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Landeshauptstadt: Pandemie bisher „reine Theorie“

Virologe Thomas Weinke vom Bergmann-Klinikum ist Mitglied der „epidemiologischen Einsatzgruppe“

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Noch ist „alles reine Theorie“, der Vogelgrippevirus überträgt sich bisher nicht von Mensch zu Mensch, betont Virologe Professor Thomas Weinke im Gespräch mit den PNN immer wieder. Trotzdem sieht der Pandemieplan, den Gesundheitsministerin Dagmar Ziegler diesen Montag den lokalen Krisenstäben übergeben hat, auch Maßnahmen und Verhaltensregeln für eben diesen Fall vor. Weinke spielt in diesem Plan genauso eine wichtige Rolle, wie das Klinikum Ernst von Bergmann, dessen infektiologische Station er leitet.

Der Chefarzt, ein weiterer Klinikums-Arzt und ein Mitglied des Gesundheitsamtes bilden die so genannte epidemiologische Einsatzgruppe. Im Falle einer Pandemie, also einer schweren Grippewelle, die große Teile der Weltbevölkerung erfasst, sind sie es, die entscheiden, wo im Land Brandenburg „Behandlungsschwerpunkte“ gesetzt werden. Das Potsdamer Klinikum ist dabei der „primäre klinische Anlaufpartner“ der Region. Das bedeutet, erste Vogelgrippe-Erkrankte würden auf der Station von Thomas Weinke untersucht und behandelt. In der Infektiologie des Krankenhauses stehen 48 Betten in 24 Zimmern bereit. Die Zweibettzimmer können innerhalb kürzester Zeit als Quarantänestationen eingerichtet werden, denn jedes verfügt über eine Schleuse, in der sich das Klinikpersonal desinfizieren kann.

Um die Heilung zu unterstützen, würden die Ärzte den Patienten Tamiflu oder Relenza verabreichen, erklärt Weinke. Denn die „Virenhemmer“ stoppten die Vermehrung der Erreger. Zudem müssten die Erkrankten oft beatmet werden, weil die Grippe meist mit einer Lungenentzündung einher geht. Weinke erwartet allerdings „aktuell keine Seuche mit tausenden Infizierten“. „Einzelne Fälle“ könnten dagegen aber auftreten, glaubt er. „Zu befürchten“ sei, dass einige aus „falsch verstandener Tierliebe“ erkrankte oder tote Vögeln berühren, um ihnen zu helfen oder sie zu bestatten. Doch wenn die Vogelgrippe Brandenburg und Potsdam erreiche, seien vor allem die Einsatzkräfte gefährdet, die beispielsweise verendete Vögel einsammeln.

Das Klinikum würde jeden erkrankten Menschen „aufnehmen und isolieren“ – doch lediglich als „Vorsichtsmaßnahme“, so Weinke. Schließlich handele es sich noch immer um eine „Tierseuche“. Und die sei im Moment für Menschen nicht einmal hoch ansteckend: Dass es in Südostasien trotz Überbevölkerung „erst knapp 200 infizierte Fälle“ gebe, zeige, wie „extrem selten“ das Virus auf Menschen übertritt. Der Kontakt zu den kranken Tieren müsse schon sehr eng sein. Das zeigten auch die Vogelgrippe-Erkrankungen in der Türkei: Als dort nach Weihnachten die „Temperaturen drastisch gefallen waren“, hatten die Menschen ihre Hühner in die Wohnzimmer geholt. Hauptsächlich Kinder hätten sich darauf am kranken Federvieh angesteckt, denn nur sie spielten auf den Boden in direkter Nähe zu den Hühnern und deren Ausscheidungen.

Wann und ob das Vogelgrippe-Virus zu einem Erreger mutiert, der leicht von Mensch zu Mensch springt, weiß niemand, sagt Weinke. Auch nicht, wie viele Menschen daran sterben werden. Der Influenza um 1918 fielen fast 20 Millionen weltweit zum Opfer. Zwei weitere Pandemien im 20. Jahrhundert forderten jeweils eine Million Tote: in den 50er und in den 60er Jahren. Doch an den „Grippewellen, die jedes Jahr übers Land ziehen“ sterben allein in Deutschland bis zu 10 000 Menschen, so Weinke. „200 zu 10 000 – das ist dagegen eine ganz andere Dimension“, gibt er zu bedenken, doch mit dieser Zahl hätten sich die Leute arrangiert. Rund 15 Prozent aller Deutschen erkrankten jedes Jahr an der Influenza. An der Vogelgrippe könnten zwischen 20 und 60 Prozent der Bundesbürger erkranken – so die „theoretischen Szenarien“ des Robert-Koch-Instituts. Der Pandemieplan sehe Maßnahmen für alle Fälle vor: Vom Impfzwang bis zum Schließen öffentlicher Einrichtungen.

Die Fußballweltmeisterschaft sei laut Professor Weinke jedoch nicht in Gefahr. Natürlich seien Massenveranstaltungen während einer Pandemie „gefährliche Übertragungsherde“, aber „eine Pandemie haben wir nicht“. Wenn Politiker jetzt die Absage des Großereignisses fordern, sei das „Panikmache und politisches Getöse“.

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