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Von Kay Grimmer: Neonazi-Musik-Aufklärer

Bundesweite Anti-Rechts-Aktion „Störungsmelder on tour“ machte mit der Band Jennifer Rostock Station in der Montessori-Schule

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„Linke Zecke, entartete Musik, Volksschädlinge.“ Diese Kommentare lasen die Bandmitglieder von Jennifer Rostock („Ich will hier raus“, „Kopf oder Zahl“) zu ihrer Musik. „Das krasse war, dass es ehemalige Schulkameraden waren, die uns und unsere Lieder so bezeichnet hatten“, erzählt Gitarrist Johannes „Joe“ Walter- Müller. Das sei zwar nicht das Schlüsselerlebnis gewesen, um sich offensiv „gegen Rechts“ einzusetzen, „aber eines der persönlich prägendsten Erlebnisse“, so Frontfrau Jennifer Weist.

Die Berliner Band mit den mecklenburgischen Wurzeln – daher auch der Zusatz Rostock – ist am Dienstagvormittag zu Gast in der Potsdamer Montessori- Gesamtschule, um sich mit Schülern über rechte Musik und ihre Erfahrungen mit Rechtsextremismus auszutauschen, im Rahmen der bundesweiten Aktion „Störungsmelder on tour“.

„Wir versuchen, thematisch auf die einzelnen Schulen einzugehen, machen den Lehrern Vorschläge, in welchem Kontext die Rechtsextremismus-Problematik mit den Schülern bearbeitet werden kann“, erklärt Anne Frölich von der Initiative „Gesicht zeigen“, die das Störungsmelder-Projekt auf Tour betreut. „Mit Jennifer Rostock war es naheliegend, vor allem die musikalische Seite zu beleuchten.“ Die Band selbst hatte eine Zusammenarbeit mit dem bundesweiten Projekt angeregt. Nicht zuletzt wegen ihres eigenen Engagements gegen Rechts, das unter dem Signet „Neongrün statt braun“ läuft. Und so beschäftigen sich die rund 30 Montessori-Zehntklässler einen Vormittag lang mit rechten Liedermachern, Rechtsrock und den Bauernfänger-Methoden der rechten Szene.

Dass Musik zumindest meinungsunterstützend sein kann, weiß ein Großteil der Schüler schon vorher. Bei der Frage, weshalb Musik wichtig sei, heben einige der Zehnklässler die Aussage der Songtexte und die politische Haltung in den Liedern hervor – neben den gängigen Antworten Tanzen, Langeweile vertreiben, Gefühle und Gedanken teilen, Erinnerungen nachhängen. Einige der Schüler geben sogar zu, bereits Lieder von rechtsgerichteten Sängern und Bands gehört zu haben. „Aber nur, um zu wissen, wie die versuchen, die Leute einzufangen“, wie ein Zehntklässler sich beeilt, hinzuzufügen. Und auch, wenn Äußerlichkeiten auch täuschen können – der Schüler sieht nicht danach aus, rechtsextrem zu sein. Doch schließlich sei es ein leichtes, betonen einige Schüler darauf, im Internet auf rechte Songs zu stoßen.

Es ist keine Problemschule, die sich die Aktion „Störungsmelder on tour“ in Potsdam ausgesucht hat. „Wir hatten das letzte Mal vor drei Jahren einen Schüler mit rechtsgerichteten Ansichten“, sagt auch die Leiterin der Montessori-Gesamtschule, Christina Reimann. Grundsätzlich würde sie ihre Schülerschaft „eher links“ einordnen. Zur gleichen Einschätzung kommen auch die Organisatoren des Workshops. Die Zehntklässler sind größtenteils interessiert bis engagiert in den drei Arbeitsgruppen, in denen sie einzelne Lieder und Hörbeispiele auseinandernehmen, um den rechten Liedern auf den Grund zu gehen. „Wir arbeiten präventiv“, betont Anne Frölich. Deshalb gehe die Aktion auch nicht in offen rechtsgerichtete Einrichtungen und versuche „Jugendliche umzubiegen“. Natürlich gebe es aber bei den Schulveranstaltungen auch immer wieder Anzeichen auf rechtsgerichtete Tendenzen.

Die Bandmitglieder von Jennifer Rostock wissen, wie schnell bei „normalen“ Veranstaltungen auch rassistische, rechtsextreme Äußerungen fallen können. Und sie erzählen davon: „Bei einem Festival auf einem Dorf standen in der ersten Reihe fast nur rechtsgerichtete Skinheads, die uns bespuckten, anpöbelten und beschimpften“, erinnert sich Jennifer Weist. Und Gitarrist Joe erzählt von einem Festival gegen Rechts in Cottbus: „Es waren kaum Zuschauer auf dem Marktplatz. Und anstatt sich die Anwohner darüber aufregen, dass das Interesse so gering gewesen ist, las man in Leserreaktionen der Lokalpresse, dass die Veranstalter sich nicht wundern müssen, wenn sie zu einem Festival gegen Rechts in dieser Region aufrufen. So etwas würde eben nicht klappen.“ Die Empörung über diese Sicht ist dem am Montag 21 Jahre alt gewordenen Berliner noch heute anzumerken.

Engagement gegen Rechtsextremismus fällt zumindest an diesem Dienstagvormittag in der Potsdamer Montessori-Schule auf fruchtbaren Boden. Sehr zur Freude der Band: „Wir haben uns das ganz schlimm hier vorgestellt, aber es war wirklich super mit euch“, lobt Jennifer Weist das Interesse der Schüler. Die wiederum zeigen sich zufrieden über den „besonderen“ Vormittag. „Erfahrungen mit rechter Musik hatte ich bisher nicht, deshalb war es ganz interessant, die mal kennenzulernen“, sagt einer der Montessori-Schüler abschließend.

www.stoerungsmelder.org

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