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Landeshauptstadt: Neue Gemeinsamkeit

Pfarrer Stephan Flade und seine Frau Annette, Ausländerseelsorgerin, tauschen Potsdam gegen Sumatra

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Wunderbar und frei fühlt sich Stephan Flade. Am 31. Mai um Mitternacht endete seine Amtszeit. In diesen Tagen fliegt er gemeinsam mit seiner Frau Annette auf die indonesische Insel Sumatra – und bleibt für mindestens drei Jahre.

23 Jahre war er Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Babelsberg. Nun heißt es Abschiednehmen. Alles soll in Ruhe übergeben werden wie der Vorsitz im Verein Böhmisches Dorf Nowawes und Neuendorf und sein Posten im Aufsichtsrat des Oberlinhauses.

Stephan Flade 1951 geboren, wuchs in einem Pfarrhaus in Pirna auf. In seiner Jugend sang er im Dresdner Kreuzchor. Dass er Pfarrer wurde, sei der Situation in der DDR zu verdanken. Er schmunzelt. Bei Aufenthalten seines Chores im „nichtsozialistischen Ausland“, wie es damals offiziell hieß, blieben aus seiner Altersstufe sechs Leute in der Schweiz. Die Rückkehrenden bekamen die Folgen zu spüren. De facto hatten sie keine Chance zu studieren. Für einige gab es nur die Möglichkeit des Theologiestudiums. „Sonst hätten wir keine Sonne gesehen.“ Seine Entscheidung für den Beruf des Pfarrers habe er letztendlich bewusst gefällt.

Für ihn habe sich nie die Frage gestellt, im Westen zu bleiben. Wie viele der Kruzianer kehrte er in die DDR zurück. Statt zu gehen, wollten sie das Land von innen verändern. Das war im Frühjahr 68, der Zeit des Prager Frühlings. „Damals lasen wir Schriften des Südafrikanischen Befreiungstheologen Albert Lutuli und des Amerikaners Martin Luther King.“ So wie diese Männer christliche Akzente setzten, wollten es auch die Jugendlichen. Flade verweigerte den Dienst an der Waffe, begann mit dem Theologiestudium und war ab 1969 als Studentenvertreter mit Manfred Stolpe im Gespräch. An der Universität gab es immer wieder Diskussionen und die Berührung mit Standpunkten von Staatsnähe, Staatsferne und Staatssicherheit. Nein, aufgeben wollte er nie. „Für mich war das irgendwie ein sportliches Unternehmen.“ Seit seinem Eintritt in den Kreuzchor im Alter von zehn Jahren stand er unter staatlicher Vollüberwachung. Viele der Chorsänger kamen aus Pfarrersfamilien. Schon zu DDR-Zeiten sei da der „Klassenkampf“ angesagt gewesen. „Entweder du bist da heil rausgekommen oder hast Depressionen gekriegt.“

Sein Christsein sei eng mit seiner Familie verbunden. Sei es Raum, Schutz und Stärke, die er dort gefunden hat und nicht zuletzt unter den politischen Umständen. Christsein habe für ihn allezeit bedeutet, sich von neuem mit seinem Glauben auseinander zusetzen und ihn bestärkt, sich politisch zu engagieren. So meldete er eine Friedensdemonstration zum 1. Mai mit Menschen seiner Gemeinde in Pritzwalk an, wo er zwischen 1976 und 1983 tätig war. Im Babelsberger Pfarrhaus fanden Jugendliche, Punks, Umweltgruppen oder auch Menschen, die keinen Platz in der Öffentlichkeit hatten wie in die BRD Ausreisende, Schwule und Lesben ein Dach überm Kopf. Ebenso suchte er ab 1985 den ökumenischen Kontakt zur katholischen Nachbargemeinde St. Antonius, der bis heute intensiv ist.

Im Herbst 1989 trafen sich viele Menschen regelmäßig in der Friedrichskirche auf dem Weberplatz. Beide Flades gründete das Neue Forum mit. Dann kam die politische Wende. Nicht zuletzt durch seine langjährigen Kontakte und Reisen in den Westen, ahnte er die Folgen. Menschen, die an den Rand gedrängt wurden, wollte er einbinden. Zugezogene hieß er willkommen. Er begann die kulturelle Aufarbeitung des Stadtteiles anzustoßen. Er war Mitbegründer des Förderkreises Böhmisches Dorf Nowawes und Neuendorf e. V., des „Forum Ost–West e. V.“ und des Diakonischen Werkes in Potsdam. Er etablierte Polizei- und Notfallseelsorge oder sorgte dafür, dass sich Kirche auch auf der Buga 2001 präsentierte.

Nicht immer hatte er den geschlossenen Rückhalt seiner Gemeindeglieder. Schwer war es wohl für die Gemeinde, dass der Pfarrer und seine Frau nicht dem klassischen Pfarrerehepaar entsprachen. Beiden war es wichtig, sich jeweils beruflich weiterzuentwickeln. Mitte der 90er Jahre trat die Theologin Annette Flade die neu eingerichtete Stelle als Ausländerseelsorgerin im Evangelischen Kirchenkreis Potsdam an. Eine Aufgabe die sie forderte. Die oft „hoch dramatischen“ Schicksale der Flüchtlinge berührten sie zutiefst. Rund um die Uhr fuhr sie in die Übergangsheime, brachte sich in kirchlichen und politischen Gremien ein, um sich für die Rechte ihrer Schützlinge stark zu machen. Oft sah sich das Paar lediglich in der Nacht. Sie teilten ihr Leben in wenigen Augenblicken, suchten dann gemeinsam Lösungen für Probleme. Die beiden lernten sich während ihres Studiums in Berlin kennen, haben zwei inzwischen erwachsene Töchter und adoptierten 1997 ihren togolesischen Sohn. Nicht immer leicht sei der gemeinsame Alltag gewesen. Doch sie waren sich einander so wichtig, dass sie um ihre Gemeinsamkeiten kämpften. Jetzt beginnt noch mehr Gemeinsamkeit. Stephan Flade ist nun 55, packt seine Koffer mit viel Erfahrung, „hoffentlich wenig Gepäck“ und Lust auf eben dieses Neue.

Ulrike Strube

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