zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Panikrocker im DDR-Kitsch

Vor 30 Jahren gab Udo Lindenberg sein Konzert im Palast der Republik. Reinhold Beckmann war hautnah dabei. Der Film des ARD-Moderators ist nun in der Villa Schöningen zu sehen

Von Peer Straube

Stand:

„Neulich traf ich Egon Krenz auf einem

Flughafen: Na du, noch im Knast?“Udo Lindenberg

Als Udo Lindenberg den kleinen Raum betritt, ist die Ausstellung plötzlich nur noch Nebensache. Ein Blitzlichtgewitter wie bei einer Promihochzeit bricht los, als der selbsternannte Panikrocker, gewandet in ein hautenges Hemd und bewehrt mit dem obligatorischen Hut, sich vor die Fotografen stellt.

Lindenberg ist am Montagnachmittag in die Villa Schöningen gekommen, um dort ein neues Exponat für die Dauerausstellung zur Geschichte der deutsch-deutschen Teilung zu eröffnen. Es ist ein Rundgang für die Presse, die Öffentlichkeit bekommt die Schau ab kommendem Donnerstag zu sehen.

„Die Akte Lindenberg – Udo und die DDR“ heißt der Film, den der ostdeutsche Regisseur Falko Korth gemeinsam mit ARD-Moderator Reinhold Beckmann über den Auftritt des Rockers am 25. Oktober 1983 im Palast der Republik in Ostberlin gedreht hat. Beckmann war seinerzeit Assistent eines Kamerateams, das Lindenberg 48 Stunden lang begleiten sollte. Beckmann, im grauen Anzug, ist ebenso erschienen wie der berühmte Maler, Filmemacher und Videokünstler Stefan Roloff, der das zweite neue Ausstellungsstück geschaffen hat – die Installation „Das Leben im Todesstreifen“: ein im heimelig-verkitschten Stil der späten 70er-Jahre eingerichtetes DDR-Wohnzimmer komplett mit Schrankwand, Tapete im grellbunten Da-fallen-Fliegen-totvon-der-Wand-Look und Erdnussflips aus der Holzschale. Im Schwarz- Weiß-Fernseher läuft ein bizarres Unterhaltungsprogramm, während durch die Fensterscheiben der Todesstreifen entlang der Mauer zu sehen ist.

Springer-Vorstand Mathias Döpfner, Eigentümer der Villa Schöningen, klärt die Gäste über die Exponate der Dauerausstellung auf. Lindenberg betrachtet interessiert das Modell, das DDR-Grenzer vom Potsdamer Mauerverlauf angefertigt haben, um daran mögliche Fluchtrouten durchzuexerzieren und Pläne zu deren Vereitelung zu entwerfen. Die größte Faszination übt auf Lindenberg aber der „Stalin-Rasen“ aus, ein, so Döpfner, „besonders perfides Instrument der Fluchtvereitelung“: mit langen Dornen bewehrte Stahlgitter, die entlang der gesamten Uferzone verlegt wurden und an denen sich bereits in Sicherheit wähnende Flüchtlinge schwer, wenn nicht gar tödlich verletzen konnten.

Diese „mörderischen Maßnahmen“ der SED berühren Lindenberg sichtlich. „Ich denke hier vor allem an die Opfer, die hier ums Leben gekommen sind, sich bereits auf dem Weg in die Freiheit wähnend“, sagt er den PNN. Daraus ergebe sich die Verpflichtung, „in eine wirklich tolerantere bunte Republik Deutschland überzugehen“, meint der Musiker in Anspielung auf den Titel seines berühmten Albums von 1989.

Auch Beckmann ist von der Dauerausstellung beeindruckt. Potsdam kennt er zwar, die Villa Schöningen aber besucht er zum ersten Mal. „Das hier ist ein Ort, wo man nicht mal eben so einfach vorbeihuscht“, sagt er über die Schau. „Das sind alles Objekte hier, für die man ein bisschen Zeit braucht.“ Etwas mehr Zeit als Lindenberg hatte er immerhin, „aber ich werde auf jeden Fall noch einmal wiederkommen“. Roloffs Installation weckt bei Beckmann noch ganz andere Assoziationen: „Die Tapete habe ich von zu Hause wiedererkannt“, erzählt er schmunzelnd. Ein Indiz dafür, dass trotz Teilung der Geschmack in beiden deutschen Staaten zeitweise gleich gruselig war.

Döpfner ist stolz darauf, die neuen Exponate in der Ausstellung zu haben. Lindenberg habe mit seiner Beharrlichkeit und seinen kritischen Texten „maßgeblich zum Ende des Kalten Krieges beigetragen“, sagt er. Als er den Musiker gefragt habe, sei der sofort einverstanden gewesen, den Film als Teil der Schau zu zeigen. Die ARD übrigens auch, die die Rechte daran hat. Döpfners Anfrage habe er sofort an die Senderverantwortlichen weitergeleitet, erzählt Beckmann.

Obwohl sie die Geschichten seit der Fertigstellung des Films vor zwei Jahren bestimmt hundertmal erzählt haben, plaudern Beckmann und Lindenberg zur Freude der Journalisten noch einmal aus dem Nähkästchen. Beckmann berichtet amüsiert, wie der Bassist von Lindenbergs Panikorchester im Rahmen des Auftritts im Palast der Republik unbedingt irgendwo einen Joint rauchen wollte: „Es ist ihm gelungen“, sagt Beckmann.

Lindenberg gibt zum Besten, wie er seinen FDJ-Aufpasser überrumpeln konnte: „Ich hab dem Kontrolletti gesagt, ich muss mal – der musste auch. Ich musste aber gar nicht.“ Als der FDJ-Mann dann vor dem Klobecken stand, entwischte Lindenberg und ging raus zu den „echten Fans“, die vor der Tür ausharrten, während drinnen nur die „gefaketen Blauhemden“ jubeln durften. Mehr als 40 Fans wurden damals verhaftet, einige davon machten Beckmann und Regisseur Korth für den Film ausfindig und interviewten sie.

Auch ein bekannter DDR-Protagonist kommt in dem Film zu Wort: Egon Krenz, damals FDJ-Chef, hatte Lindenberg das Konzert im Rahmen des „FDJ-Friedensjahres“ ermöglicht. Die DDR-Tournee, die dem Musiker für seine Zusage versprochen war, gab es nie. „Die FDJ war so frech, dass sie den Vertrag brach“, sagt Lindenberg. Wenn sich beide heute treffen, sind die Vorzeichen umgekehrt. Krenz, erzählt Lindenberg amüsiert, sei er kürzlich auf einem Flughafen wiederbegegnet. „Na du, habe ich gerufen, immer noch im Knast?“

Die Austellung (Eintritt: 6 Euro, Kombiticket mit dem Kunstbereich 9 Euro, bis 18 Jahre freier Eintritt) ist geöffnet ab Donnerstag, dem 22. August, im Rahmen der normalen Öffnungszeiten der Villa: donnerstags und freitags 11 bis 18 Uhr sowie samstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr. Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung finden Sie am Donnerstag im Kulturteil der PNN.

„Udo Lindenberg hat maßgeblich zum Ende des Kalten Krieges

beigetragen.“ Mathias Döpfner

„Diese Ausstellung hier

in der Villa ist nichts,

wo man mal so durchhuscht.“Reinhold Beckmann

„Ich denke an die Opfer der mörderischen Maßnahmen der SED an dieser Grenze.“Udo Lindenberg

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })