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Landeshauptstadt: Pragmatismus versus Attraktivität
Hintergründe zur Debatte um ein neues jüdisches Gotteshaus in der Mitte Potsdams Die Landesregierung will Peter Schüler zufolge nicht als Stifter auftreten
Stand:
Die Potsdamer Gesellschaft streitet über die neue Synagoge der Stadt. Die einen halten den Entwurf des Architekten Jost Haberland für pragmatisch, die anderen für unattraktiv. Neueste Entwicklung ist das Angebot des Jüdischen Landesverbandes, eine Schlichterkommission zu bilden. Peter Schüler, Vorsitzender des Synagogen-Bauvereins, erklärte sich gesprächsbereit: „Ich warte auf Einladung und hoffe, dass die Wogen flacher werden.“ Nachfolgend gehen die PNN auf die wichtigsten Fragen zum Synagogenstreit ein.
WARUM BRAUCHT POTSDAM EINE NEUE SYNAGOGE?
Weil Potsdam kein jüdisches Gotteshaus hat. Die 1903 eingeweihte Potsdamer Synagoge des Architekten Julius Otto Kerwien am heutigen Platz der Einheit wurde in der Pogromnacht 1938 geplündert und im Innern beschädigt. Schweren Schaden nahm das neobarocke Bauwerk beim Luftangriff auf Potsdam im April 1945. Die noch stehende Fassade aus rotem Buntsandstein wurde auf Betreiben der Stadt Potsdam 1957 abgerissen.
WER BRAUCHT EINE NEUE SYNAGOGE IN POTSDAM?
Die Juden und die Nicht-Juden. Nach Vertreibung, Deportation und Ermordung der Potsdamer Juden zwischen 1933 und 1945 leben heute wieder über 1000 Juden in Potsdam. Sie wünschen sich einen Ort, um dort ihren Glauben zu leben und sich zu treffen. Ein starkes Bedürfnis nach einer Synagoge haben auch viele Nicht-Juden – Bürger, aber auch Vertreter der Politik. Das Land Brandenburg ist das einzige Bundesland in Deutschland, dass keine Synagoge vorweisen kann. Allein diese Tatsache gilt als nicht rühmlich. Damit werden aber auch Chancen vertan: Als 2006 in Deutschland die ersten Rabbiner nach dem Holocaust geweiht werden, geht diese Nachricht um die Welt. Ausgebildet wurden diese Rabbiner am Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam, der historische Akt der Rabbiner-Weihe fand jedoch in der Dresdner Synagoge statt, weil Potsdam keine Synagoge hat. Für viele Bürger indes gehört prosperierendes jüdisches Leben in der Stadt schlicht zur Überwindung der Folgen des Nationalsozialismus.
WORAN ENTZÜNDET SICH DER POTSDAMER SYNAGOGENSTREIT?
Im Architekturwettbewerb für die neue Synagoge in der Schloßstraße hatten die Architekten ein Raumprogramm zu berücksichtigen, das offenbar nicht breit genug diskutiert worden ist. Das Raumprogramm sieht viele Nutzungen für das kleine Grundstück vor: mehrere Büros, Schulungsräume, einen Gemeindesaal, einen großen und einen kleinen Gebetsraum. Die Kritiker des Entwurfes des Wettbewerbssiegers Jost Haberland sagen nun, das Raumprogramm habe dem Architekten keinen Spielraum für Kreativität gelassen. Die Fassade sei zu unansehnlich; sie lasse nicht erkennen, dass es sich um eine Synagoge handelt. Häufig wird gesagt, das vom Land Brandenburg mit 5,3 Millionen Euro vorfinanzierte Haus erinnere an „gesichtslose Büro-Architektur“. Gläubige Juden finden den Gebetssaal zu klein und zu unattraktiv. Kritisiert wird auch, dass sich der Gebetsraum nicht im Erdgeschoss, sondern im zweiten Obergeschoss befindet. Über dem Gebetssaal dürfe nur der freie Himmel sein, soll der Berliner Rabbiner Yitzhak Ehrenberg gefordert haben, der Land und Bauverein bei der Planung der Synagoge beriet. Wegen dieser Forderung Ehrenbergs sei ein Gebetssaal im Erdgeschoss nicht möglich, da sonst der Platz für die weiteren Räume fehle. Der Nachteil dieser Bauweise: Religiöse Juden, die mobilitätseingeschränkt sind und nicht die Treppe nutzen können, müssten nun an jüdischen Feiertagen einen sogenannten Shabbat-Aufzug benutzen – einen Aufzug, der automatisch ohne Knopfdruck fährt und in jeder Etage hält, da Juden in der Shabbat-Zeit die Benutzung von Technik untersagt ist. Befürworter der Haberland-Synagoge halten einen Shabbat-Aufzug für eine akzeptable Lösung. Kritiker sagen, in einen Synagogen-Neubau baut man nicht so ein Problem mit ein. Ein Aufzug sei dem religiösen Shabbat-Gefühl abträglich.
WARUM EINE SYNAGOGE MIT GEMEINDEZENTRUM?
Die meisten Potsdamer Juden stammen aus der ehemaligen Sowjetunion. Viele von ihnen sind Juden ohne oder mit geringem jüdischen Glauben, daher haben sie eher das Bedürfnis nach einem Gemeindezentrum für die Kommunikation und die kulturelle Betätigung. Gläubige Juden legen dagegen mehr Wert auf einen sakralen, attraktiven Gebetssaal. Vertreter der Jüdischen Gemeinde Potsdam wie etwa Nikolai Epchteine argumentieren, gerade die Verbindung von Gemeindezentrum und Gebetssaal sei wichtig, um nichtreligiöse Juden wieder an den Glauben heranführen zu können. Die letzten Synagogenneubauten in Deutschland sind alle Kombinationen aus Gemeindezentrum und Synagoge. Kritiker des Haberland-Entwurfes sagen, es dürfe nicht sein, dass der Gebetssaal nur ein Anhängsel des Gemeindezentrums ist.
WER KRITISIERT DAS POTSDAMER SYNAGOGEN- PROJEKT?
Bereits in der Jüdischen Gemeinde Potsdam, gegründet im Mai 1991, entstand eine Gruppe von betenden Juden. Aus dieser Betergemeinschaft, Minjan genannt, regte sich erster Widerstand gegen die Haberland-Synagoge. Besonders hat sich der aus Israel stammende Dirigent Ud Joffe hervorgetan. Auch der langjährige Rabbiner der Jüdischen Gemeinde, Nachum Presman, übt Kritik. Horst Mentrup und auch sein Nachfolger als Vorsitzender des Synagogen-Bauvereins, Peter Schüler, erklärten, Presman habe sich früher lobend zum Haberland-Entwurf geäußert und seine Ansicht später geändert. Aus der Minjan-Gruppe entstand Mitte 2010 eine neue eigenständige Gemeinde, die Synagogengemeinde Potsdam, die mittlerweile etwa 100 Mitglieder hat. Diese begehrt gegenüber der Jüdischen Gemeinde Potsdam und dem Bauverein bislang erfolglos Mitspracherecht bei der neuen Synagoge. Dritte Gemeinde in Potsdam ist die Gesetzestreue Jüdische Gemeinde von Shimon Nebrat, dessen Position als unversöhnlich bezeichnet werden kann. Dass das Land Brandenburg die Synagoge als Landesbaumaßnahme baut, sei ein Verstoß gegen die Trennung von Religion und Staat, das im Grundgesetz garantierte Selbstbestimmungsrecht „wird dem Gesetzestreuen Judentum in diesem Land dadurch abgesprochen“, heißt es in einer Mitteilung Nebrats. Für Nebrat kann es keine Synagoge für mehrere Gemeinden geben. Vielmehr habe jede Gemeinde eine eigene Synagoge zu haben.
Nach einigem Zögern hat sich die Bürgerinitiative Mitteschön zu einem weiteren Akteur im Synagogenstreit etabliert. Deren Protagonisten sagen, da nur 14 Prozent des Hauses für den Gebetsraum und der überwiegende Teil als Gemeindezentrum dienen soll, könne nicht von einer „Synagoge mit Gemeindezentrum“ gesprochen werden. Es entstehe nicht die zentrale, attraktive Landessynagoge Brandenburgs; das Haus sei als Synagoge äußerlich nicht erkennbar. Es handele sich nicht um eine qualitativ hochwertige, moderne Architektur, die sich die Bürger für Potsdam wünschten. Über die Bürgerinitiative hinaus wollen sich viele Potsdamer für die Synagoge engagieren, erkennbar an etwa 90 Aufnahmeanträgen auf Neu-Mitgliedschaft im Synagogen-Bauverein (siehe Interview).
KANN DER SYNAGOGENSTREIT EIN GUTES ENDE NEHMEN? WIE GEHT ES WEITER?
Erst jüngst hat sich der Jüdische Landesverband Brandenburg in Oranienburg in den Streit eingeschalten und beschlossen, eine Schlichtungskommission mit Vertretern der Synagogengemeinde, der Jüdischen Gemeinde Potsdam und des Landesverbandes zu bilden. Da Ud Joffe, Vorsitzender der Synagogengemeinde, bereit ist, den Haberland-Entwurf als Basis für Umplanungen zu akzeptieren, müsste kein neuer Architekten-Wettbewerb stattfinden. Allerdings hatte Architekt Haberland erst vor wenigen Tagen mitgeteilt, dass Joffes Verbesserungsvorschlägen hinsichtlich Synagogenraum und Fassade „jedes architektonische Niveau fehlt“. Der Bauverein-Vorsitzende Peter Schüler bezeichnet die Synagogen-Planung als weit fortgeschritten.
WER WIRD NACH IHRER FERTIGSTELLUNG TRÄGER DER SYNAGOGE SEIN?
Gegenwärtig wird die Gründung einer Stiftung vorbereitet, die Träger der Synagoge nach ihrer Fertigstellung Ende 2012 sein soll. Stifter sind nach gestriger Auskunft des Vorsitzenden des Synagogen-Bauvereins, Peter Schüler, der Bauverein und die Jüdische Gemeinde Potsdam. Weitere Stifter könnten, bei eigener Bereitschaft, die Synagogengemeinde und der Jüdische Landesverband Brandenburg sein, aber auch jede stiftungswillige Einzelperson. Die Landesregierung will Schüler zufolge nicht als Stifter auftreten, überträgt aber das landeseigene Grundstück Schloßstraße 1, auf dem die Synagoge ab 1. Juni 2011 errichtet wird, an die Stiftung. Guido Berg
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