Landeshauptstadt: Potsdam droht der Verlust von Spitzen-Start-ups
Erfolgreiche Forschungsfirmen müssen das Gründerzentrum Go:in verlassen. Für zusätzliche Räume fehlt der Stadt das Geld
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Golm - Potsdam drohen rund 50 hoch qualifizierte Arbeitsplätze verloren zu gehen. In diesen Tagen sollen die Kündigungen an vier Firmen im Gründerzentrum Go:in in Golm herausgehen. Für die Firmen, die seit 2007 in den Räumen und Laboren zu günstigen Konditionen arbeiten, läuft der achtjährige Förderzeitraum aus. Da es vor Ort keine weiteren Räumlichkeiten gibt, müssten die Firmen ab 2015 Potsdam verlassen. Ausweichstandorte liegen in Berlin, in Adlershof oder Buch. „Allen muss klar sein: Wer jetzt wegzieht, kommt nicht mehr wieder“, sagte die Potsdamer SPD-Bundestagsabgeordnete Andrea Wicklein. „Wir müssen die Firmen unbedingt hier halten, denn sie sind ein Gewinn nicht nur für Potsdam, sondern insgesamt für den Wissenschaftsstandort Brandenburg.“
So einfach ist das aber nicht. Ein Dringlichkeitsantrag der Potsdamer SPD-Fraktion sieht einen Aufschub der Kündigungen vor, was rechtlich schwierig ist, weil bei Vertragsbruch die Rückzahlung der Fördermittel fällig würde. Zudem müssten Ausweichquartiere für die betroffenen Firmen möglichst schnell geschaffen werden, da sie zum Ende des Jahres aus den Laboren heraus müssen. Betroffen sind aktuell vier der 22 im Go:in ansässigen Firmen: Ripac, Nanolytics, Gilupi sowie MK Factory (siehe Kasten).
In dem von der Stadt betriebenen und vom Land geförderten Gründerzentrum können sich Firmen für maximal acht Jahre einmieten. Den Firmen, die mittlerweile auf eigenen Füßen stehen, ist viel daran gelegen, in Golm zu bleiben. So sagte die Geschäftsführerin des expandierenden Unternehmens für veterinärmedizinische Infektionsdiagnostik Ripac, Dagmar Köhler-Repp, dass vor allem Netzwerke mit ansässigen Forschungseinrichtungen für einen Verbleib in Golm sprächen. Die Firma mit 21 Mitarbeitern hatte 2013 eine Bilanzsumme von 1,68 Millionen Euro. Das Start-up für maßgeschneiderte Impfstoffe im Bereich der Tierhaltung hat aktuell große Pläne. Das Ripac-Labor hat sich an einer Ausschreibung des Bundes zur Bekämpfung multiresistenter Bakterien in der Tierhaltung beteiligt. Der Zuschlag wäre ein großer Wurf für die wachsende Firma.
„Jetzt müssen ganz schnell Ergebnisse her“, forderte Wicklein. Aktuell laufen nach PNN-Informationen Verhandlungen. Es werde geprüft, welche Möglichkeiten kurzfristig machbar sind. In Golm gibt es erhebliches Potenzial für Ausgründungen im wissenschaftsnahen Bereich. Mehrere Fraunhofer- und Max-Planck-Institute sowie die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät der Uni Potsdam bringen entsprechende Start-ups hervor. Langfristig werde sogar ein zweites Gründerzentrum gebraucht, war von den Betreibern zu erfahren, Anfragen gebe es genug. Die Förderkriterien des Landes sehen das zurzeit allerdings nicht vor.
Auch Peter H. Seeberger, Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, der gerade ein Verfahren zur Produktion von kostengünstiger Malaria-Medizin entwickelt hat, steht mit einem neuen Projekt in Golm vor Platzproblemen. Der Chemiker mit Weltrang plant eine neue Ausgründung für Impfstoffe. Allerdings sei man nun gezwungen, nach Berlin auszuweichen. „Räume in unmittelbarer Nähe zu Golm wären natürlich wesentlich besser“, so Seeberger, der auch Sprecher im Cluster Gesundheitswirtschaft Berlin-Brandenburg ist. Es sei wichtig, dass die Politik weitere Flächen zur Verfügung stellt. Denn die Gründerfirmen aus dem Go:in könnten nach Auslaufen der Förderphase vor Ort wichtige High-Tech-Arbeitsplätze etablieren. „Ziel muss es sein, dass von den Fördergeldern der Forschung etwas in die lokale Volkswirtschaft zurückkommt.“ Und Seeberger ist sich sicher: „Wir haben hier exzellent ausgebildete Leute, die gerne hierbleiben würden.“ Es sei schade, wenn die nach Süddeutschland oder ins Ausland abwandern würden.
„Wir Potsdamer vergeben uns eine große Chance, vermehrt forschungsnahe Produktionen in Golm anzusiedeln, wenn der Nukleus der gerade entstanden ist, nicht weiter ausgebaut wird“, so der Golmer Standortmanager Friedrich Wilhelm Winskowski. Denn in den nächsten Jahren werden alle der 22 geförderten Firmen das Go:in vertragsgemäß verlassen müssen. Die Fläche zum Bauen für weitere Räume sei zwar vorhanden, so Winskowski. Auch Konzepte der Wissenschaft für neue Gebäude lägen vor, doch es fehle am Willen der Stadt, nach geeigneten Investoren zu suchen.
Das sieht man bei der Stadt anders. Wirtschaftsförderer Stefan Frerichs sucht nach eigenen Worten bereits seit Längerem intensiv nach einer Lösung. Investoren zu finden, sei schwierig, weil die niedrige Rendite von Gründerzentren nicht attraktiv sei. Erschwerend hinzu komme, dass Bankkredite für Gewerbebauten nur gewährt würden, wenn vorab ausreichend viele verbindliche Zusagen von Mietern vorlägen. Aufgrund der kleinteiligen Struktur der hiesigen Firmen bräuchte man rund 30 Zusagen. Bei einem Vorlauf von mindestens zwei Jahren würden kleine Firmen sich eher woanders etwas suchen. Die Kosten für ein entsprechendes Gebäude schätzt Frerichs auf zehn bis 15 Millionen Euro, rund drei Millionen Euro davon müsste die Stadt aufbringen. Dies aus Investitionsmitteln zu erhalten, sei nicht absehbar, da Pflichtaufgaben wie Schulen und Infrastruktur Vorrang hätten. Frerichs gibt aber zu bedenken, dass Ausgaben für Firmenräume die Finanzlage der Stadt langfristig verbessern, da sie stabile Steuereinnahmen versprechen. So ließen sich auch Baukosten aus Steuereinnahmen refinanzieren.
Aktuell laufen mit der Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB) Gespräche über einen Aufschub der Kündigungen. „Doch wenn wir nicht zeitgleich eine endgültige Lösung finden, wird das Problem nur in die Zukunft verschoben“, so Frerichs. Letztlich könne die Stadt nur zusammen mit dem Land und den Firmen selbst handeln. Eine andere Option wäre, dass eine Firma mit einem großen Auftrag ein Gebäude errichtet und Räume an andere Unternehmen vermietet. „Darauf können wir aber nicht warten“, so Frerichs. „Wir müssen jetzt den Knoten durchschlagen.“
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