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Haltung bewahrt: Ingrid und Manfred Stolpe bei einem Empfang 2004, dem Jahr, in dem bei ihm Krebs diagnostiziert wurde.

© ddp

Von Guido Berg: Mit Sturheit und Disziplin

Noch viel vor – Ingrid und Manfred Stolpe berichten über ihren gemeinsamen Kampf gegen den Krebs

Stand:

Sie waren „fassungslos“. Ingrid und Manfred Stolpe hätten nicht gedacht, das Krebs so ein großes Thema ist. Die Potsdamer Ärztin und der Bundesminister a. D. und langjährige brandenburgische Ministerpräsident sprachen in der Talkshow von Sandra Maischberger offen über ihre Erkrankungen – und erhielten hinterher sehr viel Post. Freilich, „die, die dachten, was müssen die jetzt damit auch noch im Fernsehen auftreten, haben nicht geschrieben“, sagte die 71-Jährige gestern bei der öffentlichen Präsentation einer Broschüre zweier Selbsthilfeorganisationen. Sie, ihr Mann und weitere Krebserkrankte sowie deren Angehörige schildern darin ihren Krankheits- und Heilungsverlauf und berichten von ihrem Umgang mit der Diagnose Krebs.

Gerade der Fall ihres Mannes, erläuterte Ingrid Stolpe, zeige, wie wichtig eine rechtzeitige Voruntersuchung, aber auch eine schnelle Behandlung ist. Sie, die Ärztin, hat ihren Brustkrebs selbst ertastet, doch der erste Nachwende-Ministerpräsident Brandenburgs nahm regelmäßig an Voruntersuchungen teil. 2004 unterzog er sich – laut Broschüre auf Anraten seiner Frau – einer Darmspiegelung, bei der mehrere Polypen gefunden wurden. Nur weil einer davon endoskopisch nicht sofort entfernt werden kann, soll der damalige Bundesverkehrsminister zur Operation wieder kommen. Eine Probe zeigt, dass das Gewebe – noch – nicht bösartig ist. Stolpe zögert die Operation hinaus: „Es war meine Zeit im Verkehrsministerium, da passte das nicht.“ Statt März kommt Stolpe erst im Juni unters Messer - „da war es bereits ein Karzinom“, so Ingrid Stolpe: „Da kann man mal sehen, wie schnell das geht.“ Um seine Position gegenüber der Industrie bei den Verhandlungen über die Maut-Gebühr nicht zu schwächen, schweigt Stolpe zunächst über seine Krankheit. Von der Chemotherapie fallen ihm Hautfetzen von den Fingern, die ihm seine Frau am Morgen entfernt. Stolpe absolviert sein Aktenstudium mit weißen Zwirnhandschuhen – und niemand merkt etwas.

Aber auch dafür steht Stolpes Fall: Niemals aufgeben! Zwei Jahre lang gilt der Krebs als besiegt. Dann werden bei ihm diffuse Lebermetastasen gefunden. Ingrid Stolpe: „Wir haben gedacht, den nächsten Geburtstag können wir vergessen.“ Doch „mit preußischer Disziplin und hinterpommerscher Sturheit“ kämpft der Politiker. Den Autoren der Broschüre, Tino Erstling, lässt Stolpe notieren: „Lebensqualität bedeutet für mich, dass ich die Lasten aushalten kann.“ Ein einziges Mal liegt er „brach“, wie seine Frau sagt: Nach der Operation, bei der ihm Teile seiner Leber entfernt werden. Doch Ingrid Stolpe zitiert Eckart von Hirschhausen: „Die Leber wächst mit ihren Aufgaben – sie wächst nun nach.“ Heute haben Ingrid und Manfred Stolpe den Krebs besiegt. Im Frühjahr erscheint ihre „Doppelbiografie mit einem Schuss Politik“ unter dem Titel „Wir haben noch soviel vor“. „Vielleicht“, kann Ingrid Stolpe heute sagen, „werden wir ja sogar uralt“.

Es bedeutet ihr viel, dass die Stolpes an der Broschüre mitgewirkt haben, sagte Gudrun Thielking-Wagner, Geschäftsführerin der Landesarbeitsgemeinschaft Onkologische Versorgung Brandenburg e. V. (Lago). Das prominente Paar verdeutliche, dass es auch eine Lebensqualität nach der Krebsdiagnose gibt. Dass sie prominent sind, spielt keine Rolle, entgegnet Ingrid Stolpe: „Krebs ist Krebs.“

Auch Günter Vierkötter und Ariane Biok-May wollen, wie die Stolpes, öffentlich machen, dass die Krebsdiagnose nicht das Ende bedeutet. „Wichtig ist, sich nicht ins Kämmerlein zurückzuziehen“, sagt Ariane Biok-May, die im Alter von 41 Jahren mit der Diagnose Non-Hodgin-Lymphom, eine bösartige Erkrankung des Lymphsystems, konfrontiert wurde. Der Betroffene dürfe nicht denken, „jetzt ist alles vorbei“. Die Potsdamerin: „Man muss nach vorn gucken. Das Leben ist schön.“

Günter Vierkötter, dem infolge einer Krebserkrankung die Blase entfernt wurde, liegt viel an einem offenen, unverkrampften Verhältnis mit den Angehörigen. Einmal, es war Frost, rief ihn seine Tochter auf den Balkon, doch er lehnte ab, wegen der Kälte. „Komm“, rief sie, „die Blase kannst du dir nicht mehr verkühlen“. Der Regionalvorsitzende der Darmkrebs-Selbsthilfeorganisation Ilco ist froh, „dass die Kinder so entspannt mit meiner Erkrankung umgehen“.

Die Broschüre „Unser Leben mit Krebs. Betroffene machen Mut“ der Landesarbeitsgemeinschaft Onkologische Versorgung Brandenburg (Lago) und der Deutschen Ilco, der Selbsthilfeorganisation der Darmkrebs-Erkrankten, kann gegen eine Schutzgebühr von fünf Euro unter Telefon (0331) 270 71 72 bestellt oder in der Potsdamer Lago-Geschäftsstelle Gregor-Mendel-Straße 10/11 erworben werden.

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