DASwar’s: Piroggen und Brasilien
Eigentlich sollte ich gar nicht hier sein. Sondern in Brasilien.
Stand:
Eigentlich sollte ich gar nicht hier sein. Sondern in Brasilien. Zumindest hatte ich das angekündigt, vor ziemlich genau acht Jahren auf dem Luisenplatz. Damals war dort ein ukrainisches Dorf aufgebaut, weil Potsdam während des deutschen Sommermärchens 2006 die ukrainische Fußball-Nationalmannschaft beherbergte. Überall hingen Fernseher und Leinwände und Public Viewing wurde ein deutsches Kulturgut, wobei wir etwas unsicher waren, ob Viewing nun mit weichem oder hartem V gesprochen wird.
Sicher war indes, dass es auf dem Luisenplatz ukrainische Wurstsuppe und ukrainisches Bier gab und Letzteres wohl seinen Anteil daran hatte, dass ich meinem damals elfjährigen Sohn vor lauter Sommermärcheneuphorie erklärte, dass wir zur übernächsten Weltmeisterschaft nach Brasilien fahren.
Es gäbe bestimmt eine Reihe tauglicher Erklärungen, weshalb wir jetzt nicht an der Copacabana sind: Kein schulfrei, keine Tickets, zu viel Arbeit, zu wenig Geld, zu weit, zu warm, mein Sohn zu jung, ich zu alt, keine Zeit.
Keine Zeit? Ich meine, ich hatte schließlich acht Jahre zum Planen, das schien zu unendlich lang. Was ist passiert? Vor acht Jahren, als Deutschland zum WM-Auftakt gegen Costa Rica spielte, gab es in Potsdam noch ein Böhmisches Weberfest. Zwischen WM-Achtel- und Viertelfinale wurde in Potsdam die bedeutsame Festlegung getroffen, dass die Mauern des damals noch geplanten Landtags auf dem Alten Markt dicker sein dürfen als die des Schlosses 300 Jahre zuvor. Wahnsinn. Jens Lehmann machte sein Tor dicht und hielt gegen Argentinien zwei Elfmeter. Vor acht Jahren ist das Hans Otto Theater in die Schiffbauergasse gezogen. Einen Tag nach dem bitteren Halbfinal-Aus der deutschen Elf gegen Italien wurde begonnen, in ganz Europa Baukonzerne zu fragen, wer das alte Schloss als Landtag aufbauen will. Italien wurde Weltmeister und die Deutschen hatten am Ende des Sommermärchens die Welt gewonnen, die dachte, dass wir stets fröhlich sind, feiern und schwarz-rot-goldene Socken tragen.
Inzwischen ist Spanien Weltmeister. Holländer haben Potsdams Landtagsschloss aufgebaut – mit dicken Wänden. Es gibt jetzt Pförtnerampeln, vegane Restaurants und einen Laden für italienische Espressomaschinen. Am Luisenplatz isst man jetzt asiatische Spezialitäten statt Piroggen. Ich passe in die T-Shirts von meinem Sohn, er in meine Schuhe. Er spricht inzwischen französisch, ich immer weniger russisch. Und deshalb gibt es jetzt einen neuen Plan. Zur nächsten Fußball-WM fahren wir nach Russland. Das klingt gewagt, ich weiß. Aber in vier Jahren in Moskau Weltmeister werden, klingt irgendwie machbarer als in diesem Jahr in Brasilien zu gewinnen.
Peter Könnicke ist freier Journalist und arbeitet als Lauf- und Fitnesstrainer.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: