Landeshauptstadt: Potsdamer mögen’s bunt
Gründergeschichten: Die ukrainische Designerin Viktoria Korschyk machte sich 2011 in Potsdam selbstständig. Unterstützt wurde sie vom Lotsendienst für Migranten
Stand:
Am Babelsberger Weberplatz steht ganz unscheinbar „Atelier Vivi Korr“ auf dem Klingelschild eines Wohnhauses. Wer durch die Tür in den Hinterhof geht, erlebt die pure Sommeridylle: Ein kleiner Steinweg gesäumt von Duftrosen, um die Ecke ein kleiner Garten mit noch grünen Tomaten in Terrakottakübeln und einem schattigen Plätzchen zum Sitzen. Ein Flair wie in Italien. Vor dem Hinterhofatelier steht Viktoria „Vivi“ Korschyk und winkt schon. An den orangenen Haaren, den knallroten Lippen und dem auffälligen Schmuck erkennt man sie von Weitem. Das Atelier, in dem die 35-Jährige ihre bunte Kindermode „und Nettigkeiten“, wie sie selbst sagt, fertigt, ist eigentlich gar kein richtiger Raum, sondern eine optimal genutzte Fläche rund um einen Treppenabgang zum Keller, wo sie weitere zwei Räume nutzt. Oben stehen zusammengesammelte Holzmöbel, eine alte Nähmaschine, ein Computer, eine Schaufensterpuppe und vor allem sieht man allerorts: bunte Stoffe.
Korschyk kam 2001 aus dem ukrainischen Odessa nach Potsdam. Ihr Mann ist auch Ukrainer, sie haben zwei Kinder. Er hat in Deutschland studiert, eine Arbeit hat er nicht. Ihr Wirtschaftsstudium wurde in Deutschland gar nicht erst anerkannt. In petto hatte sie neben der Zahlenfertigkeit immerhin noch ihr Hobby: die Kunst. Als Kind ging Korschyk auf eine Kunstschule, die Mutter war dort Kunstlehrerin. In ihrer Potsdamer Anfangszeit wurde sie vom Arbeitsamt zu den Kunstgenossen geschickt und polierte mit Ein-Euro-Jobs ihr Portemonnaie auf. Eine Bekannte erzählte ihr dann von Julia Plotz, eine der zwei Gründungshelferinnen beim Lotsendienst für Migranten (LDM) Potsdam. Der Dienst hilft seit 2004 Gründungswilligen beim Start. Seit Beginn nutzten rund 1000 Migranten dort eine Erstberatung. 435 davon gründeten danach erfolgreich. „Bezeichnend für Potsdam ist die Kreativszene. Zu unseren Gründern zählen deshalb vor allem kreative Maler, Musikanten und Designer“, sagt Plotz. Mehr als die Hälfte gründe aus der Arbeitslosigkeit heraus, die Finanzierungsgrundlage ist entsprechend dünn. In der Folge werden oft Ein-Mann-Unternehmen mit niedrigem Investitionsvolumen gegründet.
„Wenn wir innerhalb des Erstgesprächs im Gründungswilligen die Gründerpersönlichkeit erkennen und die Idee als tragfähig erachten, empfehlen wir die Teilnahme an einem Development Center“, so Plotz. Bei ihrem Erstgespräch 2010 sei sie wieder nach Hause geschickt worden, schmunzelt Korschyk, „meine Idee war noch nicht ausgereift, ich wollte eben ein bisschen nähen.“ Erst 2011 durchlief sie das Development Center des LDM erfolgreich und wurde dann bei der Erstellung des Businessplans, bei der Finanzierung und bei der Klärung rechtlicher Fragen von externen Beratern unterstützt. Nach der Gründung wurde sie noch ein Jahr lang betreut – durch Stammtische, Netzwerke, Empfehlungen weiterer Experten. Das Lotsenbüro habe ihr sehr geholfen, sie hätte sonst keine Ahnung gehabt, was für eine erfolgreiche Gründung überhaupt zu tun sei, sagt Korschyk heute. Seitdem arbeitet sie als freiberufliche Designerin. Ihr Geld verdient sie zurzeit ausschließlich an den Wochenenden auf dem Potsdamer Künstlermarkt in der Lindenstraße, bis die Weihnachtsstände sie wieder über ein paar Monate tragen.
Leicht hat sie es nicht. Die Konkurrenz ist groß, auch Nachahmer gibt es immer wieder. Wer im Internet nach ihr sucht, findet kaum etwas – einen Onlineshop muss sie erst noch aufbauen. Die Idee einer Laden-WG bei „Fräulein Schröders Warenhaus“ im Holländischen Viertel war zwar lukrativ, aber allen vier beteiligten Frauen zu viel. Sie gaben nach einem Jahr wieder auf.
Auf die Frage, was denn der „Potsdam-Style“ ist, wenn es um Kindermode geht, sagt Korschyk: „Berlin ist eintönig, Potsdamer mögen’s bunt!“ Eulen sind out, Füchse sind als Motive in. Was freche Kinderkleidung angeht, kennt sie sich aus. Sie achte auf hochwertige Stoffe und nachhaltige Mode, ihre Kinderhosen halten Jahre, weil sie so designt sind, dass sie mitwachsen. Dann sind sie auch 30 Euro wert. Auch Mützen und Kissen aus bunten Stoffen fertigt sie.
Ihre Schwester betreibt in Berlin erfolgreich einen Kindermodeladen, für sie ist das bei den Potsdamer Mieten aber keine Option, schlicht zu teuer. Kunden in ihrem Atelier hat sie nicht, es ist mehr Fabrik als Laden – mehr erlaube die Hausverwaltung nicht. Es mag am Ort selbst liegen, aber Korschyk nimmt die Situation entspannt – auch wenn sie die Familie mit ihrer Kunst nicht ernähren kann. Sie sitzt im Schatten hinter ihrem Atelier, trägt eine Sonnenbrille, nimmt einen Schluck Kaffee und steckt sich noch eine Zigarette an. Über neue Vermarktungsideen grübeln kann sie später. Irgendwie werde es schon gehen.
Rita Orschiedt
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: