Sport: Nach Olympia ist vor den Paralympics
Zu den 170 deutschen Handicap-Sportlern in Peking gehören auch sechs Brandenburger
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Sie ist schon 49, aber immer noch für sportliche Großtaten gerüstet und freut sich schon auf die kommenden Tage in Peking: Martina Willing, blinde und querschnittsgelähmte Leichtathletin Stahl Brandenburgs, wird bei den Paralympics vom 6. bis 17. September in Chinas Hauptstadt erneut um Medaillen kämpfen. Im „Vogelnest“ genannten Olympia-Stadion, wo kürzlich Christina Obergföll aus Offenburg als Dritte im Speerwerfen die einzige Olympia-Medaille der deutschen Leichtathleten in Peking erkämpft hatte, will nun auch Willing Edelmetall.
Insgesamt 170 Köpfe zählt die deutsche Paralympics-Mannschaft, die an das Ergebnis von Athen 2004 – Platz 8 der Nationenwertung mit 19 Goldmedaillen (Erster China/63 vor Großbritannien/35 und Kanada/28) anknüpfen will. Sechs Aktive – vier Leichtathleten, ein Handbiker, ein Ruderer – plus zwei Begleitläufer für Sehbehinderte kommen dabei aus dem Land Brandenburg, und Martina Willing ist von ihnen die mit der wohl größten Gold-Chance. „Mit dem Speer kann es für mich als Weltrekordlerin natürlich gar kein anderes Ziel geben“, sagt die Brandenburgerin, die außerdem im Kugelstoßen und Diskuswerfen antreten wird. Zu ihren härtesten Kontrahentinnen in diesen drei Wettbewerben wird auch in diesem Jahr die Berliner Rollstuhl-Leichtathletin Marianne Buggenhagen zählen, die bekannteste und erfolgreichste deutsche Behindertensportlerin. Buggenhagen gewann bei ihren bisherigen vier Paralympics 1992, 1996, 2000 und 2004 acht Goldmedaillen. Martina Willing steht ihr mit zehn Medaillen bei bisher fünf Paralympics – 1994 in Lillehammer gewann sie, damals noch nicht querschnittsgelähmt, auch mit der deutschen Ski-Staffel Silber – indes nicht nach.
Jetzt in Peking werden sich die beiden Frauen aus Brandenburg und Berlin mit Kugel, Speer und Diskus erneut einen heißen Kampf liefern. Mit der Kugel ist Buggenhagen Favoritin, mit dem Speer Willing, beim Diskus stehen die Chancen pari-pari – unterschiedliche Behinderungen und die damit verbundene Restbeweglichkeit bringen es mit sich. Um den lange mit den vielen Schadensklassen unübersichtlichen Behindertensport für die Öffentlichkeit nachvollziehbarer und zugänglicher zu machen, hatte das Internationale Paralympische Komitee (IPC) diverse Kategorien zusammen gelegt und mit einem Punktesystem versucht, sie vergleichbar zu machen. Das ist freilich nur zum Teil gelungen.
„Neben Marianne werden in unseren drei Wettbewerben vor allem die Chinesinnen die stärksten Widersacherinnen sein – dort ist enorm investiert worden, um die Spitzenposition noch auszubauen“, erklärt Martina Willing. „Das wird der Rest der Welt noch stärker als bei den Olympics zu spüren bekommen.“ Derzeit bereitet sie sich beim Abschluss-Lehrgang in Kienbaum auf den Jahreshöhepunkt vor. „Ich habe gut trainiert, fühle mich fit und in Form, bin also optimistisch“, sagt sie.
Ihr zur Seite stehen in der Leichtathleten vier Athleten vom LC Cottbus, die allesamt zumindest auf das Treppchen hoffen. Yvonne Sehmisch (Europameisterin 2005) startet in den Fahrdisziplinen, der sehbehinderte Mathias Schmidt (WM- Dritter 2006 mit der 4x100-m-Staffel) im Sprint, Handbiker Stefan Bäumann – Weltmeister 2006 und WM-Dritter 2007 – sowie die erst 19-jährige Frances Herrmann in den Rollstuhl-Wurfdisziplinen. Letztere ist die erste behinderte Athletin an einer Eliteschule des Sports in Brandenburg – und das zahlt sich sichtbar aus. „Sie hat sich in allen drei Wettbewerben deutlich verbessert, und ist noch lange nicht an der Grenze“, lobt Trainer Ralf Paulo seinen Schützling.
Nebst den Leichtathleten ist in Peking auch Ruder-Steuermann Arne Maury von der Potsdamer RG, im Vorjahr Weltmeister im Handicap-Vierer, aussichtsreich am Start. Sie alle wollen mit ihren Leistungen bei den Paralympics bestätigen, was Gesundheitsministerin Ulla Schmidt bei der Verabschiedung der Brandenburger und Berliner Athleten am vergangenen Sonntag im Unfallkrankenhaus Berlin-Marzahn erklärte: „Behinderung und Leistung stehen sich nicht konträr gegenüber. Es hat lange gedauert, bis paralympischer Sport aus dem Schattendasein herausgefunden hat. Doch inzwischen hat es einen Paradigmenwechsel gegeben – weg von der alleinigen Fürsorge, hin zur Teilhabe und zum selbstbestimmten Leben.“ Martina Willing lebt es vor.
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