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Wahlplakate von Severin Fischer (SPD) und Noosha Aubel (parteilos) für die Potsdamer Oberbürgermeisterwahl.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

Potsdamer Kommunalwissenschaftler ordnet ein: Ist der Mogel-Vorwurf gegen Noosha Aubel berechtigt?

Der Politikwissenschaftler Peter Ulrich erklärt den Unterschied zwischen „parteilosen“ und „überparteilichen“ Kandidaten und ordnet die SPD-Vorwürfe im OB-Stichwahlkampf ein.

Stand:

Gegen die parteilose Potsdamer OB-Kandidatin Noosha Aubel, die von den Grünen, der linksalternativen Wählergruppe Die Andere, dem Potsdamer BSW-Ableger BfW, Volt und Die Partei unterstützt wird, gibt es im Stichwahlkampf von der Gegenseite um den SPD-Bewerber Severin Fischer Kritik. Beanstandet wird vor allem ihr Gebrauch des Begriffs „Überparteilichkeit“.

Wie berichtet, hatte Potsdams Interims-Rathauschef Burkhard Exner in einer SPD-internen Chatgruppe geschrieben, wenn Aubel sich als „überparteiliche Frauenkandidatur“ präsentiere, sei das „gemogelt“. In einem „Bürgerbrief“ der SPD-Ex-Oberbürgermeister Matthias Platzeck und Jann Jakobs wurde Aubel als „Kandidatin von Bündnis 90/Die Grünen und einer extrem Grünen (sic) Wählergruppe“ bezeichnet.

Sind Zweifel an der von Aubel postulierten Überparteilichkeit gerechtfertigt? Schließt eine Überparteilichkeit die Unterstützung durch Parteien aus? Die Potsdamer Neuesten Nachrichten (PNN) haben den promovierten Kommunalwissenschaftler Peter Ulrich von der Universität Potsdam um seine Einschätzung gebeten.

Herr Ulrich, was versteht man im Kontext von Kommunalpolitik/Stadtoberhäuptern unter „Überparteilichkeit“? Gibt es das überhaupt? Welche Kriterien müssen erfüllt sein, damit ein OB „überparteilich“ ist?
In der Kommunalpolitik Brandenburgs gibt es Parteien, politische Vereinigungen, Wählergruppen und Einzelbewerber. Diese können auch nach dem Paragraph 69 Absatz 1 im Brandenburgischen Kommunalwahlgesetz Wahlvorschläge für die Wahl von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern sowie Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeistern machen. Politische Vereinigungen, Wählergruppen und Einzelbewerber sind – wenn sie nicht parteiangehörig sind – parteilos.

„Überparteilich“ gibt es daher nicht als formelles Konzept in der Kommunalpolitik. Es ist eher als ein informelles, weiches Konzept zu verstehen, was sich auch auf den grundsätzlichen formellen Zustand der Parteilosigkeit bezieht, zusätzlich aber noch darauf hinweist, dass Kandidierende verschiedene Themen oder Schwerpunkte ansprechen, die von verschiedenen Parteien getragen werden und dass sie von diesen – wie auch immer ausgeprägt – unterstützt werden, wenn keine eigenen Kandidierenden ins Rennen geschickt werden.

Was unterscheidet eine „überparteiliche“ Kandidatin von einer „parteilosen“?
Das Wort der Überparteilichkeit soll zum einen darauf verweisen, dass die Person nicht in einer Partei ist, aber dafür viele Positionen mehrerer Parteien aufgreift, um möglichst eine große Breite an Zustimmung und einen common sense zu suggerieren. Zudem offenbart der Begriff, dass eine wie auch immer ausgeprägte Unterstützung mehrerer Parteien besteht. Eine überparteiliche Kandidatin ist demnach nicht nur formell parteilos, sondern wird politisch von mehreren Parteien, die keine eigenen Kandidierenden aufstellen, unterstützt.

Wie bei anderen parteilosen Kandidierenden auf kommunaler Ebene ist die Unterstützung von einzelnen Parteien durchaus üblich.

Peter Ulrich, Kommunalwissenschaftler der Universität Potsdam

Schließt Überparteilichkeit die Unterstützung durch Parteien oder Wählergruppen aus?
Nein! Wie bei anderen parteilosen Kandidierenden auf kommunaler Ebene ist die Unterstützung von einzelnen Parteien durchaus üblich. Auch die Unterstützung von mehreren Parteien kommt vor. Natürlich muss genau geschaut werden, wie institutionalisiert eine Unterstützung ausfällt und ob sie dann doch nicht schon indirekt Parteizugehörigkeit bedeutet.

Generell nimmt das Zusammenspiel von Parteien und parteilosen Kandidierenden immer mehr zu, etwa wenn Parteien ihre Listen bei Gemeindevertreter- und Stadtverordnetenversammlungswahlen mit parteilosen Kandidierenden auffüllen oder verschiedene Parteien oder Wählergruppen auch zur Wahl von parteilosen oder eben überparteilichen Kandidierenden in Stichwahlen aufrufen. Das schließt sich nicht gegenseitig aus.

Ist der Mogel-Vorwurf gegen Frau Aubel berechtigt?
In der Tat wirbt Frau Aubel mit dem Slogan „Überparteilich. Für alle“. Anders als beim negativ geframten „parteilos“ wird mit diesem brückenbauenden Begriff des „Überparteilichen“ etwas Positives konnotiert. Es scheint bei dem Begriff „Überparteilich“ weniger darum zu gehen, ein neues Konzept ins Feld zu führen, als dass eher eine symbolhafte Sprache des Verbindenden gesucht wird in Zeiten, in denen Polarisierung und Spaltung stärker werden.

Dass sie mit überparteilich natürlich nicht alle Parteien und ihre Themen abdeckt, sondern einige wenige Parteien, ist klar. Gleichzeitig bedeutet hier überparteilich auch Unterstützung durch verschiedene Parteien, wobei zwischen formeller und informeller Unterstützung unterschieden werden muss, um diese Frage zu beantworten.

Letztlich steht Frau Aubel auch sinnbildlich für eine Entwicklung in der kommunalen Politik – egal ob in Ost oder West und auch immer mehr in der Stadt: die Zunahme von parteilosen Kandidierenden und Wählergemeinschaften – auch wenn hier der Spieß sprachlich umgedreht wird und mit dem „Überparteilichen“ eine verbindende Sprache gewählt wird.

Die Fragen wurden schriftlich gestellt.

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