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Homepage: „Oft haben wir sieben Premiers“

Diplomat Ilan Mor referierte an der Universität Potsdam über „60 Jahre Israel“

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Israel ist Dauerthema in den deutschen Medien, im akademischen Bereich dagegen kaum. Zwar zeichnet sich die Debatte um einen modernen, vormals schon existenten Studiengang „Israelwissenschaften“ ab. Doch vorläufig bleibt es etablierten Fächern wie Judaistik, Jewish Studies, Kultur- und Politikwissenschaft vorbehalten, die Lücke wenigstens teilweise zu schließen. Beim Abraham Geiger Kolleg wie beim Institut für Jüdische Studien der Universität Potsdam behilft man sich regelmäßig mit israelischen Gast-Dozenten und speziellen Gastvorträgen. So auch am vergangenen Montag, als man Spitzendiplomat Ilan Mor (Tel Aviv/Berlin) zum Thema „60 Jahre Israel - eine kritische Bestandsaufnahme“ eingeladen hatte.

Der 53-jährige Gastredner, der sich 25 Jahre im diplomatischen Dienst Sporen bei den Vereinten Nationen, in Los Angeles, Peking und Monrovia verdient hat, gilt allgemein als schnörkellos, direkt und sehr kommunikativ. Geschlagene zwei Stunden diskutierte er mit Studenten und Dozenten am Neuen Palais über Vergangenheit und Zukunft des Jüdischen Staates, über Erfolge und Irrwege und das oft nicht einfache Verhältnis von Demokratie und militärischer Selbstbehauptung.

„In 60 Jahren Israel“, so Ilan Mor, „konnten wir einen hoch entwickelten Staat aufbauen, oft unter akuter militärischer und terroristischer Bedrohung. Es hat sich ein Land entwickelt, dass der Welt viel zu bieten hat, und wir wollen Impulse weit über den Nahen Osten hinaus geben.“ Dies betreffe Wissenschaft, Technik, Medizin, Kunst, Sport und viele andere Gebiete. „Ich freue mich über das deutsch-israelische Jahr der Wissenschaft und Technologie“, meinte Mor weiter, „aber es gibt noch ganz andere Felder, auf denen beide Länder zusammenrücken könnten. Beispielsweise in der Entwicklungshilfe, wo Israel und Deutschland seit den 50er Jahren viele gute Erfahrungen gesammelt haben. Vor allem in Afrika könnten wir viel bewegen.“

Ausdrücklich betonte der israelische Gastredner die engen Bande mit Deutschland, aber verhehlte auch nicht, was ihn hierzulande bisweilen irritiert. „Dadurch, dass die Medien überdurchschnittlich oft vom Nahostkonflikt berichten, geht ein Stück von dem unter, was sonst nach alles in Israel passiert. Kulturen begegnen sich, neue Kunstformen entstehen, die Wirtschaft boomt.“ Doch über mangelnde Publikumsresonanz konnte sich der Referent am Montag keineswegs beklagen. Wie es mit der politischen Streitkultur in Israel bestellt sei, wurde er gefragt. „Wir haben verschiedenste Meinungen im Lande, und damit hält man nicht gerade hinterm Berg. Oft haben wir so um die sechs bis sieben Premiers gleichzeitig“, lachte Mor.

Die seit der Annapolis-Konferenz zwischen Israelis und Palästinensern laufenden Gespräche hält Mor für den richtigen Weg, auch wenn noch viele Hürden bis zu einem dauerhaften Abkommen zu überwinden seien. Eine Mehrheit der Israelis sei aber bereit, für einen dauerhaften Frieden mit den Palästinensern „schmerzhafte Kompromisse einzugehen.“ Ob dies in der Konsequenz auch eine komplette Aufgabe der israelischen Siedlungen im Westjordanland bedeuten könne, wollte postwendend ein Potsdamer Dozent wissen. „Man kann die Situation nicht hundertprozentig zurückdrehen“, entgegnete Ilan Mor. „Städte wie Ariel und Ma''ale Adumim werden bei Israel bleiben, es ist unrealistisch, sie wieder abzubauen. Das Stichwort heißt hier Gebietsaustausch, und man sollte den Verhandlungsparteien ein Stück Flexibilität zutrauen. Auch der Sicherheitszaun zum Westjordanland kann sicher irgendwann rückgängig gemacht werden, vorausgesetzt, der Friedensprozess entwickelt sich gut.“

Studenten der „Jewish Studies“ wollten schließlich erfahren, wie Mor prominente inner-israelische Kritiker wie Amira Hass, Gideon Levy und Uri Avnery betrachte. „Sie sind Leuchttürme für unsere Gesellschaft und belegen die Stärke unserer Demokratie“, so der Referent. „Aber Israel wird auch keine politischen Experimente unternehmen, die die Existenz des Landes gefährden.“

Jede neu gestellte Frage zog drei weitere nach sich, und so kämpften Gastreferent und Publikum am Ende gegen die Uhr. Wohl wissend, dass viele Israel-Aspekte in 120 Minuten nur flüchtig gestreift werden konnten, bot Ilan Mor sein Wiederkommen und die „Fortsetzung des Dialoges“ an. Darauf darf man gespannt sein.

Olaf Glöckner

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