
© Andreas Klaer
Von Jana Haase: Potsdamer Christkinder
Der Baby-Boom in der Landeshauptstadt war auch 2010 ungebrochen. Am Heiligabend erwarten die zwei Potsdamer Krankenhäuser elf „Christkinder“ – sogar Weihnachts-Zwillinge könnten darunter sein
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Innenstadt – Friedrich Dreßler schüttelt den Kopf. Diese Frau musste er gestern Vormittag wieder nach Hause schicken, unverrichteter Dinge. „Tun Sie etwas, damit ich zu Weihnachten Ruhe habe“, hatte die Hochschwangere den Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am Ernst-von-Bergmann-Klinikum regelrecht bekniet. Aber es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, bei denen Friedrich Dreßler weder seinen Doktortitel noch die Chefarzt-Autorität spielen lassen kann. Wann ein neues Leben beginnt, das lässt sich eben nicht einfach planen. „Es kann heute, morgen oder übermorgen passieren“, konnte Dreßler der werdenden Mutter nur mit auf den Weg geben. „Die Kinder kommen, wann sie wollen – und auf diese Freiheit stellen wir uns hier gern ein“, sagt der Mediziner, der bereits seit 1967 in der Geburtshilfe arbeitet.
Für eine andere Mutter war die Zeit des Wartens und der Vorbereitung auf den Familienzuwachs am gestrigen Donnerstag dafür vorbei: das 1711. Neugeborene in diesem Jahr hat Dreßlers Team am Ernst-von-Bergmann-Klinikum entbunden. Zwischen vier und sechs Geburten werden für den heutigen Heiligabend erwartet. Wenn alles wie geplant laufen würde, dann wären sogar Weihnachts-Zwillinge darunter.
Auch die Hebammen am katholischen St. Josefs-Krankenhaus Potsdam-Sanssouci stellen sich auf eine lebhafte Weihnachtsschicht ein: dort haben fünf Frauen rund um den Heiligabend den „errechneten Termin“ für die Entbindung. Bereits am frühen Dienstagmorgen konnte die Geburtshilfliche Abteilung das 500. Kind in diesem Jahr begrüßen: 3185 Gramm schwer war Janne Linus Engelke, als er zu nachtschlafender Zeit um 2.24 Uhr das Licht der Welt erblickte. „Damit haben wir erstmals die magische Grenze von 500 Babys überschritten“, freut sich Gerald Oestreich, der geschäftsführende Direktor des St. Josefs-Krankenhauses, über die gestiegenen Geburtenzahlen.
Der Baby-Boom in der Landeshauptstadt, soviel ist Ende Dezember schon sicher, hält weiter an. Die genauen Zahlen für das zum „Jahr der Familie“ ausgerufene 2010 hat Potsdams Chef-Statistiker Matthias Förster zwar erst im kommenden Frühling auf dem Tisch, in den ersten drei Quartalen liegt die Stadt jedoch bereits leicht über dem Vorjahresniveau: 1282 Kinder wurden demnach von Januar bis September 2010 geboren, im Vergleichszeitraum 2009 waren es noch 1265.
Förster geht davon aus, dass Potsdam auch im Gesamtergebnis für 2010 „leicht“ über der Vorjahresmarke von 1635 Neugeborenen landet. Seit dem Nachwende-Tief Anfang der 1990er Jahre hat sich die Geburtenzahl damit verdreifacht und beinahe das Niveau von 1990 wieder erreicht. Dass die aktuellen Zahlen der zwei großen Krankenhäuser bereits jetzt weit darüber liegen, ist kein Widerspruch: denn hier entbinden auch Frauen aus den Umlandgemeinden.
Für den Betrieb auf den beiden Geburtsstationen macht das Kalenderdatum eigentlich keinen Unterschied. Und doch ist der heutige Heiligabend für Annika Bader kein Arbeitstag wie jeder andere: Die 32-jährige Hebamme hat Rufbereitschaft am St. Josefs-Krankenhaus. Wenn ihre Hilfe gebraucht wird, muss sie heute die häusliche Weihnachtsrunde verlassen und sofort in den Kreißsaal in der Allee nach Sanssouci kommen. „Ich würde mich total freuen, wenn ich gerufen werden würde“, gestand sie gestern.
„Ein Weihnachtsbaby, das ist natürlich etwas besonderes“, sagt die Berlinerin. 2009 war sie dabei, als ein Kind an Heiligabend zur Welt kam – es war das zweite Weihnachtsbaby während ihrer neunjährigen Berufszeit in der Geburtshilfe. „So etwas bleibt in Erinnerung, die Eltern haben sich erst neulich wieder bei mir bedankt“, erzählt sie. Ohne eigene Kinder bereite es ihr besonders viel Freude, „gemeinsam mit werdenden Eltern ein Stück weit am Familienglück teilzuhaben“, sagt die Hebamme.
Auf ein Weihnachten mit der Familie und ihrem Sohn muss Luisa Grebenstein, die während der zwölfstündigen Tagesschicht am St. Josefs heute die diensthabende Hebamme ist, auf jeden Fall verzichten: „Wir machen das dann so, dass wir dafür Silvester zusammen feiern“, sagt die 45-Jährige, die bereits auf 28 Jahre im Beruf zurückblickt.
Ein wenig feierliche Stimmung machen sich die Geburtshelferinnen über Weihnachten auch auf Station: Längst ist alles festlich geschmückt, Kerzen sind zwar nicht erlaubt, dafür gibt es einen Weihnachtsbaum. „Wenn es die Zeit hergibt, setzen wir uns morgen gemütlich zusammen, jeder bringt etwas zum Essen mit“, erzählt Luisa Grebenstein.
Auch für Gynäkologie-Chefarzt Dreßler vom Bergmann-Klinikum ist der Heiligabend „natürlich nicht ein Tag wie jeder andere – egal, wie man es mit der Religion hält“. Die Zeiten, in denen junge Mütter am 24. Dezember mit einem Männerchor-Konzert und einem kleinen Geschenk bedacht wurden, wie eine Potsdamerin noch von ihrer Heiligabend-Entbindung im Jahr 1981 erzählt, sind jedoch vorbei. Immerhin, geschmückt sind die Zimmer im Bergmann-Klinikum heute auch, und der Blick auf die verschneiten Bäume vor dem Fenster sei in diesem Jahr „einfach schick“, findet Friedrich Dreßler.
Trotz der aufregenden Ausnahmesituation, in der die werdenden Eltern zu ihm kommen, bemühe sich sein Team, „die gute Stimmung weiterzugeben“, erklärt der Mediziner. „An so einem Tag wünschen wir uns noch mehr als sonst gesunde Kinder und glückliche Mütter und Väter“, sagt Dreßler: „Ein Christkindchen ist für jeden etwas Besonderes, nicht nur für die Eltern.“
Zweimal gab es dieses besondere Glück im vergangenen Jahr in Potsdam, wie Stadtsprecherin Rita Haack den PNN sagte. Ob sich auch die vier Potsdamer, die heute zehn Jahre alt werden, noch so über ihr Geburtsdatum freuen, darf jedoch bezweifelt werden: ist an eine Party mit Schulfreunden doch überhaupt nicht zu denken. Die drei Potsdamer, die heute ihren 80. feiern, dürften mit diesem Problem wiederum bereits ihren Frieden gemacht haben.
Elf „Christkinder“ könnten heute in Potsdam zur Welt kommen – und wenn sie dem unter Potsdamer Eltern in den vergangenen Jahren beliebten Trend zum biblischen Vornamen folgen, heißen die Mädchen vielleicht Anna, Hannah oder Lena, die Jungen Elias, Lukas oder Niklas.
Zumindest ein Potsdamer Weihnachtskind ist nach Einschätzung von Annika Bader so gut wie sicher, und das ganz ungeplant. Am Donnerstagnachmittag habe sich eine Hochschwangere im Krankenhaus gemeldet – mit Blasensprung. „Das müsste jetzt schon ganz schnell gehen, damit das kein Weihnachtsbaby wird“, sagte die Hebamme.
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