SONNTAGS um zehn: Niemand sollte sein Ich verstecken
Toleranter Gottesdienst zum „Christopher Street Day“ Potsdam
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Es waren mehr Männer als Frauen im Gottesdienst. Aber insgesamt fanden sich am Samstag 35 Teilnehmer in der Friedenskirche Sanssouci ein. Dazwischen kamen auch immer wieder Touristen, die einen Blick in das kostbare Gotteshaus warfen. Einige nahmen auf den hinteren Stühlen Platz. Man spürte, dass sie an der Feier des Gottesdienstes teilnehmen wollten, auch ein Ehepaar. Es stimmte dann sofort in das Lied „Lobet den Herren alle, die ihn ehren“ ein. Aber als der Lektor Dirk Braitschink die Lesben und Schwulen begrüßte, meinte der Ehemann zu seiner Frau: „Komm wir gehen. Mit solchen Leuten will ich nichts zu tun haben.“ Der Mann zog seine Frau demonstrativ aus der Kirche. Vielleicht sind solche Einstellungen zum „Anderssein“, zur Homosexualität in unserem Land leiser geworden, aber verschwunden sind sie leider noch nicht.
Bevor die Veranstaltungen anlässlich des Christopher Street Day (CSD) in Potsdam ihren Lauf nehmen, ist es zu einer kleinen Tradition geworden, dass ein Toleranter Gottesdienst stattfindet. In ihm wollen die Veranstalter Signale an die Zeitgenossen aussenden, dass sich der Mensch nicht in eine Norm pressen lassen sollte, dass jeder das Recht auf seine Individualität habe. „Gott ist die Liebe und die Liebe ist vielfältig“, sagte Dirk Braitschink in seinen Begrüßungsworten. Er erinnerte auch an ein Wort der Berliner Politikerin Hanna Renate Laurien: „Gott hat jedem Menschen die gleiche Würde gegeben.“
Pfarrer Markus Schütte wählte für seine Predigt das Evangelium vom guten Hirten: „Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich.“ Was wäre, wenn wenigstens wir diese Zusage nicht nur hören, sondern vor allem fühlen und leben könnten, fragte der Prediger. „Vielleicht sähe die Welt heute tatsächlich etwas anders aus: mehr Einigkeit zwischen den Kirchen, größere Gerechtigkeit bei der Verteilung der Güter dieser Welt, mehr Toleranz für einander statt Angst vor dem Anderen, vor dem fremden Lebensstil.“
Im Fürbittengebet formulierten dann homosexuelle Gottesdienstteilnehmer ihre Anliegen selbst: Niemand sollte sein Ich verstecken müssen, wegen seiner homosexuellen Orientierung hier verachtet, in vielen Ländern verfolgt werden. Nach dem Gottesdienst begaben sich die CSD- Teilnehmer zu einem Spaziergang durch den Park Sanssouci. Das Ziel: Die Begräbnisstätte Friedrichs des Großen am Weinbergschloss, dem bedeutendsten preußischen König, dem man homosexuelle Neigungen nachsagt. Klaus Büstrin
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