Landeshauptstadt: Phallus der Wendezeit
Französische Architekten planten einen 120 Meter hohen Glasturm an der Großbeerenstraße
Stand:
Der Passagier in der Linienmaschine nach Paris blickte über den Rand seiner Hornbrille durch das Fensteroval. An diesem Freitagnachmittag ist bei kristallklarer Sicht das Stadtbild um den Berliner Alexanderplatz gut erkennbar. Der Pariser Geschäftsmann Pierre Couveinhes ist bei seinen Wochenend-Heimflügen immer wieder angetan vom schlanken Hochhaus des Hotels „Stadt Berlin“, das mit seinen 123 Metern einen Akzent in dem sonst von Seen und Wäldern dominierten Berliner Luftbild setzt.
„Das will ich auch“, mag Couveinhes beim Anblick dieses damals wie heute höchsten Hauses in Berlin gedacht haben. Der Mittfünfziger mit der kahlen hohen Stirn und dem weißen Haarkranz ist kein Geringerer als der Geschäftsführer einer der größten deutschen Filmproduktionsstätten, der ehemaligen DEFA in Potsdam-Babelsberg. Euromedien GmbH nennt sich das DEFA-Nachfolgeunternehmen, dessen Chef Couveinhes ist.
Nach dem Zusammenbruch der DDR landete die sozialistische Traumfabrik mit ihren Tausenden Beschäftigten bei der Treuhand. Der damalige Amtsleiter für Stadtentwicklung in Potsdam, der zuvor in Lübeck und Berlin-Wilmersdorf tätige Richard Röhrbein, sagt zu den Absichten der Treuhand: „Diese hatte nur ein Ziel, nämlich den Standort so teuer wie möglich – zum Ausgleich der Kosten der Vereinigung – zu verkaufen und für einen Bruchteil der Beschäftigten für eine bestimmte Zeit eine Arbeitsplatzgarantie festzuschreiben.“ Beim Kampf um den einen Quadratkilometer großen Medienstandort setzten sich die „General Des Eaux“ aus Paris bei der Treuhand durch. Hauptverantwortlicher der Franzosen in Potsdam war Monsier Pierre Couveinhes. Röhrbein war der „Verbindungsmann“ zu den Verantwortlichen der Stadt. Das DEFA-Areal drängte nach Entwicklung, denn neben wenigen historischen Bauten war es eine Ansammlung von Baracken und Provisorien.
Couveinhes und seine Leute wollten in Babelsberg einen „vertikalen Akzent“ setzen, denn beim Flug über Potsdam war das große DEFA-Gelände überhaupt nicht zu identifizieren. Aus einem schnell ins Leben gerufenen Architektenwettbewerb kam heraus, was der Vorgabe der Franzosen entsprach: Ein 120 Meter hohes nach Westen gerichtetes Hochhaus an der Großbeerenstraße – eine Art „Phallus-Symbol“ der Wende. „Turm zu Babel(sberg)“ titelten 1993 die PNN. Entworfen hatten es die beiden Pariser Architekten Denis Valode und Jean Pistre. Röhrbein erinnert sich: „Aber was für ein Hochhaus! Es war ein gläsernes Terrassenhaus mit teilweise zweigeschossigen Büros und integriertem Wintergarten; vom Babylon in Babelsberg war die Rede.“ Ein Videofilm aus einem Hubschrauber und eine Simulation des Terrassenhochhauses, des so genannten Medientowers, entstanden. Der Film zeigte in seiner vorletzten Sequenz einen Flug um die Kuppel der Potsdamer Nikolaikirche mit ihrer Laterne in 85 Metern Höhe. Und als letzte Sequenz erschien dann der „Turm von Babel“ als Simulation mit 120 Metern. „Wow, war die allgemeine Wirkung“, berichtet Röhrbein.
Monsier Couveinhes war begeistert. Und er teilte seine Begeisterung mit Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff, Geschäftsführer der Studio Babelsberg GmbH. Ministerpräsident Manfred Stolpe habe die Pläne von Valode & Pistre ebenfalls gut gefunden, sagt Röhrbein und auch er selbst sei von ihnen angetan gewesen. „Ich verkrachte mich mit meinem Dezernenten darüber.“
Dem Dezernenten für Stadtentwicklung, Peter von Feldmann, gefielen die Hochhauspläne nicht.
Und die Potsdamer hatten nur Spott für sie. In einer Stadt, in der per Order des Königs über zwei Jahrhunderte lang nur zweistöckig gebaut werden durfte, in der ein sechsstöckiges Wohnhaus in der heutigen Charlottenstraße bis zum DDR-Bauboom das höchste Wohnhaus der Stadt war und in der sich die Stadtvertreter nach der Wende auf die alte Stadtgestalt besinnen wollten, mussten die Hochhauspläne scheitern. Es hagelte Kritik von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, von der Denkmalpflege und von den Stadtverordneten im Bauausschuss. Letztere forderten einen neuen Wettbewerb.
Röhrbein: „Das bald folgende Wettbewerbsergebnis, wieder mit internationaler Besetzung, war eine Hochhausgruppe mit fünf Türmen, ein Hochhaus mit 65 Metern, vier weiteren mit 35 bis 45 Metern Höhenentwicklung.“ Die Jury hatte sich für einen Entwurf von Rob Krier, in Potsdam bekannt durch das Kirchsteigfeld, entschieden.
Doch auch Kriers Entwurf blieb Utopie. Als Abglanz utopischer Vorstellungen in den „sieben fetten Jahren“ nach der Wende blitzt immerhin der Komplex der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ an der Marlene-Dietrich-Allee auf. Dieser Bau sei ein „Glücksfall und ein Beitrag zur Baukultur in Potsdam“ urteilt der pensionierte Stadtbaudirektor Röhrbein.
Die „General Des Eaux“ zogen sich im Jahre 2000 aus Potsdam zurück. Monsier Couveinhes hochfliegende Visionen waren von der Realität eingeholt worden. Die Euphorie war verflogen und die Hoffnungen auf eine große Sofortvermarktung erfüllten sich nicht. Die unerwarteten Widerstände aus Potsdam selbst taten ihr Übriges.
Bei einem letzten gemeinsamen Spaziergang über das Babelsberger Filmpark-Gelände mit Bert Kahle und Richard Röhrbein aus der Bauverwaltung verabschiedete sich der französische Manager von seinen Mitstreitern in der Potsdamer Verwaltung mit den Worten: „Haben Sie gesehen? Keine Baracke mehr auf dem weiten Gelände und alles bestens erschlossen.“ Dies konnte der Franzose in aller Bescheidenheit mit Genugtuung feststellen, ehe er sich neuen Aufgaben in der globalen Welt zuwandte.
Wer einen bisher nicht verwirklichten Architektur-Entwurf für die PNN-Serie „Luftschlösser“ vorschlagen möchte, meldet sich unter Tel.: (0331) 2376 134, Fax: (0331) 23 76 300 oder per E-mail an lokales.pnn@pnn.de.
Günter Schenke
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: