ORTSTERMIN: Papier, Staub und Sütterlin
Nanu! Diese Landkarte ist ja ein Ding!
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Nanu! Diese Landkarte ist ja ein Ding! So schießt es einem im ersten Moment durch den Kopf. „Arbeitsgemeinschaft Ostdeutscher Familienforscher“ steht am oberen Kartenrand geschrieben. Doch, verdammt, wo ist hier Ostdeutschland zu sehen? Nur ganz im Westen findet sich ein Stück einstige DDR. Stattdessen liest man Namen wie Pommern, Neumark und Sudetenland. Im Osten endet die Karte an der Krim.
Haben hier an diesem Samstag im Potsdamer Treffpunkt Freizeit etwa Ewiggestrige einen kleinen Coup gelandet, indem Sie zum Regionaltreffen der Heimat- und Familiengeschichtsforscher im Theatersaal des einstigen Pionierhauses „Erich Weinert“ am Neuen Garten eine revisionistische Karte aufgehängt haben? Jürgen Frantz, Betreuer des Ausstellungsstandes mit der ominösen Landkarte, kann beruhigen: „Wir verstehen uns als Europäer“, sagt er. Kein Revisionismus, keine Rolle rückwärts.
Ostdeutschland trage man im Namen, weil es um die Erforschung der Geschichte von deutschsprachigen Familien gehe, die sich – teils vor Jahrhunderten – im europäischen Osten niederließen. Seine Vereinigung wolle sich jedenfalls nicht politisch vereinnahmen lassen. „Wir haben uns immer fern von den Landsmannschaften gehalten“, ergänzt Frantz. Vielleicht um die letzten Zweifel des Besuchers zu zerstreuen, schiebt er nach: „Unsere Publikationen werden auch von Harvard bezogen.“
Mit seinem Stand reiht sich Frantz an diesem Samstag ein in die Reihe der Aussteller, die zum Brandenburger Regionaltreffen der Heimat- und Familiengeschichtsforscher an den Heiligen See gekommen sind. Man sieht hier überwiegend Männer. Sie sind unter den Standbetreuern deutlich in der Überzahl. Das Publikum ist – jedenfalls zur Mittagszeit – zahlenmäßig sehr überschaubar. Doch um die 100 Besucher sollen es dennoch in den ersten vier Stunden des Treffens gewesen sein, schätzt die Dame vom Einlass.
An den Ständen wird gefachsimpelt. Von diversen Archiven hört man die Menschen reden. Auch von Nachlässen, die eben jene Archive und Bibliotheken immer größer werden lassen: Mit 65 vollen Bücherkartons im Gepäck habe man beispielsweise vor zwei Jahren die Wohnung eines verstorbenen Mitglieds verlassen, berichtet etwa Bernd Kleist von der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg.
Doch genealogische Forschung bedeutet heute nicht mehr nur Papier, Staub und Sütterlin, wie der auf der Veranstaltung ebenfalls vertretene Verein für Computergenealogie beweist. Über das Internetforum des Vereins tauschen sich Menschen quer über den Globus aus, berichtet Vereinsmitglied Bob Coleman. Für alle Hobby-Familienforscher hat er einen wichtigen Rat: „Fang mit dem an, was du ganz genau weißt.“ Nur so könne man sich durch die Generationen hindurcharbeiten.
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