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Scheibchenweise. Täglich haben es die Pathologen im Bergmann-Klinikum mit Gewebeproben von 130 Patienten zu tun – in diesem Fall von Mandeln.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Nur fünf Prozent sind Obduktionen

In der Pathologie des Bergmann-Klinikums werden vor allem Gewebeproben Lebender untersucht

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Auf den ersten Blick scheint alles in Ordnung zu sein: Die dünne, blass-bläuliche Gewebeprobe eines Lymphknotens weist auch unter der Vergrößerung keine Unregelmäßigkeiten auf. Hartmut Lobeck, Chefarzt im Institut für Pathologie des Ernst-von-Bergmann-Klinikums, zoomt noch näher heran; noch immer ist nichts Besonderes zu erkennen. „Sehen Sie diese kleine dunkle Stelle?“, fragt der Pathologe schließlich und zoomt noch mal heran. Tatsächlich: Auf den Hundertstel Millimeter vergrößert entpuppt sich ein winziger Teil des Gewebes als von Krebs befallen, die rote Spezialfarbe hat sich nur an die betroffenen Zellen geheftet, die sonst gar nicht sichtbar gewesen wären. „Hier hat sich also bereits eine kleine Metastase abseits vom Haupttumor gebildet“, so Lobeck.

Bei seinem Vortrag „Pathologie heute – moderne Tumordiagnostik“, den Lobeck im Rahmen der öffentlichen Montagsvorträge des Bergmann-Klinikums hielt, gewährte der erfahrene Pathologe Einblicke in die tägliche Arbeit der Pathologie-Abteilung des Krankenhauses. Dabei gebe es einige Missverständnisse aufzuräumen, sagte Lobeck gleich zu Beginn: „ Viele wissen gar nicht, was Pathologie ist. Aber so sehr man es auch erklärt – nach dem nächsten Montagskrimi ist alles wieder vergessen.“ In Serien wie dem „Tatort“ wird oft fälschlicherweise von Pathologen geredet, dabei handelt es sich in Wirklichkeit um Rechtsmediziner. Deren Aufgaben dienen ausschließlich dem Aufspüren unnatürlicher Einflüsse, die zum Tod eines Menschen geführt haben, Pathologen hingegen sind vor allem mit Krebsdiagnostik und dem Ermitteln natürlicher Todesursachen beschäftigt.

Vor allem Senioren hatten den Montagsvortrag besucht, aber auch viele Jüngere. „Ich wollte mal wissen, wie das in echt aussieht“, sagt die 46-jährige Potsdamerin Andrea Levy. Sie hat vor Kurzem ihre Heilpraktikerausbildung abgeschlossen und ist aus Neugier hier. „Am meisten hat mich überrascht, dass gar nicht so viele Obduktionen gemacht werden.“ Tatsächlich macht diese Tätigkeit nur fünf Prozent der Arbeit aus. „Vor 1989 hatten wir noch rund 2000 Obduktionen im Jahr, heute sind es etwa 160“, sagt Lobeck. Das liege daran, dass seit der Wende nicht mehr die Widerspruchs-, sondern die Zustimmungsregelung herrscht, sprich: Legten Angehörige in der DDR nicht bis acht Tage nach dem Tod Widerspruch gegen eine Obduktion ein, wurde diese durchgeführt, wenn der Arzt es für nötig hielt. Heute darf dies nur mit Zustimmung der Angehörigen geschehen.

Dabei haben Obduktionen einen großen Wert, so Lobeck, denn: „In nur 55 Prozent der Fälle stimmt die klinisch gestellte Diagnose der Leiden mit der wirklichen Todesursache überein, die vom Pathologen ermittelt wurde.“ Die meiste Zeit verbringen die Mediziner heute mit dem Untersuchen von Gewebeproben unter dem Mikroskop. Was viele auch nicht wissen: Pathologen beschäftigen sich nicht nur mit Toten. Tatsächlich stammen die meisten der Gewebeproben, die von täglich 130 Patienten auf den Tischen der Mediziner landen, von lebenden Patienten, denen ein Chirurg ein kleines Stück Gewebe entnimmt, um es auf Krebs untersuchen zu lassen. So herrscht in der Pathologie ein Kommen und Gehen, denn alle medizinischen Bereiche schicken Gewebeproben in die Pathologie.

Was mit den Gewebestücken passiert, konnten die rund 100 Besucher des Vortrags bei einer anschließenden Führung durch das Pathologie-Gebäude miterleben: „Das hier sind zwei Mandeln“, sagt Kathleen Arndt und nimmt eines der Organe aus einem Behälter mit Formalinlösung. Der Tisch unter ihr hat Löcher: Durch diese wird Luft angesaugt, damit beim Arbeiten kein giftiges Formaldehyd in die Atemwege gelangt. „Wenn nichts Auffälliges zu erkennen ist, nehmen wir zwei Proben“, sagt die Pathologin und schneidet mit dem Skalpell zwei dünne Scheiben ab. Diese kommen nun in einen kleinen Block aus Paraffin, einer wachsartigen Konservierungssubstanz, dank der man die Proben auch noch nach Jahrzehnten auf Krankheiten untersuchen kann.

Das sei leider oft nötig, sagt Hartmut Lobeck, denn manchmal können sich Krebszellen unbemerkt über Jahre im Körper verstecken, ohne dass sie ausbrechen. 30 Jahre werden die Proben daher in der Pathologie aufbewahrt. Das gewaltige Archiv aus kleinen Paraffin-Blöcken wiegt so viel, dass dafür ein extra starker Beton-Stahlboden in das 2005 neu renovierte Gebäude eingebaut wurde. Die Raumkapazität ist zwar knapp, aber Lobeck ist zuversichtlich, dass alle Proben ohne Errichtung eines Neubaus in der Pathologie archiviert werden können.

Erik Wenk

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