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Homepage: Mitten im Film sitzen

Filmstudenten der HFF experimentieren mit dem 180-Grad-Film, der die Zuschauer ins Zentrum rückt

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Wohin die „Reise der Imagonauten“ genau geht, kann Philipp Wenning noch nicht sagen. Aber der erste 180-Grad-Panoramafilm, den Studenten der Potsdamer Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ (HFF) gerade drehen, wird eine Reise in die Zukunft. In der werden allerdings ähnliche Probleme gewälzt wie in der Gegenwart. Boy meets girl, beide wissen nicht, wie weit sie sich aufeinander einlassen sollen. Eine Supervisorin überwacht die Begegnung der beiden an einem fiktiven Bildschirm. Dann schiebt sie Daten und Programme hin und her, ganz wie im Science-Fiction-Kino. Der Trailer des gegenwärtig entstehenden Films lässt ahnen, wohin die Reise der Imagonauten gehen soll.

Eine ganze Reihe kurzer experimenteller Filme haben HFF-Studenten nun an der Akademie der Künste in Berlin gezeigt. 180 Grad, das Kino der Zukunft, verspricht der Ankündigungstext. Beim 180-Grad-Film umrundet die Leinwand den Zuschauer, er sitzt mittendrin. Filmstudenten aus allen Bereichen waren an dem Projekt beteiligt. Sie haben neue Kamera- und Wiedergabetechniken untersucht. Die kreisrund um den Zuschauerraum aufgestellten Lautsprecher vermitteln ein 360 Grad umfassendes Hörerlebnis. So soll der Zuschauer am Geschehen unmittelbar beteiligt werden. Einen fertigen Vorführraum gibt es noch nicht, er muss für Filmvorführungen eigens mit großem Aufwand aufgebaut werden.

„Das Bild entspricht der menschlichen Wahrnehmung“, meint Philipp Wenning, der künstlerische Leiter des Experiments. Schließlich umfasse der reale Raum die Person ebenfalls vollständig. Dennoch wirkt es ein wenig ungewohnt, wenn auf der Leinwand in der Halbkreisperspektive plötzlich über eine Raumecke hinweg gleich zwei Zimmerwände vollständig zu sehen sind. Gegenstände, die an sich außerhalb der bewussten Wahrnehmung liegen würden, bekommen eine ungewohnte Wichtigkeit. Beim Schwenk der Kamera gerät das Bild ein wenig ins Trudeln. „Das Zwischendrin bringt einen ganz anderen Erlebnischarakter. Es fordert ein aktives Mitgucken“, findet Wenning.

Zwar seien die gezeigten Filme nicht interaktiv, der Ablauf könne nicht verändert werden. Aber der Zuschauer werde in ganz neuer Weise gefordert. „Nehmen sie beispielsweise einen Detektiv, der im Kaffee sitzt und eine Person sucht. Der Zuschauer wird hinein gesogen in die Spannung und die Angst, die der Protagonist erlebt“, erzählt der Student.

Auch Peter Henning, der das Filmexperiment anleitet, sieht viele Experimentiermöglichkeiten: eine Kamerafahrt in die Höhe, mit einem Kran gefilmt. Da werde einem bei der vollständig umfassenden Leinwand doch ganz flau im Magen. Denkbar sei auch, dass der Zuschauer künftig nicht mehr wie im klassischen Kino im Sessel sitze, sondern einen Raum betrete, stehen bleibe und so Teil der Szenerie werde. Die Technik, die bisher meist in Forschungsinstituten und gelegentlich bei Museums- und Kunstproduktionen in der Öffentlichkeit zu sehen war, könne vielleicht ein neuer Schritt für das Kino sein. Bereits drei Jahre haben Studenten der HFF an dem Projekt geforscht. Eindrucksvoller als die Spielfilmszenen wirkt allerdings ein Dokumentarvideo. In dem heben ansteigende Wassermassen die Häuser einer Wohnsiedlung in die Höhe. Die Flut lässt sie den Fluss hinuntertreiben.

Vielleicht liegen die Möglichkeiten der Rundumprojektion aber auch jenseits der klassischen Filmerzählung. Mareike Franz, Stipendiatin für darstellende Kunst, ist der „Hausgeist“ der Akademie. Die Tänzerin unternimmt Schritte durch das Gebäude, ertastet Wände, bewegt sich suchend und fühlend durch Flure und Säle. Schließlich gelangt sie zu dem filmischen Halbkreis, verschwindet hinter der Leinwand, taucht darauf wieder auf, tanzt weiter durch den gefilmten Raum, den sie gerade real verlassen hat. Bei solchen Begegnungen zwischen darstellender, bildender und Filmkunst liegen weitere Möglichkeiten der neu erforschten Technik.

Das zeigte sich auch bei den Installationen Cornelia Fachingers, die sich ebenfalls im Filmsaal befand. Die Objekte aus Schaumstoff und Rigipsplatten sehen auf den ersten Blick nicht sonderlich spektakulär aus. Es gehe der Künstlerin jedoch nicht um das ästhetische Objekt, sondern um den Prozess des Zerbrechens der Platten, der Positionierung des Objektes im Raum, erläutert Henning. Entscheidend sei die Raumerfahrung bei der Herstellung des Kunstwerkes. Eben diesen Aspekt bringe eine 180-Grad-Projektion viel besser zum Ausdruck als die flache Leinwand.

Ebenfalls zu sehen waren Beispiele des Experiments „Animated Audio Art“, einer Zusammenarbeit der HFF mit dem Medieninnovationszentrum Babelsberg (MIZ). Neue „Formate elektronischen Erzählens an den Schnittstellen von Bild, Ton und Text“ sollen entstehen – visuelle Hörspiele. Mit einem Kopfhörer lauscht man der Stimme eines Erzählers, ganz wie beim klassischen Hörspiel. Auf dem Bildschirm des Laptops erscheinen entweder Fotobilder, die den Text jedoch nicht unmittelbar illustrieren sollen, oder assoziative Filmbilder. Weil Ton und Film auf Smartphones, Notebooks und Tablets allgegenwärtig sind, solle dem auch mit neuen Formen des Erzählens entsprochen werden, erläutert der Akademietext. Wo im Unterschied zum klassischen Film oder Hörspiel nun genau der Mehrwert des Experiments liegt, erschließt sich allerdings nicht unmittelbar, schließlich sind die genannten Medien ja problemlos in der Lage, beliebige Spielfilme wiederzugeben.

Richard Rabensaat

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