
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: „Münchener Verhältnisse will ich auf keinen Fall"
Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs über Wohnungspolitik und das Kulturerbe, den Umgang mit Flüchtlingen und das schwierige Verhältnis der Stadt zu Mäzenen
Stand:
Herr Jakobs, welche Nachricht hat Sie in den vergangenen Tagen bewegt?
Das Massaker, das die Taliban an 130 Schülern in Pakistan verübt haben. Es macht fassungslos und wütend, wenn man sieht, wie die Taliban dort unschuldige Menschen, noch dazu Kinder und Jugendliche, umgebracht haben.
Weltweit haben sich die Krisenherde in diesem Jahr verschärft, die Folge ist ein beispielloser Strom von Flüchtlingen gen Westen. Inzwischen gibt es aber auch eine zunehmende Welle von Protesten. In Dresden treibt die „Pegida“-Bewegung Zehntausende auf die Straße. Macht Ihnen das Angst?
Ja. Ich sehe das mit großer Besorgnis. Ohne das rechtfertigen zu wollen, aber viele Menschen fühlen sich von der Situation einfach überfordert. Das muss ernst genommen werden. Wir tun gut daran, die Aufgaben, die daraus für uns als Kommune resultieren, zu kommunizieren, nur dann kann man auch Verständnis erwarten. Da reicht es nicht aus, nur Bürgerversammlungen durchzuführen, man muss auch die Gesamtzusammenhänge darstellen. Es ist ja auch kein Ende absehbar, die Flüchtlingszahlen werden weiter steigen und diese Menschen werden länger als ein oder zwei Jahre hierbleiben. Wir müssen dafür sorgen, dass die Kinder bei uns in die Kita und in die Schule gehen können und die Erwachsenen auch beruflich integriert werden. Dafür muss es entsprechende Angebote geben.
Wie wollen Sie das schaffen?
Wir brauchen unterschiedliche Integrationsprogramme. Viele der Kinder beispielsweise können kein Deutsch, also muss das an den Schulen unterrichtet werden. Wir brauchen Sprachförderprogramme. Wir brauchen Klassen, in denen die Kinder die deutsche Sprache lernen können, wir brauchen sogenannte Willkommensklassen. Dafür werden Räume und Personal benötigt. Für die Integration ist es wichtig, dass die Flüchtlinge schnell eigene Wohnungen bekommen, möglichst in Häusern, wo sie mit Potsdamern Tür an Tür leben. Das heißt, dass wir bei Neubauvorhaben auch einen Teil der Wohnungen für Flüchtlinge einplanen. Wir sind im Gespräch mit Investoren und ich verspreche mir sehr viel davon. Für all das müssen wir von Bund und Land Unterstützung bekommen. Die 500 Millionen Euro, die der Bund für 2015 und 2016 zugesichert hat, müssen auch bei den Kommunen ankommen. Wichtig ist auch, dass das Geld flexibel eingesetzt werden kann – sowohl für Investitionen als auch für eine bessere Betreuung in Kitas und Schulen. Auch das Land ist dabei gefordert.
Wer entwickelt die entsprechenden Konzepte? In einigen Potsdamer Schulen ist die Situation ja schon jetzt sehr problematisch.
Ich würde mir wünschen, dass das Land und die Kommunen die erforderlichen pädagogischen Konzepte gemeinsam entwickeln. Wir haben bereits erste Überlegungen für Willkommensklassen angestellt und wissen auch, wie das in Kitas mit der Sprachförderung funktioniert. Aber wir müssen Menschen finden, die das auch machen – was schwer genug ist. Die müssen ja auch ausgebildet werden. Das wird die Aufgabe für das nächste Jahr sein.
Das komplette Interview lesen Sie in der WOCHENENDAUSGABE der POTSDAMER NEUESTEN NACHRICHTEN
Die Stimmung in der Stadt wird auch davon abhängen, wie gut das in den Bildungseinrichtungen funktioniert. Viele Eltern machen sich Sorgen, dass ihre Kinder nichts mehr lernen, wenn sich der Unterricht auf die Flüchtlinge konzentriert.
Die Ausländerquote ist in Potsdam sehr niedrig und liegt bei 4,8 Prozent. Ein überproportional hoher Anteil von ausländischen Kindern besucht ein Gymnasium, wie eine neue Erhebung zeigt. Im Vergleich zu deutschen Kindern lernen viel weniger Migrantenkinder in Förderschulen. Das heißt, dass bei einem höheren Anteil von ausländischen Kindern nicht automatisch das Niveau in der Schule sinkt. Im Gegenteil: Was Potsdam angeht, sind sie im Durchschnitt sogar die besseren Schüler. Das beste Mittel sind Erfahrungen vor Ort. Syrische Eltern haben die gleichen oder noch größere Probleme als Potsdamer Eltern. Diese Erfahrungen kann man aber nicht machen, wenn man die Flüchtlinge separiert. Nur über das gemeinsame Lernen und Kennenlernen funktioniert Integration. Dann relativieren sich auch viele Befürchtungen.
Finanziell ist das ebenfalls eine große Herausforderung.
Wir in Potsdam befinden uns in einer relativ privilegierten Situation, denn wir haben einen nahezu ausgeglichenen Haushalt. Bislang haben wir Konsolidierungspolitik betrieben, aber jetzt geht es um mehr. Wir müssen investieren, 160 Millionen für neue Schulen, 50 Millionen in den nächsten fünf Jahren für den Ausbau des Nahverkehrs. Auch das Thema Flüchtlinge gehört dazu. Wir sind in der Lage, diese großen Herausforderungen aus eigener Kraft zu bewältigen. Dazu müssen aber auch die kommunalen Unternehmen einen Beitrag leisten, ebenso wie die Bürger Potsdams – etwa durch die erneute Anhebung der Grundsteuer B. Wir müssen in den nächsten Jahren Überschüsse erwirtschaften, um das alles bezahlen zu können.
Die neuen Abgaben treffen abermals auch die Tourismuswirtschaft. Dabei hatten Sie diese Branche bereits mit der Bettensteuer verprellt. Zuletzt haben praktisch alle großen Wirtschaftsverbände der Stadt wirtschaftspolitisches Versagen vorgeworfen. Zu Recht?
Nein. Mir wäre eine Tourismusabgabe lieber gewesen, denn die hätten alle zahlen müssen, die vom Tourismus profitieren. Aber die Stadtverordneten haben sich für eine Bettensteuer entschieden, die nur die Hotelbranche betrifft. Aber es ist richtig, das Verhältnis zwischen der Stadt und der Tourismuswirtschaft ist angespannt. Keiner ist begeistert, wenn er mehr zahlen muss. Doch Potsdam ist wirtschaftlich gut aufgestellt. Bei der Wirtschaftsförderung bekommen wir gute Noten von den Unternehmen.
Harsche Kritik gab es auch wegen der vier Forschungsfirmen, die das Gründerzentrum Go:in in Golm verlassen müssen, ohne dass ihnen die Stadt vor Ort die versprochenen Ersatzräume verschafft hat. Für Potsdam, das sich so gern mit dem Ruf als Wissenschaftsstadt schmückt, ein Armutszeugnis.
Ich bedauere es außerordentlich, dass es zu dieser Zuspitzung kommen musste, bevor sich an den Förderbedingungen für das Go:in etwas ändert. Ich habe in zahllosen Gesprächen mit dem Land versucht, auf diese Problematik aufmerksam zu machen. Wir sind als Landeshauptstadt überfordert, wenn es darum geht, die vielen erfolgreichen Ausgründungen der Wissenschaftsinstitute in Potsdam zu halten. Beim Go:in sitzen allein drei Ministerien mit am Tisch. Was wir brauchen, sind schlagkräftige Konzepte bezogen auf die jeweiligen Wissenschaftsstandorte in Potsdam.
Mit anderen Worten, die Stadt hat ihre Hausaufgaben gemacht, schuld sind die anderen?
Ich will mich da nicht von jeglicher Verantwortung freisprechen. Aber dass da Kündigungsschreiben verschickt wurden, finde ich unmöglich. Das hätte man auch anders machen können. Wir betreiben ja das Go:in gemeinsam mit dem Landkreis Potsdam-Mittelmark und ich weiß nicht, ob es da nicht gewisse Bewegungen seitens des Landkreises gegeben hat, um die Firmen zum Beispiel nach Teltow oder Stahnsdorf zu locken.
Ein Potsdamer Dauerbrenner sind die Grabenkämpfe um die Stadtsilhouette, vor allem der Streit um die Garnisonkirche. Die Gegner des Wiederaufbaus haben in diesem Jahr mehr als 14 000 Unterschriften gesammelt. Wären Sie angesichts des Gegenwinds nicht besser beraten, das Projekt nicht mehr öffentlich zu unterstützen?
Nein. Aus zwei Gründen nicht. Wir haben erstens eine eindeutige Beschlusslage in der Stadtverordnetenversammlung. Außerdem bin ich selbst der felsenfesten Überzeugung, dass das für Potsdam ein gutes Projekt ist. Aber wir müssen für das Vorhaben werben und deutlich machen, wofür es steht, denn es erklärt sich nicht selber.
Was die Kommunikation angeht, haben die Protagonisten des Wiederaufbaus zuletzt nicht unbedingt glücklich agiert.
Das haben Sie nett ausgedrückt.
Sie selbst sind also auch unzufrieden?
Ja. Viel hat sich zuletzt um Detailfragen der Gestaltung gedreht. Aber die Frage ist ja auch, wie treibt man das viele Geld auf, das nötig ist, um den Bau zu vollenden. Der große Zulauf, den die Gegner des Projekts hatten, der hat mich schon überrascht. Aber damit muss man sich auseinandersetzen.
Das Gespräch führten Sabine Schicketanz und Peer Straube.
ZUR PERSON
DER OSTFRIESE
Jann Jakobs wurde am 22. Dezember 1953 im ostfriesischen Eilsum geboren. Nach der Lehre zum Flugzeugbauer folgten Ausbildung zum Erzieher sowie Studium der Politik-, Rechts- und Sozialwissenschaften. Seit Ende der 1970er-Jahre arbeitete Jakobs als Sozialarbeiter in Berlin-Spandau, wurde später Planungsbeauftragter der Abteilung für Jugend und Sport; seit 1974 ist er SPD-Mitglied.
DER POTSDAMER
Zunächst seit 1993 Jugendamtsleiter, dann 1997 Sozialstadtrat, wurde er 2002 erstmals zum Oberbürgermeister Potsdams gewählt, 2010 ein zweites Mal. Jakobs ist verheiratet und hat vier Kinder.
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