Landeshauptstadt: Potsdam als Schimpfwort
Stadtforum debattierte Landeshauptstadt-Funktion: Patenschaften für neidische Randregionen?
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Wird Potsdam seiner Verantwortung als Landeshauptstadt gerecht? Dieses brisante Thema behandelte am Donnerstagabend im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte das Stadtforum, ein aus hochrangigen Fachleuten zusammengesetztes Beratungsgremium. Erich Jesse, Chef des Sanierungsträgers Potsdam, sieht diese Rolle vornehmlich als „Schaufenster“ für das Land, also auch für die dahinsiechenden Randregionen. Oberbürgermeister Jann Jakobs hatte dazu praktische Vorschläge parat, so die Einrichtung einer Dependance in der Brandenburger Straße, in der die Landkreise sich präsentieren und um Investoren und Touristen werben können.
Zuvor waren von Prof. Ulf Matthiesen, Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung Eberswalde, allerdings viel weiter gehende Ideen vorgebracht worden. Für ihn steht fest, dass Brandenburgs Regionen auf lange Zeit durch eine ungleiche Entwicklung zwischen Wachstum, Stagnation und Rückgang geprägt werden. Die „Starken“ im Speckgürtel um Berlin müssten den „Schwachen“ helfen. Matthiesen empfahl, dass Potsdam zeitweilige Patenschaften über Landstädte übernimmt und „Raumpioniere“ an die Peripherie entsendet, die dort für Aufschwung sorgen. Darum bemühe sich die Potsdamer Fachhochschule bereits, erklärte Rektorin Prof. Dr. Helene Kleine, in dem sie ihren nach Berlin strebenden Absolventen auch die Prignitz oder die Niederlausitz als Arbeitsfelder empfiehlt.
Unwidersprochen blieb Matthiesens Vorstoß allerdings nicht. Für Frankfurt (Oder) wünscht sich Oberbürgermeister Martin Patzelt Potsdam keineswegs als „zeitweilige Patentante“. Notwendig seien keine „Carepakete“, sondern langfristige Kooperationen zu beiderseitigem Nutzen. Beispiel für eine solche Kooperation könnte der Theaterverbund zwischen Potsdam, Brandenburg und Frankfurt (Oder) sein. Über dessen Funktionieren malte der Brandenburger Intendant Christian Kneisel jedoch ein Schreckensbild. Ausgerechnet der strukturschwachen alten Hauptstadt der Mark habe man mit dem Musiktheater die anspruchsvollste Sparte übertragen. Eine Personalreduzierung auf 24 Prozent und verspätet eingehende Zuwendungen ließen die Aufgabenstellung illusorisch erscheinen, für den Verbund jährlich fünf bis sechs Opern und Operetten zu inszenieren. Der Brandenburger Stadtverordnete Friedrich von Kekule nahm erneut zum Problem einer Landeskunsthalle Stellung. Den Landeshauptstädtern könne durchaus zugemutet werden, hochrangige Ausstellungen in Brandenburg zu besuchen. Potsdam brauche deshalb eine solche Kunsthalle nicht.
Er wolle die Bevorzugung der Landeshauptstadt bei der Förderung nicht in Frage stellen, notwendig sei aber die Einhaltung der Verhältnismäßigkeit, erklärte Martin Patzelt unter anderem im Hinblick auf das geplante Spaßbad. Mit einem „Schaufenster Potsdam“ sei dem Land nicht gedient, wenn dahinter die Läden leer stünden. Er fordert die Potsdamer Kommunalpolitiker auf, ihre „arrogante Haltung“ aufzugeben. Bisher wende Potsdam Berlin das Gesicht und dem Land die Kehrseite zu. Ihm sekundierte der Potsdam-Korrespondent der Märkischen Oderzeitung, Ulrich Thiessen. An der Oder sei der Name Potsdam ein Schimpfwort, behauptete er und forderte eine genaue Abrechnung der der Stadt vom Land zufließenden Hauptstadtmittel. Werders Stadtoberhaupt Werner Große folgte lächelnd der Diskussion, denn die finanziell gesunde, aufstrebende Blütenstadt profitiert ungemein von der Nähe zu Berlin und Potsdam. Große forderte einen schnellen Bau des Potsdamer Spaßbades, den dies sei eine auch für die Werderaner wichtige Investition und koste sie zudem keinen Cent.
Oberbürgermeister Jakobs bot seinen Amtskollegen schließlich weitere Kooperationen an, so die Beteiligung an Auftritten bei Immobilien- und Tourismusmessen. An einem ließ er allerdings nicht rütteln: Wer die Funktion der Landeshauptstadt als „Schaufenster“ für das Land befürworte, der könne nicht eine entsprechende Ausstattung mit Spaßbad und Kunsthalle verneinen. Die im Land weit verbreitete „Neiddiskussion“ sei deshalb fehl am Platz. Erhart Hohenstein
Erhart Hohenstein
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