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Von Jan Kixmüller: Nach dem Crash

Eine junge Astronomin hat in unserer Milchstraße die Überreste einer Nachbargalaxie entdeckt

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„I have a stream“, rief die Astrophysikerin Mary Williams unlängst vor Fachpublikum aus. In Anlehnung an Martin Luther Kings berühmten Ausspruch „I Have a Dream“ machte die 33-jährige Wissenschaftlerin des Astrophysikalischen Instituts Potsdam (AIP) so ihrer Euphorie Luft. Und für sie war auch wirklich ein Traum in Erfüllung gegangen. Sie hatte einen Sternstrom (stream) entdeckt, wenn auch einen sehr weit entfernten. Zusammen mit Kollegen vom AIP hat die aus Neuseeland stammende Astronomin den bis dato unbekannten Sternstrom in unserer Milchstraße lokalisieren können. Bei dem „Aquarius-Strom“, der aufgrund seiner Lage nach dem Sternbild Wassermann (lat.: Aquarius) benannt wurde, handelt es sich vermutlich um die Überreste einer kleinen Galaxie aus unserer kosmischen Nachbarschaft. Vor rund 700 Millionen Jahren war sie offensichtlich von der Schwerkraft unserer eigenen Galaxis, der Milchstraße, angezogen und bei der Kollision auseinander gerissen worden.

Der Sternstrom war nicht leicht zu finden. Denn im Gegensatz zu fast allen bekannten Sternströmen befindet er sich innerhalb der galaktischen Scheibe der Milchstraße. Und dort versperrt die hohe Konzentration an Sternen, die in unserer Galaxis herrscht, den Blick. Im Gesamtbild geht der Strom aus Sternen daher unter, eine lokalisierbare, geometrische Form lässt sich zunächst gar nicht erkennen. „Der Strom liegt direkt vor unserer Haustür, und doch konnten wir ihn nicht sehen“, erklärt Mary Williams. Gelungen ist das dann erst durch eine umfangreiche Vermessung der Geschwindigkeiten von 250 000 Sternen. Das gelang mit dem am Australian Astronomical Observatory stationierten Rave Survey, einer Beobachtungsplattform, die einen umfangreiche Analysen mit dem dortigen Teleskop ermöglicht (s. Kasten). Mary Williams ist bereits seit dem Projektstart von Rave Mitglied des Teams, am Potsdamer AIP leitet sie seit 2007 die Datenaufarbeitung. Ihre Ergebnisse wurden nun in der aktuellen Ausgabe der Astrophysical Journal (Issue 728-2, 2011) veröffentlicht.

Der Astronomin war es mit der neuen Beobachtungs-Plattform gelungen, die Radialgeschwindigkeiten, also die Geschwindigkeit eines Himmelskörpers in Richtung seines Beobachters, von 12 000 Sternen in der Region des „Aquarius“ zu messen. Auf diese Weise fand sie heraus, dass sich 15 Sterne in ihrem Geschwindigkeitsmuster von den anderen unterscheiden. Ihr Ergebnis: Diese Sterne schießen mit Geschwindigkeiten von bis zu 15000 Kilometern pro Stunde durch die rotierende Scheibe unserer Milchstraße hindurch. Beim Vergleich dieser Bewegungen mit Simulationen zeigte sich, dass die Sterne als Teil eines größeren Sternstroms ursprünglich von einer Nachbargalaxie stammen mussten.

Nach der Kollision mit unserer Milchstraße hatte die Galaxie aufgrund ihrer Dynamik schließlich einen Sternstrom gebildet. Seine Entstehungsgeschichte unterscheidet „Aquarius“ von anderen Sternströmen. Auch ist der „Wassermann“ ein vergleichsweise sehr junger Strom, andere bekannte Ströme, die sich in den Außenbereichen der Milchstraße befinden, sind mehrere Milliarden Jahre alt.

„Falls der Aquarius-Strom wirklich das ist, was wir glauben, könnte es gut sein, dass es sich um die der Erde nächstgelegene Zwerggalaxie gehandelt hat“, erklärt die Astronomin, die sich seit ihrer Promotion am Mt. Stromlo Observatory in Canberra (Australien) mit Sternströmen beschäftigt. Als sie mit Kollegen Teile der Großen Magellanschen Wolke durchmusterte, hatte sie sich mit der Draufsicht nicht zufrieden gegeben. „Ich habe dann mit den Daten gespielt, um mir diese Sterne genauer anzuschauen.“ Sie ermittelte die Radialgeschwindigkeiten der großen, hellen Riesensterne. In einem anderen Himmelsbereich bemerkte sie dann im Sternbild Wassermann durch Zufall einige Sterne mit ähnlich großen Radialgeschwindigkeiten. „So habe ich den Strom entdeckt“, erinnert sich die Neuseeländerin.

Daraufhin folgte viel Arbeit, um die Entdeckung zu verstehen und um zu beweisen, dass es sich hierbei nicht nur um eine zufällige statistische Schwankung handelt. Das ist Mary Williams schließlich zusammen mit anderen Rave-Wissenschaftlern geglückt. „Jetzt glauben wir, dass diese Sterne zu einer kleineren Galaxie gehören, die von unserer Milchstraße aufgefressen wurde und eine Schweif aus Sternen hinter sich lässt.“

Bis zum kommenden Jahr wollen die Astronomen nun mit der besonderen Methode von Rave die Charakteristika von bis zu einer Million Sterne unserer Milchstraße vermessen. „Mit Rave wollen wir die Entstehungsgeschichte unserer Milchstraße verstehen“ erklärt AIP-Direktor Matthias Steinmetz, der Projektleiter der multinationalen Rave-Kollaboration am AIP ist. „Wir wollen wissen, wie häufig solche Verschmelzungen mit Nachbargalaxien in der Vergangenheit vorgekommen sind, und welche wir in Zukunft zu erwarten haben.“ Eins zumindest wissen die Astronomen schon heute: In rund drei Milliarden Jahren steht unserer Heimat-Galaxis die nächste große Kollision mit der Andromeda-Galaxie bevor. „Wenn ihr nicht sogar eine der in den letzten Jahren entdeckten Zwerggalaxien in nächster kosmischer Nachbarschaft zuvorkommt“, ergänzt AIP-Sprecherin Gabriele Schönherr.

Animationen zum Download:

http://eos.aip.de/arm2arm/RAVE/presse/images/

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