Landeshauptstadt: Potsdamer Stasi-Akten sollen nach Berlin
Gnadenfrist bis 2007 / Gisela Rüdiger informierte über Stasi-Behörde / Monat für Monat hundert Anträge
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„Sie müssen sich vorstellen, das ist ein dreistöckiges Gebäude und in den anderen Geschossen sieht es genauso aus wie hier“. Archivarin Anett Wernitz, seit 1991 in der Außenstelle Potsdam der Birthler-Behörde, führt die Besucher in einen vier Meter hohen Raum, in dem dicht an dicht Stasi-Akten in Spezialkartons und –regalen aufbewahrt werden. „470 Kilometer Akten lagern wir hier“, sagt die Leiterin der Außenstelle in der Großbeerenstraße 301, Gisela Rüdiger.
15 Interessierte hatten sich vergangenen Mittwoch in der Behörde eingefunden, um eine Führung und einen Vortrag von Gisela Rüdiger über die Aufgaben der Stasi-Unterlagenbehörde mitzuerleben. Die Potsdamer Akten bleiben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nur noch knapp zwei Jahre hier. „Die Außenstelle Potsdam sollte schon dieses Jahr geschlossen werden, jetzt ist das für November 2007 vorgesehen“, informiert Rüdiger. Die Mitarbeiter würden dann in der Zentrale am Alexanderplatz arbeiten und die Akten kämen in die Ruschestraße in Berlin-Lichtenberg. Die Begründung: Potsdam liegt so dicht an der Zentrale in Berlin, dass die Aufgaben auch gleich von dort aus wahrgenommen werden könnten. In Potsdam verbleibe allenfalls eine kleine Informationsstelle.
„Wie finde ich die Akte von Peter Müller?“ Auf diese einfache Frage gibt die Archivarin eine ebenso einfache Antwort: „Mit Hilfe der Archivnummer“. Doch wie die Fachleute die Archivnummer von Peter Müller aufspüren, ist ein recht komplizierter Vorgang. Grundlage der Aktensuche sind verschieden farbige Karteikarten, von denen in Potsdam etwa 1,5 Millionen Stück existieren. Es gibt die Personalkartei F16 mit Duplikat in Berlin, die Vorgangskartei F 22 und die Decknamenkartei F 77. Hat der Archivar die richtige F 22, dann hat er Zugriff auf die Akte, denn diese Karteikarte vermerkt unten rechts die Archivnummer.
In einem Vortrag erläuterte Gisela Rüdiger die Aufgaben der „Behörde für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik“, über die es in der Öffentlichkeit bis heute viele Unklarheiten gibt. Sie bearbeitet erstens die Anträge zur Akteneinsicht von Betroffenen. 30 000 Anträge waren es beim Start des Stasi-Unterlagengesetzes im Jahre 1992. „Mit der Zeit wurden es natürlich weniger, aber ich bin sehr überrascht, dass es derzeit noch Monat für Monat hundert Anträge sind“, bemerkt die Leiterin. Viele Menschen hätten Angst, Nachbarn und Verwandte als Stasi-Spitzel in den Akten zu finden und schieben die Antragstellung daher immer wieder auf.
Zweite Aufgabe der Behörde ist die Auskunft bei Einstellungen im öffentlichen Dienst, bei Anträgen auf Rehabilitierung nach erlittenem Unrecht in der DDR und bei Strafermittlungen. Die Bevölkerung über die Arbeit der Stasi-Behörde und die Arbeit der Staatssicherheit zu informieren, das sei die dritte Aufgabe, sagt Rüdiger und schließlich: „Wir müssen unbefugten Zugang zu den Akten verhindern.“ Aus letzterem Grund geht es bei der Behörde ein wenig zu wie bei den Sicherheitsbehörden der DDR: Kontrolle am Eingang mit Eintragung des Namens, bei Akteneinsicht sorgfältige Ausweiskontrolle, Bewachung und elektronische Sicherung des Gebäudes.
100 000 Menschen haben bisher von ihrem Recht auf Akteneinsicht in Potsdam, wo sich die größte Bezirksverwaltung der Staatssicherheit in der Republik befand, Gebrauch gemacht. Zehntausende sind noch nicht zu Ende bearbeitet, darunter etwa 30 000 Anträge auf Offenlegung von Decknamen. Deren Entschlüsselung ist ein schwieriges Unterfangen. „Etwa 60 Prozent können wir klären“, sagt Rüdiger. Acht bis zwölf Wochen nach Antrag auf Akteneinsicht erfolge laut Rüdiger eine Benachrichtigung, ob es einen Vorgang gibt. Noch später kommt der Bescheid zur Akteneinsicht. Oft führe ein Wiederholungsantrag zum Erfolg. Der Grund: Die Behörde hat in den Jahren seit 1992 neue Aktenberge erschlossen, bis hin zum Zusammenfügen zerrissener Papiere. Das in Müllsäcken zu Anschauungszwecken ausgestellte winzige Schreddermaterial nimmt aber wohl seine Geheimnisse mit in die Papiermühle. „Da ist nichts mehr zu holen“, sagt die Archivarin.
Nächste Führung am 15. Februar um 16 Uhr. Anschließend Vortrag „Das Ministerium für Staatssicherheit –Schild und Schwert der Partei“. Um Voranmeldung unter Tel.: (0331) 5056-1845 wird gebeten.
Günter Schenke
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