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Landeshauptstadt: Patienten zweiter Klasse

Der Potsdamer Tierschutzverein beklagt, dass verletzte Wildtiere immer wieder von Tierärzten eingeschläfert werden. Doch einen Rechtsanspruch auf eine Behandlung gibt es nicht

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Martina Junge liebt Tiere, egal ob es sich um Haus- oder Wildtiere handelt. Andere machen in dieser Frage sehr wohl einen Unterschied: Immer wieder musste die Potsdamerin in den vergangenen Jahren die Erfahrung machen, dass verletzte Wildtiere, die sie unterwegs gefunden und zu einem Tierarzt gebracht hatte, dort ausnahmslos eingeschläfert wurden, obwohl sie die Behandlungskosten übernommen hätte.

„Ich habe bisher nur negative Erfahrungen mit den Tierärzten gemacht“, sagt Junge. Etwa zwölfmal habe sie schon erlebt, dass verletze Ringeltauben, Stare, Igel oder Enten eingeschläfert wurden, nicht nur bei Potsdamer und Brandenburger Tierärzten, sondern auch in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Hessen. Anke Drohla vom Tierschutzverein Potsdam und Umgebung e.V. kann dies nur bestätigen: „Es gibt zwar Ausnahmen, aber wir erleben das öfter, wenn wir verletzte Tiere nach einem Hilferuf bergen.“

Zuletzt geschah es im Februar: Drohla hatte eine Stockente, deren linker Flügel gebrochen war, in eine Berliner Tierklinik gebracht. Dort hinterließ sie die Information, dass der Erpel für den Fall, dass eine Operation nicht möglich sei, nicht eingeschläfert werden solle, dann hätte sie das Tier zur Pflegestelle Paasmühle e.V. in Nordrhein-Westfalen gebracht. Doch vergeblich: Wenige Tage später erhielt Drohla die Nachricht, dass die Ente eingeschläfert wurde.

Das Problem: Rechtlich gesehen sind Tierärzte nicht verpflichtet, kranke oder verletzte Wildtiere zu behandeln. Das Gesetz schreibt lediglich vor, dass ein vernünftiger Grund vorliegen muss, um ein Tier zu töten, etwa wenn es zu krank für eine Behandlung ist. Allerdings müssen Behandlungen auch bezahlt werden. „Natürlich ist denkbar, dass manche Ärzte sagen: Ich muss schließlich auch wirtschaften“, sagt Tierarzt Stefan Gassal von der Tierklinik Potsdam am Wildpark. „Doch wenn jemand die Behandlung bezahlt, gibt es dafür keinen Grund – es sei denn, man traut sich nicht zu, das Tier zu behandeln. Aber dann kann man sich immer noch an Spezialisten wenden.“

An die Tierklinik Potsdam treten jährlich schätzungsweise zehn Menschen heran, die ein verletztes Wildtier gefunden haben, häufig Vögel, so Gassal. Grundsätzlich werde jedes Tier zunächst untersucht – natürlich nur, wenn die Wildtiere dies auch mit sich machen lassen: „Wenn der Zustand lebensbedrohlich ist, machen wir eine Notfallbehandlung.“ Die Kosten dafür bezahle die Tierklinik laut Gassal selbst, wenn niemand anderes sie übernimmt.

Der nächste Schritt ist die Kontaktaufnahme zu verschiedenen ehrenamtlichen Personen und Institutionen, die sich eventuell weiter um die Tiere kümmern können: Dazu gehören beispielsweise die Pflegestation für kranke und verletzte Greifvögel in Beelitz, der Eichhörnchennotruf, der Arbeitskreis Igelschutz Berlin e.V., der Falkenhof Potsdam, die Pflegestation für Wildtiere e.V. in Melchow sowie verschiedene Wildtierexperten der Freien Universität Berlin. Was dort weiter mit den Tieren geschehe, könne er natürlich auch nicht nachprüfen, sagt Gassal: „Die Frage ist immer: Wie krank ist das Tier und wie viel wird die Behandlung kosten? Ich schätze, wenn die Finanzierung einer Therapie zu groß ist, kommt es vermutlich auch dort zu Einschläferungen.“

Ganz anders liegt der Fall, wenn bei den Tierärzten herrenlose Haustiere wie Hunde oder Katzen abgeliefert werden, was laut Gassal bei der Tierklinik etwa zwei- bis dreimal pro Monat vorkommt: Hier übernimmt die Stadt Potsdam die Behandlungskosten. „Es wäre schön, wenn es auch für Wildtiere einen Fonds geben würde“, findet Gassal. „Tierschutzrechtlich gesehen ist diese Trennung eigentlich fragwürdig.“

Dass Martina Junge so oft die Einschläferung von Wildtieren erlebt hat, kann er sich nur schwer erklären: „Bevor man einschläfert, sollte man sich auf jeden Fall nach ehrenamtlichen Pflegestellen umsehen.“ Der Mangel an Unterbringungskapazitäten ist für Gassal auch kein Grund: Schließlich müssten Tierärzte relativ selten Wildtieren behandeln. Menschen, die ein verletztes Wildtier gefunden haben und es retten möchten, rät Gassal dennoch, zunächst zum Tierarzt zu gehen: „Die ehrenamtlichen Pflegestellen wollen schließlich als erstes wissen, was das Tier hat. Da ist eine Erstsichtung beim Tierarzt nicht verkehrt.“ Eine Garantie, dass der Arzt das Wildtier nicht doch nach eigenem Ermessen einschläfert, gibt es allerdings nicht.

Bei der Vortragsreihe „Potsdamer Köpfe“ des Vereins ProWissen spricht an diesem Mittwoch die Tierärztin Ulrike Clausen über ihre Arbeit. Die Veranstaltung im Friedrich-Reinsch-Haus, Milanhorst 9, beginnt 18 Uhr. Eintritt 2 Euro.

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