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Landeshauptstadt: „Ohne Kondom geht gar nichts“

Am Welt-Aids-Tag sammeln Freiwillige und Politiker für Betroffene. Doch die Sammelkasse klingelte zuerst verhalten

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Innenstadt - Es ist kalt am Welt-Aidstag. Nach rund drei Stunden im Freien sind die Füße von Sabine Kaschubowski durchgefroren: Die Leiterin der Potsdamer Aids-Hilfe steht auf der Brandenburger Straße und tritt abwechselnd vom linken auf das rechte Bein. „Guten Tag, heute ist Welt-Aids Tag“, sagt sie immer mal wieder zu den vorübergehenden Passanten und schüttelt dabei die Sammelbüchse.

Der Welt -Aids Tag ist ein Großkampftag für den kleinen Verein: Tagsüber betreut man einen Stand in der Innenstadt und koordiert das Spendensammeln von freiwilligen Helfer und Prominenten aus Stadt- und Landespolitik. Abends heißt es noch die Aids-Gala im Nikolaisaal zu managen.

„Rund 800 Euro haben wir im letzen Jahr gesammelt, das wollen wir wieder schaffen“, sagt die 43-Jährige. Das ist nicht so leicht an diesem Mittag. Nur gelegentlich bleiben Passanten stehen und lassen sich nach einer Spende eine rote Schleife als Dankeschön anheften. Nach Angaben des Robert Koch Instituts (RKI) sind in Brandenburg 184 Menschen mit dem HI-Virus infiziert. 50 davon betreut allein der Potsdamer Verein.

Auch nach Jahren der Forschung gibt es bislang kein Mittel gegen die Immunschwäche. „Pro Jahr sterben weltweit alllein 600 000 Kinder an Aids, insgesamt ist von rund 3,5 Millionen Toten jährlich auszugehen“, sagt Brandenburgs Finanzminister Rainer Speer, der am späten Nachmittag die Sammelbüchse in die Hand nimmt. „Aids ist eine Geisel der Menschheit: Die Arbeit dagegen muss man fördern“. Speer schüttelt die Dose, findet den Klang der wenigen Münzen darin „mau“ und wendet sich den Passanten zu. Anders als noch am Mittag bei Kaschubowski lassen sich jetzt mehr Menschen eine Schleife anheften. Aber auch der Finanzminister hört mehr als einmal „kein Geld, tut mir leid“. Auch Speers Kabinettskollege, Arbeitsminister Holger Rupprecht und Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs haben es schwer. Zwar finden sie bei ihrer Aktion am Stadthaus einige Geldgeber, aber nach rund 15 Minuten muss Rupprecht stellvertretend für beide feststellen: „Doll war das nicht“. Rupprecht hat sich erstmals bereit erklärt, zu helfen: „Mit Schrecken habe ich festgestellt, dass die Krankheit bei uns auf dem Vormarsch sein soll. Das Gegenteil hatte ich erwartet“. Künftig will er regelmäßig am Welt-Aids Tag gegen die Immunschwäche sammeln gehen.

Tatsächlich hat sich nach Angaben des RKI die Zahl der bundesweit Neu-Infizierten in diesem Jahr im Vergleich zum Vorjahr (1. Quartal) um 20 Prozent erhöht. Und suggerieren die Berichte von Aids in Afrika oder Osteuropa nicht das verzerrte Bild, dass die Immunschwäche zwar existiert, aber zugleich von Deutschland weit entfernt ist? „Vor allem viele junge Leute sind heute einfach an mir vorbeigegangen“, hat auch Kaschubowski beobachtet. Drohen die Kampagnen zur Aufklärung über die Krankheit nun gerade die zu verfehlen, für die sie konzipiert wurden - die Jugendlichen?

Auch die Junge Union Potsdam hat sich diese Frage gestellt. Bereits zeitig am Morgen haben sich die Nachwuchspolitiker vor dem Helmholtz-Gymnasium postiert und suchen das Gespräch mit den Schülern der Oberstufen. „Am Anfang geht ohne Kondom gar nichts“, sagen zwei Schülerinnen der 12. Klasse unisono. Und ergänzen: „Sonst können sich die Männer ja ’ne andere suchen“. Auch für zwei Schülerinnen aus der Klasse 11 ist die Sache klar: kein ungeschützter Verkehr mit Männern. Beide kennen allerdings im eigenen Bekanntenkreis auch weniger prinzipenfeste Beispiele. Beide Frauen wollen erst mit sich reden lassen, wenn die Männer Aids-Test’s vorlegen. „Im Zweifel haben die Männer dann eben Pech“, sagt eine der beiden. „Man weiß schließlich nie, wie lange die Partnerschaft hält“.

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