauenhilfe genutzt wurde, ein Krankenhaus zu machen, lag einfach nahe. Und als die Russen später einmarschierten und auch in der Nauener Vorstadt Haus für Haus konfiszierten, verschonten sie das neue Krankenhaus.

Schwester Irmgard Gaulke, von Anfang an bis 1956 im Haus, schreibt in ihren Erinnerungen: „Man hängte ein weißes Laken an einen Besenstiel, schrieb ,Hospital’ darauf und machte sofort aus jedem Zimmer ein Patientenzimmer.“ Das Krankenhaus ist geboren. Ein Arzt, selbst Patient mit Schädelbruch, übernimmt dann die Leitung. Medizinisches Material dürfen sich die Schwestern aus einem Lager für Lazarettmaterial im Keller des Neuen Palais besorgen. „Wir setzten Haube ab und Stahlhelm auf und machten uns auf den Weg durch den Park Sanssouci. Es war Tieffliegerbeschuss.“ Die ersten Russen kommen schon von Bornstedt, als die Schwestern mit ihrem voll beladenen Wägelchen zurückkehren. Im Haus ist alles reichlich primitiv, teilweise lagern Patienten auf Strohsäcken. Das Dachgeschoss wird aus Furcht vor Brandbomben gar nicht genutzt.

Doch es spricht sich herum, dass es hier ein Krankenhaus gibt, in dem dann immerhin auch ein weiterer Arzt, ein Augenarzt in Ausbildung, praktiziert. Man behandelt Kriegsverletzte, junge Mütter, gynäkologische Fälle, zivile Verletzte. Nebenan befindet sich die russische Kommandantur, und die Offiziere helfen, auch wenn gegenüber den Russen viel Angst herrscht. Zeitweise bekommt Schwester Irmgard Geleitschutz zur Apotheke und zurück. Eines Tages bringen die Russen sogar ein ganzes lebendiges Schwein mit, das über Nacht im Flur des Krankenhauses eingesperrt wird, bis man am nächsten Tag einen Schlachter auftreiben kann. Auch das „Organisieren“ von Lebensmitteln gehört in den ersten Jahren zu den Aufgaben der Schwestern, die dazu immer wieder mit Fahrrad oder Handwagen losziehen.

Zu den Patienten kommen bald auch immer mehr alte Menschen, die allein in Potsdam zurückgeblieben waren, weil die Kinder im Westen waren. Auch ein beliebter Arzt verschwindet 1948 über Nacht samt Familie in den Westen. Die Personalsituation wird damals immer schwieriger. Und fast wäre nach drei Jahren Schluss gewesen. Das Gesundheitsamt verlangt die Auflösung des Hauses, schreibt Schwester Irmgard. Dann aber einigt man sich: Die Weinbergstraße wird Rekonvaleszenten-Krankenhaus. Das heißt, Patienten werden nach schweren Eingriffen und Operationen aus städtischen Häusern und St. Josefs hierher verlegt und werden dann dort gesund gepflegt.

Im Wesentlichen ist dieses Prinzip bis heute so geblieben. „Wir hatten und haben keinen Operationssaal, wir sind ein Krankenhaus mit Innerer Abteilung“, sagt der heutige Geschäftsführer Michael Kögel. Natürlich sind sie heute noch viel mehr, denn zum Zentrum für Altersmedizin gehört neben dem Krankenhaus für etwa 100 stationäre Patienten eine Tagesklinik mit 20 Plätzen, dazu kommen die Pflege und Tagespflege im Bürgerstift in der Ludwig-Richter-Straße und eine Kurzzeitpflegeeinrichtung in der Gutenbergstraße. Zwölf Ärzte und 150 Mitarbeiter arbeiten im Haus in der Weinbergstraße. Hinter dem Verwaltungsgebäude entsteht bald ein großer Anbau mit fast 30 kleinen Single-Apartments, um Krankenschwestern an die Klinik zu holen.

Seit 2010 ist Christine Eichler Chefärztin, Fachärztin für Innere Medizin mit Schwerpunkt Geriatrie, Kardiologie, Palliativ- und Sportmedizin. Der Schwerpunkt des Hauses liegt auf der Behandlung und Pflege älterer Patienten, seelsorgerische Aspekte waren mit der Zeit immer wichtiger geworden. Weil auch die medizinische Versorgung im DDR-Vergleich überdurchschnittlich war – die Evangelische Kirche Westdeutschland unterstützte das Krankenhaus – schickten auch politische Kader ihre Angehörigen gern in das christliche Haus. Als „Insel im Staat“ wurde dieses, wie viele Institutionen in kirchlicher Trägerschaft, damals empfunden und genannt. Auch wenn es aufgrund seiner geriatrischen Ausrichtung bisweilen als Endstation wahrgenommen wurde. „In die Weinbergstraße gehst du zum Sterben“, habe es oft geheißen, sagt Kögel. „Aber das gehört eben dazu.“

Nach der Wende setzte jedoch auch hier ein Umdenken ein – hin zu einer modernen geriatrischen Behandlung mit Therapeuten, Seelsorgern und Sozialarbeitern. Vor allem der Bereich Therapie und Rehabilitation wurde massiv ausgebaut. Die neue Zielrichtung lautete: Die Menschen gehen nach der Behandlung zurück nach Hause oder in eine Pflegeeinrichtung. Nach 1990 kann das Haus mit Spenden und staatlichen Zuwendungen endlich die Einrichtung modernisieren und auch eine moderne Ölheizung einbauen. 1994/95 wurde dann auch der dringend gebrauchte Neubau, der sich stilistisch vorbildlich mit den beiden Altbauten verbindet, fertig. 1996 schaute sich die damalige Sozialministerin Regine Hildebrandt das Haus an und musste auf vielen Gipsverbänden unterschreiben. Das Objekt in der Weinbergstraße ist an seinen baulichen Kapazitätsgrenzen angelangt, die Tagesklinik ist immer ausgelastet. Im Bürgerstift gibt es Wartelisten. In den kommenden zwei Jahren soll der Grundstein für einen zusätzlichen Neubau in Potsdam gelegt werden, sagt Kögel. Außerdem soll es künftig Wohngemeinschaften für Senioren geben, die vom Zentrum für Altersmedizin betreut werden.

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