Der "neue Mann" in Potsdam: „Nackter und käuflicher als früher“
Männer haben noch keine Alternativen zu ihrem klassischen Rollenbild gefunden - Frauen schon: Die Kunsthistorikerin Änne Söll über die Emanzipation der Frauen, die Krise der Männer - und warum am Ende beide Geschlechter nichts verlieren werden.
Stand:
Frau Söll, ihre Tagung trägt den Titel „Der Mann in der Krise“. Helfen Sie mir doch ein wenig weiter, welche Krise ist damit gemeint?
In der Männlichkeitsforschung hat sich herausgestellt, dass die Krise zum Mannsein praktisch dazu gehört. Also keine Männlichkeit ohne Krise. Es handelt sich um eine Art Mechanismus, um mit bestimmten gesellschaftlichen Veränderungen, historischen Einschnitten oder emanzipatorischen Bewegungen zurechtzukommen. Ähnlich wie bei Marx, bei dem sich der Kapitalismus auch immer in der Krise befindet, um sich zu erneuern. Es geht darum, sich für Veränderungen fit zu machen.
Und in welcher Krise stecken wir Männer zurzeit?
Die größte Herausforderung für den Mann ist heute die Emanzipationsbewegung der Frauen, die noch nicht abgeschlossen ist. Hinzu kommt die Globalisierung mit Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Es geht allerdings nicht um eine einmalige Krise, die singulär überwunden wird. Es handelt sich vielmehr um einen Dauerzustand, der fit halten kann. Krise ist in diesem Sinne nie vorbei, die Formen der Männlichkeit müssen immer wieder neu ausgehandelt werden.
Änne Söll ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Künste und Medien der Universität Potsdam. Die promovierte Kunsthistorikerin hat in Frankfurt am Main, in London und den USA Kunstgeschichte studiert. Zusammen mit einem Kollegen aus Trier hat sie die Tagung „Der Mann in der Krise“ organisiert, die derzeit an der Uni Potsdam stattfindet (16. bis 18. Mai). Auf dem Treffen wird das aktuelle Männerbild in der Kunst und in den Medien untersucht und diskutiert. Unter dem Titel „Der Mann in der Krise“ setzen sich Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Deutschland, Polen, Kanada, den USA und der Schweiz Unter anderem geht es um die Frage, ob und wie sich das Männerbild in den letzten Jahren verändert hat.
Klingt anstrengend.
Es hat aber einen positiven Effekt: Der Mann kann immer wieder wie der Phönix aus der Asche aufsteigen.
Ein Beispiel bitte.
Nehmen Sie die Situation nach dem Ersten Weltkrieg. Der Krieg hat wesentlich größere Einschnitte zur Folge gehabt als erwartet. Viele Männer kamen verwundet aus dem Krieg zurück, viele Frauen hatten sich inzwischen typische Männerjobs angeeignet, hinzu kam eine generelle Modernisierung in dieser Zeit. Das alles sind Faktoren, die eine bestimmte Vorstellung von Männlichkeit in die Krise gestürzt haben. Es gab den Held nicht mehr, den Alleinverdiener nicht mehr und auch der Familienvater wurde zunehmend infrage gestellt.
Mit welchen Folgen?
Es fanden große Bemühungen statt, die Männlichkeit neu zu definieren, was schließlich im Faschismus endete. Dadurch wurde diese Krise mehr oder weniger überkompensiert. Es fand eine Art Resouveränisierung statt.
Was kommt auf die Männer durch die Emanzipation der Frauen zu?
Die Herausforderung ist nun, in das heutige Männerbild die „weiblichen“ Anteile zu integrieren und das dann positiv umzuwerten.
Wie meinen Sie das?
Nehmen Sie beispielsweise die reproduktive Arbeit, also Kinderkriegen und -aufziehen. Das wird größtenteils von Frauen geleistet. Diese Form der Arbeit wird weiterhin gesellschaftlich negativ bewertet, während die produktive Arbeit der Arbeitswelt positiv bewertet wird. Nun wollen Frauen Anteile an dieser Arbeitswelt haben, und Männer müssen Teile abgeben. Die Arbeit im Haushalt muss nun also positiv bewertet werden. Das muss ins Männerbild integriert werden, um diese Krise zu überwinden. Das ist natürlich schwierig, weil Abgeben von Macht schwieriger ist, als sie sich anzueignen.
Ist denn der Mann heute femininer?
Nein, auf keinen Fall. Die Frau versucht heute ihr eigenes Bild mit großer Anstrengung zu verändern. Männer hingegen haben dafür noch kein Konzept gefunden. Das könnte man als Krise bezeichnen. Es bedeutet beispielsweise immer noch einen Gesichtsverlust, wenn Männer in Elternzeit gehen.
Ist das traditionelle Männerbild nicht schon längst vom Tisch?
Nein. Das ist für Männer nach wie vor sehr attraktiv. Es wird auch kaum hinterfragt. Es fehlt die Alternative. Auch weil Frauen dieses Bild teilweise reproduzieren, sich etwa in der Berufswelt dem Männerbild annähern. Die Rolle, die gesellschaftlich angeboten wird, wenn Macht ausgeübt wird, ist nach wie vor männlich konnotiert. Daher bleibt das ein erstrebenswertes Modell.
Hat sich nicht im Fall Brüderle eine verschobene, weniger selbstbewusste Reaktion der Männer gezeigt?
Der Rückzug war hier die einzig richtige Haltung. Chauvinismus in welcher Form auch immer sollte gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert werden.
Am Ende erhalten wir einen Mann ohne Eigenschaften?
Ihre Frage deutet doch auf das Fehlen der Alternativen hin. Warum die Angst vor dem Verlust von so etwas wie Männlichkeit. Was verlieren wir denn, wenn es solche Rollenbilder wie im Fall Brüderle nicht mehr gibt? Hier ging es nicht um ein Kompliment, sondern um chauvinistische Anmache. Für beide Geschlechter sollte gelten, dass Machtpositionen nicht dafür ausgenutzt werden, um herabwürdigende Bemerkungen zu machen. Die Debatte war kein Anzeichen von einer Krise des Mannes, sondern sie war, in Bezug auf Sexismus im Alltag, eine längst überfällige Diskussion.
Sie wollen auf der Tagung Kunst und Medien auf das historische und aktuelle Männerbild untersuchen. Was schauen Sie sich dazu an?
Wir werden Bilder der Männlichkeit unter verschiedensten Aspekten betrachten, unter anderem im Zionismus, in der iranischen Kunst, wir werden in der Fotografie und der Mode nachschauen, wir werden das Bild HIV-kranker Männer betrachten oder das von Transvestiten.
Welchen Veränderungen war das Männerbild in der jüngeren Vergangenheit unterworfen?
Die wichtigste offensichtliche Veränderung ist, dass der männliche Körper genauso käuflich geworden ist wie der Frauenkörper. Das wird auch in der Werbung am deutlichsten sichtbar. „Sex sells“ gilt heute auch für Männer. Der heutige Mann ist nackter und käuflicher als früher. Auch weil Frauen mehr Kaufkraft haben.
Die Rede ist auch vom neuen Mann. Gibt es den denn überhaupt?
Das ist eine Vision und ein Konglomerat mit vielen, teilweise widersprüchlichen Anteilen. Hauptsächlich geht es aber um den Umgang mit der Emanzipation der Frauen, die Frage, wie man sich selbst nun umdefiniert in Bezug auf die Arbeitswelt und die Familie. Es wird immer nur von der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen gesprochen. Das brauchen wir nun aber auch für Männer. Hier muss ein Wertewandel stattfinden. Davon sind wir noch weit entfernt.
Und wie geht es weiter?
Die Visionen von Männlichkeit, die in die Zukunft weisen, sind definitiv ambivalent. Es wird derzeit nach einem neuen Bild der Männlichkeit gesucht. Langfristig wird es weiter eine Wellenbewegung zwischen der Restaurierung traditioneller Geschlechterrollen und ihrer Aufweichung geben.
Wer macht in Zukunft wem die Tür auf?
Beide, abwechselnd.
Das Gespräch führte Jan Kixmüller
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: