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Von Thomas Lähns: Nochmal „von oben“

Wilhelmshorster Schüler tanzen den Mauerfall – und erhalten dabei professionelle Unterstützung aus New York

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Michendorf - Ein Hauch New Yorker Bühnenluft weht durch Wilhelmshorst. 17 Neuntklässler haben in der Turnhalle der Oberschule Aufstellung genommen und blicken konzentriert nach vorn, sie wollen den Einsatz nicht verpassen. Auf Englisch wird angezählt: „ five, six, seven, eight.“ Die Gruppe gerät in Bewegung: Zwei Schritte vor und zur Seite, während die Arme Figuren zeichnen. Plötzlich lassen sich alle fallen und drehen sich auf dem Hosenboden – aber nicht jeder kommt rechtzeitig wieder auf die Beine. „Okay, von oben“ ruft der Choreograph und klopft sich mit der flachen Hand auf den Kopf. Er meint: „Nochmal von vorne“, aber auf Englisch sagt man: „From the top.“ Die irritierende Übersetzung ist den Tänzern längst geläufig.

„Dancing to connect“, Tanzen um zu verbinden, heißt das gemeinsame Projekt der New Yorker Battery Dance Company und der Heinrich-Böll-Stiftung, mit dem dieser Tage junge Menschen aus fünf Schulen in Brandenburg und Berlin zum Tanzen gebracht werden. Das Thema ist der Mauerfall vor 20 Jahren. Neben den Wilhelmshorstern sind auch Oberschlüler aus Beelitz dabei. Nachdem jede Gruppe eine Woche lang für sich geübt hat, werden am kommenden Dienstag alle in einer gemeinsamen Bühnenshow im Potsdamer Nikolaisaal auftreten. Dabei geht es nicht darum, den Fall der Berliner Mauer tänzerisch nachzustellen, sondern Gefühle auszudrücken. Was hat die Menschen damals bewegt? Und was verbinden die Jugendlichen mit dem Ende eines Staates, den sie selbst nicht erlebt haben und nur aus Berichten der Älteren kennen? Warum war die Freude damals so groß, wenn es doch heute in ostalgischer Verklärung so oft heißt: „Es war ja nicht alles schlecht“?

Tobias, Jan und Steffen sind die einzigen drei Jungs, die bei der Wilhelmshorster Truppe mitmachen. DDR-Geschichte, berichten sie, werden sie erst in einem Jahr im Unterricht behandeln. Die Bilder von Menschenmassen, die in der Nacht zum 10. November 1989 nach 40 Jahren das erste Mal über die innerdeutsche Grenze gehen und sich weinend in die Arme fallen, kennen sie trotzdem. Solche Emotionen gilt es, in Tanzschritte umzusetzen. Die Jugendlichen hatten völlig freie Hand, welche Bewegungen sie einbringen möchten. Zwei New Yorker Choreographen geben Impulse und helfen bei der Umsetzung.

„Von oben!“ – Wieder geht es von vorne los. Wenn Bafana Solomon Matea seine Anweisungen auf Deutsch gibt, wird schon mal verstohlen gekichert – um sich gleich darauf wieder zusammenzunehmen. Der gebürtige Südafrikaner hat die jungen Leute längst für sich eingenommen. Dass er als Tänzer in New York Erfolge feiert, dass er sie humorvoll aber fordernd animiert und professionell mit ihnen arbeitet – all das bringt ihm den Respekt der Jugendlichen ein. Keine Spur vom Teenager-Drill, wie man ihn bei Casting-Sendungen im Fernsehen kennen und verabscheuen gelernt hat. Mateas Fähigkeit sich zu bewegen und neue Schritte sofort aufzugreifen und in fließende Bewegungen umzusetzen ist erstaunlich. Er spricht von „Energie“, die sich im Raum befindet, und die er von der Mitte der Halle aus von einer Gruppe zur anderen schleudert. Sobald er in ihre Richtung blickt, beginnen die Jugendlichen, sich wie elektrisiert zu bewegen . Die einen machen Karateschläge, die anderen stellen ein Pistolen-Duell nach. Sogar Elemente barocker Tänze haben die Neuntklässler in ihr Programm einfließen lassen.

Tänzerin Mayuna Shimizu, die ebenfalls aus New York kommt, zeichnet unterdessen alles mit der Kamera auf, für die anschließende Auswertung. Als sie sieht, dass einer der Jungs falsch steht, eilt sie sofort mit stampfenden Schritten hin und zieht ihn in die richtige Position. Auf den ersten Blick sieht es streng aus – wenn die Japanerin dabei nicht quietschvergnügt grinsen würde. Wie ist sie Tänzerin geworden? „Mein Lehrer an der Schule hatte mein Talent erkannt und mich nach Tokio auf die Tanzschule geschickt“, erzählt sie auf Englisch. Von dort aus kam sie vor elf Jahren an eine New Yorker Ballett-Schule. Heute reist sie mit der Battery Dance Company durch die weite Welt und arbeitet mit Jugendlichen wie diesen hier. Natürlich protestieren die auch mal, wenn die Übungen zu schwierig sind oder sie sich langweilen. Es wird auch gelästert, wenn mal jemand gelobt wird – wie es eben so ist unter Teenagern. Und doch raffen sie sich immer wieder auf, denn ihr Ziel – ein guter Auftritt – können sie nur gemeinsam erreichen. Es gehe auch darum, die Mauer zwischeneinander abzubauen, spielt Shimizu auf das Projektthema an. Erfolge haben sich längst eingestellt – und wenn sich trotzdem mal jemand zofft, wird der Ärger einfach weggetanzt.

Aufführungen am Dienstag um 19 Uhr im Nikolaisaal Potsdam sowie am Donnerstag im Fontane-Haus in Berlin. Karten kosten 12, ermäßigt 6 Euro. Reservierung unter Tel. (0331) 28 888 28.

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