FUSSBALL-SCHIEDSRICHTER: Pfeifende Rechtsanwältin
Die Potsdamerin Inka Müller ist jetzt die erste Sprecherin der deutschen Fußball-Schiedsrichterinnen
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Deutschlandweit sorgen gegenwärtig 78 617 Fußball- Schiedsrichter Woche für Woche für einen möglichst geregelten Spielverlauf. Der Fußball-Landesverband Brandenburg zählt derzeit 2125 Referees; 320 von ihnen sind noch unter 18 Jahren. Der momentan ranghöchster Unparteiische ist Bundesliga-Assistent Stefan Lupp aus Zossen. 73 Referees sind Frauen, von denen die Frauenbundesliga-Assistentinnen Sandra Blumenthal (Pritzwalk) und Katja Mattig (Frankfurt/Oder) am höchsten pfeifen.
Aus dem Fußballkreis Havelland-Mitte leiten derzeit 147 Schiris Partien von der Regionalliga bis zum Nachwuchs; vier von ihnen sind Frauen. Am höchsten amtiert der Potsdamer Jan Seidel (Regionalliga). M. M.
Eine Potsdamerin ist das Sprachrohr der deutschen Fußball-Schiedsrichterinnen: Inka Müller wurde jetzt zur ersten Sprecherin der weiblichen DFB-Referees gewählt. Auf der Halbzeittagung des Deutschen Fußball-Bundes mit seinen Schiedsrichterinnen in Mannheim erhielt die 32-Jährige das Vertrauen ihrer Kolleginnen.
„Eine tolle Anerkennung“, freut sich Inka Müller, die ihre neue Rolle vor allem darin sieht, „die Möglichkeiten des Dialogs zwischen uns Schiedsrichterinnen und dem DFB weiter zu verbessern“. Sie pfeift in Deutschland – wie 17 weitere Frauen – Spiele der 1. Frauen-Bundesliga, 23 Schiedsrichterinnen leiten Zweitliga- Partien. Außerdem ist die Juristin seit 2001 FIFA-Assistentin. Als solche erlebte sie an der Seitenlinie unter anderem die U19-Weltmeisterschaft 2002 in Kanada, die U20-WM 2006 in Russland und die Olympischen Spiele im vergangenen Jahr. „Das war natürlich ein ganz besonderes Erlebnis, mein schönstes bisher. Der absolute Höhepunkt“, schwärmt die Unparteiische, die in Peking als Assistentin der FIFA-Schiedsrichterin Christine Beck aus Magstadt beim Vorrundenspiel Argentinien – Kanada und bei der Viertelfinal-Partie China – Japan an der Seite amtierte. Wie viele internationale Einsätze sie bislang gehabt habe, könne sie nicht exakt sagen, meint Inka Müller, die auch im UEFA-Womens-Cup und bei „normalen“ Frauen-Länderspielen die Fahne schwingt. „Etwa 40 – genau gezählt habe ich die nicht.“ Dass sie in der Internet-Enzyklopädie Wikipedia bereits als Schiedsrichterin einen eigenen Eintrag hat, kommentiert sie mit einem knappen: „Wirklich? Interessant.“
Auch im Babelsberger Karl-Liebknecht- Stadion war und ist die attraktive Schwarzhaarige immer mal wieder im Einsatz – ob bei UEFA-Cup- und Bundesliga- Begegnungen Turbine Potsdams oder in der Vergangenheit bei Oberligapartien des SV Babelsberg 03; bei den Männern darf Inka Müller Spiele bis zur jetzigen fünften Liga pfeifen. „Jedes Spiel hat seine eigenen Anforderungen an einen Schiedsrichter“, meint die Potsdamerin, die in Stendal groß wurde und später an der Potsdamer Universität Jura studierte. In Stendal spielte die Hobby-Kickerin für den SV Lok in der Handball-Oberliga, ehe sie verletzungsbedingt aufhören musste. Auf Anraten ihres Vaters Klaus – der sie bei ihren ersten Schritten begleitete und mit 60 Jahren immer noch als Referee bis zur Landesklasse Sachsen-Anhalt pfeift – wurde Inka Müller 1995 Fußball-Schiedsrichterin beim BSC Stendal und schon zwei Jahre später DFB-Schiedsrichterin für die 1. Frauen-Bundesliga. Mittlerweile ist sie nach der Petersbergerin Martina Storch- Schäfer (seit 1995) die zweit-dienstälteste Unparteiische des DFB.
Vor einer Woche hätte sie beim Bundesliga-Nachholspiel Turbine Potsdam – Freiburg, das aber witterungsbedingt abgesagt wurde, an der Seitenlinie amtiert. Frauen-Bundesliga und Inka Müller – Potsdams Fußballfans denken bei dieser Konstellation unweigerlich immer wieder mal an den Juni 2003 zurück, als Turbine im heimischen Karl-Liebknecht-Stadion mit einem Sieg gegen den FFC Frankfurt erstmals Deutscher Meister geworden wäre. Doch bei Petra Wimberskys Tor zum 1:0 in der Nachspielzeit entschied Linienrichterin Müller auf Abseits. Wütende Reaktionen der Zuschauer gab es anschließend, der Schiri-Beobachter bestätigte aber nach gründlicher Video-Analyse die Entscheidung der damaligen Studentin, die anschließend sogar in der Uni- Mensa mehrmals darauf angesprochen wurde und später erzählte: „Am liebsten hätte ich mir ein T-Shirt angezogen mit der Aufschrift: Doch, es war Abseits!“
Heute lacht Inka Müller darüber und spricht von „alten Kamellen“. Wie sie auch zum Thema Robert Hoyzer nicht mehr viele Worte verlieren will. Als der später im Rahmen des Wettskandals wegen Beihilfe zum Betrug verurteilte Schiedsrichter Hoyzer am 22. Mai 2004 beim Regionalligaspiel zwischen dem SC Paderborn und dem Chemnitzer FC seinen ersten Manipulationsversuch unternahm und nach einem Foul vor dem Chemnitzer Strafraum auf Elfmeter für Paderborn entschied, musste er nach energischem Fahnenwedeln seiner Assistentin Müller den falschen Pfiff revidieren. Ein mutiger Schritt? „Ich habe nur meinen Job gemacht“, meint die Potsdamerin jetzt zur damaligen Situation. Und: „Der DFB hat das Ganze damals zeitnah aufgearbeitet und die entsprechenden Konsequenzen gezogen. Inzwischen ist das Thema abgehakt.“
Vielmehr freut sich Inka Müller darüber, dass ihre Schiri-Gilde wächst. „Die Zahl der Schiedsrichterinnen ist deutschlandweit schon ordentlich gestiegen, aber prozentual sind wir Frauen im DFB immer noch in der Minderheit. Deshalb freuen wir uns über jeden Zuwachs“, erzählt sie. „Wobei mit der deutlichen Niveausteigerung des deutschen Frauenfußballs auch höhere Anforderungen an uns Spielleiterinnen gestellt werden.“ Zweimal im Jahr bittet der DFB seine weiblichen Referees zu Bundesliga-Lehrgängen. Im Sommer wird per Regeltests und sportlichen Leistungsüberprüfungen darüber entschieden, wer in der neuen Saison in welcher Spielklasse pfeifen darf, im Winter wird die erste Halbserie ausgewertet und erneut die Kondition getestet. „Eine gute Kondition ist absolut notwendig“, bekräftigt die Potsdamerin. „Als Schiedsrichterin legt man pro Partie durchschnittlich zehn bis dreizehn Kilometer zurück, als Assistentin etwa fünfeinhalb; viel davon im Sprint.“
Um diesen Anforderungen gerecht werden zu können, hat sich Inka Müller ein strenges Lebensregime auferlegt. Ehe sie zu ihrer Arbeit bei der Anwaltskanzlei Kärgel, de Maizière & Partner am Berliner Kurfürstendamm fährt, wird geschwitzt. „Der Tag beginnt mit Fitness, meist mit Intervall- und Sprinttraining“, erzählt Müller, die mit ihrem Freund Lars im Zentrum Potsdams wohnt und bei Wind und Wetter die Laufschuhe überstreift; manchmal steht auch Krafttraining auf ihrem Programm. „Nach einer Stunde Training fühle ich mich dann fit und ausgeglichen.“ Das große zeitliche Pensum, das Beruf und Hobby verlangten, sei „nur mit strenger Disziplin und viel Verständnis des Umfeldes zu schaffen“, so die Schiedsrichterin. „Meine Familie, mein Freundeskreis und meine Chefs und Kollegen – alle stärken mir den Rücken.“ So zeige auch ihr Chef Lothar de Maizière - der letzte DDR-Ministerpräsident und spätere Bundesminister für besondere Aufgaben – großes Verständnis für das Faible seiner jungen Kollegin, die in der Kanzlei die Themen Strafrecht und öffentliches Recht bearbeitet. Seit 2007 arbeitet Inka Müller dort; im gleichen Jahr wechselte sie vom Fußball-Landesverband Sachsen-Anhalt zum Berliner Verband und dort zu Hertha 03 Zehlendorf. „Ich habe bewusst diesen Schritt gemacht, weil ich auch künftig in Berlin arbeiten möchte“, sagt sie dazu.
Als Referee will die Rechtsanwältin ebenfalls noch möglichst lange dem Fußball die Treue halten. Auf dem Platz, an der Seitenlinie und nun auch als Sprecherin der DFB-Schiedsrichterinnen.
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