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Der PNN-Newsletter von Sabine Schicketanz.

© Grafik Tsp/Tagesspiegel

Potsdam Heute, 15. November 2024: Krise beim Potsdamer Bürgerservice spitzt sich zu

Die interessantesten Themen und News, die wichtigsten Termine. Alles, worüber Potsdam spricht, im PNN-Newsletter „Potsdam Heute“.

Stand:

Guten Morgen,

heute ist Freitag, doch denken wir uns zwei Tage zurück: Es ist ein ganz gewöhnlicher Mittwoch in Potsdam. In der Yorckstraße stehen die Menschen am frühen Morgen in der Kälte in einer langen Schlange auf dem Gehweg. Auch das leider gewöhnlich. Sie stehen an, um einen Termin beim Bürgerservice zu bekommen. Seit Monaten geht das schon so, Mittwoch für Mittwoch.

Mitten zwischen ihnen an diesem Tag: Meine Kollegin Lena Schneider, Kulturredakteurin der PNN. Und so beginnt ihr Text, den sie über den „unfreiwilligen Selbstversuch“ geschrieben hat (T+), einen Reisepass für ihre Tochter zu beantragen: 

Ein junger Mann kommt auf seinem Fahrrad vorbei und ruft: „Gibt’s hier was kostenlos?“ Nein, nicht mal das. Worauf wir warten, kostet zwar kein Geld, aber Lebenszeit. Wir stehen an nach einem Termin beim Bürgeramt. Oder besser: nach der Möglichkeit nach einem Termin. Ob es klappt, weiß keiner. Online gibt es schon seit langem keine mehr bis März, also bleibt die letzte und verzweifeltste aller Möglichkeiten, der „terminfreie Mittwoch“.

Nach etwa 30 Minuten, wir haben einige Meter in Richtung Ziel geschafft, tritt ein Mann in sportlicher Kleidung aus der Tür. Er sieht freundlich aus, schaut sich die Schlange an. Ein Zaungast, denke ich noch, er wirkt etwas mitleidig. Dann sagt er halblaut: „Es tut mir leid, es gibt für heute keine Termine mehr.“ Es ist kurz nach 9.30 Uhr. Das Amt hat vor anderthalb Stunden geöffnet.

Empörung unter den Wartenden. Mal leiser, mal lauter. „Ich muss beruflich nach Indien“, sagt ein Mann, in zivilisierter Verzweiflung. „Wie soll ich das meinem Arbeitgeber erklären?“ Ein anderer ist weniger zivilisiert. „Das ist Staatsterror!“, ruft er immer wieder. „Staatsterror!“ Wie aggressiv das klingt, fällt auch anderen auf. „Wollen Sie mir vorschreiben, wann ich aggressiv zu sein habe?“, fährt er seinen Nachbarn an.

Lena Schneider beschreibt eindringlich weiter, wie sich auch in ihr die Wut ausbreitet, wie ansteckend die Aggression wirkt.

Das ist offenkundig nicht selten der Fall am Bürgerservice. Das Sicherheitspersonal, das am vergangenen Mittwoch den „Staatsterror“-Rufer beruhigen kann, ist seit dem 30. Oktober aufgestockt.

Denn an diesem Tag eskalierte die Lage. Was sich genau zugetragen ist, ist unklar. Doch Augenzeugen schilderten den PNN, dass ein „wütender Mob“ die Räume „gestürmt“ habe (T+). Sämtliche Termine waren laut der Zeugen gegen Mittag bereits vergeben. Vor dem Haus wartete jedoch eine größere Menge – und Frust und Wut breiteten sich aus. Zwei Mitarbeiterinnen sollen bedrängt und beschimpft worden sein.

Der Vorfall habe „zu einer erheblichen Verunsicherung bei den Beschäftigten“ geführt, sagte Stadtsprecherin Juliane Güldner. Die Mitarbeitenden hätten nach dem Vorfall eine psychologische Betreuung erhalten. Von sich aus hatte das Rathaus die Eskalation, bei der es zu verbaler Gewalt gekommen sein soll, aber nicht kommuniziert

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Die entscheidende Frage ist: Wie konnte es so weit kommen? Wie konnten die Verantwortlichen im Rathaus sich monatelang Mittwoch für Mittwoch die bei Wind und Wetter Schlange stehenden Menschen anschauen, darunter Alte und Frauen und Männer mit Kindern, und nichts tun, das Abhilfe schafft?

Erst jetzt, vor knapp drei Wochen, wurde eine Neuerung verkündet: In der Wilhelmgalerie soll es ab 2. Dezember täglich „terminlose“ Bearbeitung von Bürgeranliegen geben. 

Ob sich damit die Lage bessert? Hoffnung darauf gab es schon sehr oft in den vergangenen zehn (!) Jahren, in denen sich die Bürgerservice-Krise immer mehr zugespitzt hat. Leider war sie bislang nicht berechtigt. Was half, währte immer nur kurz. Hier lesen Sie die Rückschau auf eine Krise mit Ansage, Eskalation jederzeit möglich (T+).

PNN-Reporter Henri Kramer hat außerdem Tipps und Tricks gesammelt für alle, die trotz der Misere einen Bürgerservice-Termin brauchen – oder dringend einen ReisepassWie Sie trotz der Bürgerservice-Krise zu Pass, Ausweis oder Termin kommen, steht für Sie hier (T+).

Was Sie noch wissen sollten: 

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