Dicke Luft: Potsdam: Spitze bei ungesunder Luft
Die Zeppelinstraße hat die höchste Feinstaubbelastung von Deutschlands Straßen. Die Andere will jetzt gegen die Stadt klagen, aber das Rathaus weist die Vorwürfe zurück.
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Dicke Luft in Potsdam: In der Landeshauptstadt atmen die Bewohner im Vergleich zu anderen deutschen Städten überdurchschnittlich viele Schadstoffe ein. Das belegen neue Zahlen der Weltgesundheitsorganisation WHO, aber auch des Umweltbundesamts. Danach befindet sich Potsdam – eigentlich gibt es hier nur wenig Industrie, dafür aber viele Parks – in der Spitzengruppe der deutschen Städte mit besonders viel Luftverschmutzung. In dieser Situation hat die linksalternative Stadtfraktion Die Andere jetzt eine Klage gegen die Stadt angekündigt, weil die Verwaltung gegen die ungesunde Luft nichts unternehme. Doch das Rathaus weist die Vorwürfe zurück.
Dabei sind die Zahlen eindeutig. So ist laut Umweltbundesamt in der Zeppelinstraße der geltende Grenzwert für Feinstaub dieses Jahr schon 39-mal überschritten worden – erlaubt sind 35-mal. Nur in Gelsenkirchen, Leipzig, München, Herne und Halle sind die Grenzwerte in diesem Jahr öfter verletzt worden. Selbst in Berlin kommt der Mariendorfer Damm nur auf 33 Überschreitungen.
Im vergangenen Jahr hatte es in der Zeppelinstraße 37 Überschreitungen gegeben – und 40 in der Großbeerenstraße. Dort sind die Grenzwerte in diesem Jahr bisher 25-mal verletzt worden. Jüngst hatte zudem eine neue weltweite Untersuchung der WHO zur Luftverschmutzung in Städten ergeben, dass Potsdam zusammen mit Duisburg, Augsburg und Erfurt in der Gruppe der deutschen Städte mit dem sechsthöchsten Jahresmittel von 25 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter liegt. Die Daten dafür stammen allerdings aus dem Jahr 2008. Feinstaub entsteht durch Emissionen von Autos sowie als Folge von Bodenerosion oder Baustellen und begünstigt das Auftreten von Atemwegs- und Herzkreislauferkrankungen.
Ebenso problematisch ist in Potsdam die Belastung mit Stickstoffoxid (NO2). Auch hier wird wie 2010 mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Großbeeren- und der Zeppelinstraße der vorgeschriebene Jahresmittelgrenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter überschritten, wie Daten aus dem Landesumweltamt (LUA) belegen (PNN berichteten). Das Gas entsteht als Verbrennungsrückstand und greift Atemschleimhäute an.
So hoch sind die Werte, dass Brandenburgs Umweltministerium zuletzt die EU-Umweltbehörde gebeten hat, Potsdam noch bis 2015 Zeit zu geben, um die NO2-Grenzwerte einzuhalten. Dabei sollen Maßnahmen wie bessere Ampelsteuerungen für „grüne Wellen“ helfen. Diese finden sich im Luftreinhalteplan, den die Stadt gerade mit dem LUA überarbeitet. Eine Umweltzone, die besonders schmutzige Autos ausschließt – wie in Berlin laut Darstellung des Senats mit Erfolg praktiziert – lehnt die Stadtverwaltung aber ab: Wegen seiner besonderen Verkehrslage müsste ganz Potsdam zur Umweltzone erklärt werden. Etliche Sonderregelungen, etwa für Lieferverkehr von Lastwagen, wären nötig, so das Rathaus in der Vergangenheit. Und sowieso: Berechnungen zeigten bereits, dass ab 2015 die Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid „sicher eingehalten werden können“, betonte jüngst eine LUA-Sprecherin. Eine Antwort der EU – die theoretisch Strafzahlungen verhängen könnte – auf den Wunsch nach mehr Zeit wird nächstes Jahr erwartet.
Darauf will die Fraktion Die Andere nicht mehr warten. Sie hat diese Woche erklärt, mit Anwohnern der Zeppelin- und der Großbeerenstraße die Stadt Potsdam zu verklagen, um Sofortmaßnahmen gegen die Feinstaubbelastung zu erzwingen. Seit Jahren habe das Rathaus nichts unternommen, um den Autoverkehr zu reduzieren, sagt Andere-Stadtverordneter Sven Brödno, der selbst an der Zeppelinstraße wohnt. Und er kritisiert: Obwohl die Stadt wachse, sei der Zuschuss fürs Verkehrsunternehmen ViP reduziert worden.
Die Stadt bestreitet das. So würden die Zuschüsse für den ViP von circa 17,1 Millionen Euro in 2008 auf 20,7 Millionen Euro in 2014 steigen. Dazu komme der Kauf von 18 Niederflurbahnen. Auch der Anteil des Fahrradverkehrs steige langsam und betrage schon jetzt mit 20 Prozent mehr als im Bundesschnitt, erklärte Stadtsprecher Jan Brunzlow. Für bessere Luft werde der Luftreinhalteplan abgearbeitet. Zugleich sagte Brunzlow, in der Zeppelinstraße seien 19 der 37 im Jahr 2010 gemessenen Grenzwertüberschreitungen die Folge von nach Potsdam gewehtem Feinstaub: So seien die extrem hohen Werte im Januar und Februar 2010 „zweifelsfrei“ durch die winterliche Ostströmung der Luft und dem damit verbundenen „Feinstaubtransport“ hervorgerufen worden. Die Häufigkeit bestimmter Wetterlagen beeinflusse „maßgeblich“ die Zahl der Grenzwertüberschreitungen. Zu dem Problem befinde sich das Land Brandenburg mit Polens Umweltbehörden im Dialog. Brödno von Die Andere kritisierte, die Stadtpolitik beschränke sich darauf, „auf feuchte Witterung zu hoffen“.
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