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Hat wieder Zeit zum Spielen. Nach seinem Abschied aus der Politik will sich Rolf Kutzmutz Zeit nehmen für Familie, Garten und Hobbys. Er engagiert sich für Potsdams Fußballfrauen und schreibt derzeit an seinen Erinnerungen – für sich selbst und seine Enkel, sagt er.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Opa schreibt jetzt Geschichten

Rolf Kutzmutz, Potsdams vielleicht bekanntester Linker, hat sich aus der Politik verabschiedet – wie er es einst seiner Enkelin versprochen hatte

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Im Keller hängt es, das Beweisstück vom Anfang des Endes. „Für Sophia – Opas letztes Wahlplakat“ hat Rolf Kutzmutz 2009 auf die Wahlwerbung geschrieben, mit der er ein Bundestagsmandat erringen wollte. Doch daraus wurde nichts, der Linkenpolitiker hatte seinen sicheren Listenplatz einem anderen Wunschkandidaten der Partei überlassen.

Es blieb ihm die Kommunalpolitik, ununterbrochen war er seit 1990 Stadtverordneter. Sein Abschied aus der Stadtpolitik vor wenigen Wochen erfolgte für manche überraschend – doch der 66-Jährige sagt: „Das war langfristig vorbereitet. 25 Jahre Stadtverordneter, parallel dazu acht Jahre im Bundestag, die Hälfte davon in Bonn – das war schon ganz schön anstrengend.“

In seinem kleinen Garten hinterm Haus im Musikerviertel zwischen Babelsberg und Stern sitzt es sich gut. Kutzmutz behält von seinem Platz die Amseln im Blick, die ihm die Blaubeeren vom Strauch picken. „Die sind eigentlich für meine Enkelkinder“, sagt er, leicht erzürnt. Aber er bleibt sitzen, die Amsel wird nicht verjagt. Leben und leben lassen, so scheint es, dieses Prinzip, das der Politiker verinnerlichte, passt auch in einen Sommergarten.

Rolf Kutzmutz hat es vielleicht auch geholfen, sich nach der Wende eben nicht in die Schmollecke, wie er sagt, zurückzuziehen. Sich stattdessen auf das Neue einzulassen und mit Vergangenem selbstbewusst umzugehen. Nicht alle, aber doch sehr viele fanden es gut, dass er sich offensiv zu seiner Stasi-Vergangenheit äußerte, die Akte im Rathaus auslegte. Der Mensch müsse letztlich mit seiner ganzen Biografie betrachtet werden, sagt er.

Ein Vierteljahrhundert habe er nach der Wende Politik gemacht, für das Land gearbeitet – mehr als zu DDR-Zeiten. Hat als Kreisverbandsvorsitzender seine Partei durch die Nachwendezeit geleitet. Und dabei auch Kurioses erlebt. Die Linken aus dem Westen reisten zum Wahlkampf mit Koffern voller Sprühdosen an. „Damit kann man so toll Losungen an die Häuser sprayen“, sagte der Kollege. „Bist du verrückt?“, hat Kutzmutz geantwortet.

Wer ihn reden hört, gewinnt den Eindruck, dass er in all seiner inneren Radikalität, ein Linker zu sein, auch stets den anderen, das politische Gegenüber, seine Mitmenschen und seine Stadt im Blick hatte. Ihnen Platz einräumte. Er sei stets der Ausgleichende gewesen, heißt es, andererseits auch Pragmatiker. Das passe doch zusammen, findet Kutzmutz: Um der Sache willen versuchte er stets, Menschen mit ihren unterschiedlichen Meinungen zusammenzubringen. „Suche der Stadt Bestes – dann ist ihr wohlgetan“ – diesen Bibelvers habe Helmut Przybilski als Stadtpräsident einmal zitiert. Da kann ich voll mitgehen, dachte sich Kutzmutz damals.

Als Vorsitzender des Bauausschusses schätzte man ihn, auch wenn es manche nervte, dass Kutzmutz großzügig mit der Rednerliste umging. „Wer reden wollte, der durfte – aber nur fünf Minuten“, sagt er. Dass die Ausschüsse jetzt verkleinert wurden, kann er nicht nachvollziehen. Ob ein Ausschuss funktioniere, das hänge doch nicht von der Anzahl der Mitglieder ab. „Demokratie scheitert nicht an der Größe, sondern an der Art der Führung“, sagt er.

Vor 13 Jahren erlebte er selbst, wie es einer Minderheit ergehen kann: Der Bundestag schickte eine Delegation des Wirtschaftsausschusses nach Kuba. „Es gab immer sieben Plätze, fragen Sie nicht, warum. Die PDS wäre jedenfalls nicht dabei gewesen. Frau Süßmuth musste für mich eine Ausnahme genehmigen“, sagt Kutzmutz. Sonst hätte er wohl nie Fidel Castro getroffen. Im Keller hängt noch ein handgeschriebener Gruß des Diktators, auf Spanisch. „Ach, ihr habt ja so junge Leute in eurer Fraktion“, soll Castro beim Empfang der Delegation gesagt haben, als man ihm Kutzmutz, den Genossen, vorstellte. Seitdem ist Kuba sein Lieblingsurlaubsland, viermal war er schon da, die nächste Reise ist geplant.

All diese Geschichten will der Ruheständler jetzt aufschreiben. Weil in seinen Erinnerungen so viel durcheinandergeht, aber viel Schönes dabei ist, was er einfach nicht vergessen will. Er will sortieren, festhalten, für sich, seine Kinder und Enkel – im Oktober kommt das Fünfte.

Geboren wird Rolf Kutzmutz 1947 in Lützen, einem Dorf in Sachsen. Wikipedia listet ihn – in guter Gesellschaft mit Friedrich Nietzsche – in der Rubrik „Söhne und Töchter der Stadt“. Er besucht kurzzeitig die Kadettenanstalt in Naumburg, eine Internatsschule für militärbegeisterte Arbeiterkinder. Da ist er zwölf Jahre alt und will auch einer von denen sein, die ein „K“ auf dem Schulterstück tragen. Er erinnert sich an eine ungeliebte Mathematiklehrerin, bei der er dennoch ordentlich rechnen lernt. Das hilft ihm später, als er neben dem Abitur den Beruf Maschinenbauer erlernt. Und es nützt ihm während der Armeezeit – bei der Artillerie.

Er interessiert sich aber auch fürs Schreiben und gewinnt bisweilen Schüler-Schreibwettbewerbe. Es nervt ihn später, wenn ein Antrag zwar korrekt, aber „saumäßig formuliert“ ist. „Wie kann man so was beschließen?“, jammerte er dann. Er studiert in Berlin zunächst Ökonomie, dann an der SED-Parteihochschule: Abschluss Gesellschaftswissenschaftler. Eine Funktionärskarriere, auch die Stasi sucht Kontakt. Kutzmutz, Mitte zwanzig, liefert eine Handvoll Berichte, dann lässt man ihn in Ruhe – zu unbedeutend.

Nach Potsdam kommt er 1970, wohnt seitdem in seinem Kiez. „Potsdam ist mein Revier“, sagt er. Den Dialekt der Heimat legte er damals schnell ab: „Ich habe die Sprache gehasst.“ Sprache und Ausdrucksformen sind ihm wichtig, Freundschaften in die Künstler- und Schauspielszene bedeuten ihm viel. Er konnte Kishon kennenlernen, schrieb sich Briefe mit Eberhard Esche – „einer der besten deutschen Schauspieler und Sprecher“. Und präsentierte gern Überraschungsgäste auf den Sommerfesten seiner Partei: „Kutzmutz moderiert ’ne Runde“ hieß das Format.

Die Garage des Eigenheims, ein ehemaliger DDR-Typenbau, ist sein Erinnerungskabinett, die Wände gepflastert mit Fotos, Zeitungsausschnitten, Autogrammen. Reichlich Platz ist dem Boxer Muhammad Ali eingeräumt. Kutzmutz hat selbst einmal geboxt, als Jugendlicher und bei der Armee. Er hat alle Kämpfe seines Idols auf Video, sagt er – heute sitzt Kutzmutz im Vorstand bei den Fußballfrauen Turbine Potsdam.

Eine der Geschichten zum Aufschreiben ist die, in der Kutzmutz fast Oberbürgermeister in Potsdam geworden wäre. Nicht das einzige „Fast“ in der politischen Laufbahn, aber wohl das spannendste. 1993 fährt er zunächst einen gewaltigen Sieg gegen Horst Gramlich (SPD) ein. Ironie der Geschichte: Das mobilisiert dessen Genossen dermaßen, dass es in der Stichwahl dann doch nicht reicht. Kutzmutz aber war plötzlich ein gefragter Gesprächspartner in Talkrunden. Eine bewegende Zeit sei das gewesen. Als Ergebnis dessen traut man ihm und er sich selbst eine Bundestagskandidatur zu. Von 1994 bis 2002 sitzt er für die PDS zunächst in Bonn, dann in Berlin im Bundestag.

Ab sofort will er sich aus dem politischen Tagesgeschäft raushalten. Er hat, sagt er, den Schalter umgelegt. Natürlich wird er seine Meinung sagen, wenn er danach gefragt wird. „Ich werde ja nicht plötzlich unpolitisch.“ Er freut sich, dass er vielen Weggefährten, wie es scheint, gut in Erinnerung bleiben wird. Angenehm überrascht hat ihn, dass sich Baudezernent Matthias Klipp zum Abschied so positiv geäußert hat. „Naja, das ist jetzt ja auch leichter, wir werden uns nicht mehr streiten“, räumt er ein und schmunzelt.

So ganz als altes Eisen fühlt er sich aber noch nicht. In der Kurklinik, wo er sich kürzlich nach einer OP erholte, war er gern der Erste im Frühstücksraum. Nicht nur, weil er noch immer wie gewohnt gegen sechs Uhr aufwacht. „Ich hatte keine Lust auf die vielen traurigen Krankengeschichten der anderen Patienten“, sagt Kutzmutz. Er frühstückte lieber alleine.

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