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Wie spricht der Norden? Potsdam beteiligt sich an Erforschung des Plattdeutschen

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„Moin, moin, wo geiht di dat?“ – „Man so, wat mutt, dat mutt.“ Wer im Urlaub an Nord- und Ostsee oder bei einer Radtour an der Elbe Einheimische beim Plattschnacken belauscht, bekommt einen authentischen Eindruck. Für Sprachwissenschaftler tut sich hier ein reiches Forschungsfeld auf. Jetzt finanziert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die erste Studie zum Niederdeutschen im gesamten Sprachraum zwischen Nord- und Ostsee, Oder und Rhein. Die DFG fördert das groß angelegte Projekt „Sprachvariation in Norddeutschland“ (SIN) für zunächst zwei Jahre an sechs Universitäten. Beteiligt sind Potsdam, Hamburg, Kiel, Frankfurt (Oder), Bielefeld und Münster. Die Potsdamer Arbeitsstelle hat Ende Juli in Dahme (Spreewald) mit Interviews und Tonaufnahmen begonnen.

Erste Ergebnisse einer Pilotstudie in Kiel liegen bereits vor. „Die Leute in der Region haben eine überwiegend positive Einstellung zum Niederdeutschen“, sagt Michael Elmentaler, Professor in der Niederdeutschen Abteilung des Germanistischen Seminars der Christian-Albrechts-Universität Kiel. Vor 30 Jahren sei der Dialekt noch stark stigmatisiert gewesen. Die Eltern der mittleren Generation hatten Angst, dass ihre Kinder in der Schule nicht mitkommen, wenn sie mit Plattdeutsch als Muttersprache aufwachsen. Heute zeichnet sich eine Trendwende ab: „Die Eltern erkennen die Vorteile einer mehrsprachigen Erziehung.“ Die Wissenschaftler wollen nicht nur linguistische Aspekte darstellen, sondern haben auch ein soziologisches Interesse. Wo ist Platt stigmatisiert und wo wirkt es womöglich als gesellschaftlicher Kitt und fördert den sozialen Zusammenhalt?

Im Hamburger Raum hat Projektleiterin Prof. Ingrid Schröder in einer Vorstudie einen Rückgang des Niederdeutschen festgestellt. Überraschenderweise werde in den Vierlanden, ehemaligen Flussinseln der Elbe, bei Obstbauern und in Gärtnereien heute weniger Plattdeutsch als noch vor zehn Jahren gesprochen. Möglicherweise wiederholt sich hier, was sich schon vor zweihundert Jahren zwischen Berlin und Brandenburg abspielte. Die Stadtsprache, ein aus vielen Einflüssen zusammengesetzter „Metrolekt“, verdrängt allmählich das Niederdeutsche.

Bei dem DFG-Projekt (www.sin-projekt.de) geht es denn auch um den „kontaktbedingten Sprachwandel“ des Niederdeutschen: Wie haben sich Hochdeutsch und Platt wechselseitig beeinflusst? Was ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts überhaupt noch übrig vom Niederdeutschen? Die Forscher wollen ein genaues Bild der Sprachwirklichkeit zeichnen. In den 18 Dialektregionen wählen sie jeweils zwei Orte aus, in denen je vier Frauen im Alter von 40 bis 55 Jahren sprachwissenschaftlich untersucht werden. Befragt werden zwei Sprecherinnen mit Plattkenntnis und zwei, die Hochdeutsch sprechen.

Warum nur Frauen? Bei ähnlichen Forschungsprojekten haben meist Männer im Vordergrund gestanden, sagt Elmentaler. Auf ein Geschlecht müsse sich eine Untersuchung mit vielen räumlichen Variablen konzentrieren, um vergleichbare Daten zu erhalten. Von Frauen sei aus der Forschung bekannt, dass sie sprachbewusster sind und qualifizierter über ihre Einstellungen zum Plattdeutschen sprechen können. Und sie seien in der Regel für die Kindererziehung zuständig, hätten also großen Einfluss auf die Weitergabe des Dialektes in der Familie.

Besonders interessiert sind die Wissenschaftler am „Codeswitching“, dem Wechsel vom Dialekt zum Hochdeutschen und zurück, je nachdem, mit wem gesprochen wird. Das Switching gelingt den Plattsprechern wesentlich leichter als etwa den Schwaben. Denn die Norddeutschen mussten schon immer vom Dialekt ins Hochdeutsche wechseln. Zu Hause sprach man Platt – historisch gesehen eine eigene Sprache –, in der Schule und auf dem Amt Hochdeutsch. Dagegen können Schwaben, die aus sprachwissenschaftlicher Sicht einen hochdeutschen Dialekt sprechen, durchgehend schwäbeln: daheim breit, in der Schule und bei offiziellen Kontakten leicht abgeschwächt.

In Brandenburg finden sich nur noch sehr vereinzelt aktive Plattsprecher. Trotzdem ist das Land mit zwei Regionen an dem Forschungsprojekt beteiligt. „Viele der Frauen mittleren Alters haben noch mit ihren Eltern Platt gesprochen und geben es auch teilweise an ihre Kinder weiter“, sagt Judith Butterworth vom Institut für Germanistik der Universität Potsdam. Allerdings spiele das Niederdeutsche im Alltag der Familien kaum noch eine Rolle.

Zum Abschluss der Befragung muss jede Teilnehmerin einen Dialekttest absolvieren, Sätze aus dem Hoch- ins Plattdeutsche übersetzen. Gemessen werden ihre Kenntnisse an den sogenannten Wenkersätzen, mit denen der Dialektologe Georg Wenker im 19. Jahrhundert gearbeitet hat. Der Satz „Er isst die Eier immer ohne Salz und Pfeffer“ wurde um 1880 in Marne (Dithmarschen) so übersetzt: „He itt de Eier jümmer ahn Sold un Päper.“ Die Forschungsstellen in Potsdam und Bielefeld spielen ihren Versuchspersonen auch Aufnahmen fremder Sprecher vor, die mehr oder weniger stark ausgeprägten norddeutschen „Slang“, aber nicht Platt sprechen. Gefragt wird auch hier nach Einstellungen zur Sprache: Wie hochdeutsch muss man vor Gericht sprechen, wie breit darf man im Freundeskreis klingen? Die Forschungsergebnisse sollen 2013 vorliegen, eine Prognose über die weitere Entwicklung der Sprache ist ein Ziel. Amory Burchard

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