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Ottmar Edenhofer ist Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).Beim jüngsten Report des Weltklimarates (IPCC) war er Co-Vorsitzender der Arbeitsgruppe III, die sich mit der Verminderung von Treibhausgasen beschäftigte.

© PIK/Thomas Koehler/photothek.net

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Der Potsdamer Klimaökonom Ottmar Edenhofer wird auf der Weltklimakonferenz in Lima den Regierungen den Sachstand des Weltklimarates IPCC vortragen. Er sieht den Trend der Kohlerenaissance mit Sorge. Um die Erde zu retten, müsse Kohlendioxid einen Preis erhalten

Stand:

Herr Edenhofer, warum tritt die Klimapolitik weltweit auf der Stelle?

Die einen wollen einen weltweit verbindlichen Klimavertrag, die anderen vor allem Geld für Anpassung. Viele wollen die globale Erwärmung auf zwei Grad begrenzen, manche halten drei Grad für besser. Ich würde die gegenwärtige Situation mit einem Sinnbild beschreiben: In einem Hotel sitzen mehrere Leute und streiten, ob sie nach Denver oder Boston fliegen sollen. Dabei übersehen sie, dass es in der Stadt gar keinen Flughafen gibt. Man muss erst einmal anfangen, den Weg vom Hotel zum nächsten Flughafen zu finden. Genauso sieht es in der Klimapolitik aus. Statt über die langfristigen Ziele zu streiten, müssten die Staaten der Welt erste Schritte gehen, die auch langfristig in die richtige Richtung führen.

Wie könnten die aussehen?

Wir müssen Kohlendioxid (CO2) einen Preis geben. In Europa gibt es schon ein solches System, in China wird es wahrscheinlich ab 2016 einen nationalen Emissionshandel geben. Dazu benötigen wir eine Klimabank, ähnlich der Europäischen Zentralbank, die CO2-Zertifikate aus dem Handel nimmt, wenn es zu viele gibt. Manche Länder könnten aber auch eine CO2-Steuer erheben. Den klammen Finanzministern bringt das Geld für Investitionen in Gesundheit oder Bildung. Statt Arbeitnehmer oder Unternehmer mit immer mehr Abgaben zu belasten, wäre es allemal sinnvoller, CO2 zu besteuern. In vielen Ländern wäre schon etwas gewonnen, wenn man die Kohlesubventionen abschaffen würde.

Die Emissionen der Treibhausgase sollten doch längst gedeckelt sein

das Gegenteil ist aber der Fall, sie wachsen jährlich um zwei Prozent. Gestiegen sind sie im letzten Jahrzehnt vor allem durch das Wirtschaftswachstum. Die Energieintensität ist in den vergangen Jahrzehnten gesunken, das heißt wir haben gelernt, das gleiche Sozialprodukt mit weniger Einsatz von Primärenergie zu erzeugen. Aber die Fortschritte bei der sinkenden Energieintensität wurden permanent durch das Wachstum von Wirtschaft und Bevölkerung wieder aufgefressen.

Sie sprechen von einer Kohlerenaissance.

Seit Beginn der letzten Dekade sinkt die Kohlenstoffintensität nicht mehr, sondern sie steigt. Das bedeutet: Zur Erzeugung zum Beispiel einer Kilowattstunde Strom wird mehr CO2 emittiert. Seit 2010 steigert sich der Trend sogar noch. Die Ursache dafür ist, dass die Kohle in China, Indien, den USA und in der Zwischenzeit auch in Europa sehr wettbewerbsfähig geworden ist, weil Gas vergleichsweise teurer wurde. Bei der Verbrennung von Kohle wird aber leider doppelt soviel CO2 frei wie bei Gas. Nun setzen die USA auf Schiefergas und Fracking. Dadurch wird zwar in gewissem Umfang die Kohle ersetzt, aber unter dem Strich wird das Gesamtangebot an Energie größer. Ein größeres Angebot jedoch lässt die Preise sinken, der Verbrauch steigt. Im Ergebnis nehmen die Emissionen nicht ab, sondern steigen möglicherweise sogar weiter. Die Lage dramatisiert sich fortlaufend.

Nicht nur die Industrienationen treiben die Emissionen voran.

Man kann sagen, dass die Länder mit niedrigem Einkommen die Geschichte der Industriestaaten schlicht wiederholen. Überwindung von Armut und wirtschaftlicher Wohlstand finden nach wie vor durch die Nutzung fossiler Energieträger statt. Daher haben viele Schwellenländer vor dem Klimaschutz geradezu Angst, sie befürchten wieder zurückzufallen. Mit dieser Befürchtung betreten die neuen Spieler Asien und Lateinamerika die Bühne.

Sie haben an der aktuellen Zusammenfassung des fünften Sachstandsberichts des Weltklimarates mitgearbeitet. Was ist neu?

Dass der Klimawandel maßgeblich vom Menschen verursacht ist, ist nicht neu, auch wenn wir in der Einschätzung noch etwas sicherer geworden sind. Neu ist die Einsicht, dass die Risiken des ungebremsten Klimawandels – etwa Meeresspiegelanstieg, Wetterextreme, Missernten – in wichtigen Teilen unumkehrbar sind, die Risiken der Emissionsreduktion aber – beispielsweise die Konkurrenz zwischen dem Anbau von Pflanzen für Energie aus Biomasse und dem Anbau von Nahrungsmitteln – durch eine kluge Politik handhabbar sind. Auch haben wir in diesem Bericht ausdrücklich davon gesprochen, dass das Klimaproblem im Wesentlichen ein Gerechtigkeitsproblem ist. Zum ersten Mal in der Geschichte des IPCC wird hier über Verteilungsfragen und Fairness gesprochen. Zum ersten Mal haben Philosophen an den IPCC-Berichten mitgewirkt.

Welcher Weg führt zu dem Ziel, die Erwärmung auf zwei Grad über vorindustriellem Niveau zu begrenzen?

Bisher wurde der IPCC-Bericht oft so verstanden, es gäbe nur einen Weg zum 2-Grad-Ziel. Wir haben nun gezeigt, dass es viele Wege dahin gibt, etwa mit Kernenergie oder mit der Abscheidung und unterirdischen Einlagerung von Kohlendioxid aus Kraftwerksabgasen (CCS). Es geht aber auch mit einer Steigerung der erneuerbaren Energien und einer höheren Energieeffizienz. Auch wenn ein Staat sich zu einer starken Emissionsreduktion verpflichtet, hat er die Freiheit, seinen eigenen Energiemix zu wählen. Jetzt kommt es vor allem darauf an, dass ein Einstieg zu einem internationalen Abkommen gefunden wird.

Und wenn nichts getan wird?

Wenn wir weiter so große Mengen an Treibhausgasen in der Atmosphäre abladen wie in einer Abfallhalde, riskieren wir einen gefährlichen Klimawandel. Dann können wir uns nur noch anpassen. Die Zeche werden dann vor allem die Armen zu bezahlen haben. Noch haben wir aber die Wahl zwischen einer Erwärmung um zwei oder um vier Grad Celsius.

Wäre ein 3-Grad-Ziel mittlerweile nicht realistischer?

Entscheidend ist: Sowohl beim 2-Grad- wie auch beim 3-Grad-Szenario muss bis zum Ende des Jahrhunderts eine CO2-freie Weltwirtschaft stehen. Für zwei Grad braucht man zum Ende des Jahrhunderts auch negative Emissionen, das heißt, der Atmosphäre muss CO2 aktiv entzogen werden. Die kurzfristigen Ansprüche an die Klimapolitik sind jedoch die gleichen. Es ist daher sinnlos, wenn nun versucht wird, das Zwei-Grad-Ziel aufzuweichen. Denn für beide Ziele müssen wir heute so ziemlich das Gleiche tun, aber das Risiko des gefährlichen Klimawandels ist bei drei Grad globaler Erwärmung deutlich höher. Was jetzt ansteht, ist, endlich den Einstieg in eine effektive Klimapolitik zu finden.

Ist das 2-Grad-Ziel verloren, wenn 2015 in Paris kein internationales Abkommen zustande kommt?

Nein, aber wir müssten dann von 2030 bis 2050 entsprechend mehr Klimaschutz betreiben, statt minus drei Prozent müssen wir dann minus fünf Prozent Emissionen schaffen. Das bedeutet, dass wir in einer kurzen Zeitspanne von 20 Jahren die CO2-freien Technologien noch wesentlich stärker entwickeln müssten. Das aber heißt auch, dass wir in großem Maßstab Bioenergie nutzen müssten, die wiederum negative Wirkungen auf die Nahrungsmittelsicherheit haben kann. Je länger wir warten, umso höher werden die Kosten und Risiken der Emissionsminderung in der Zukunft.

Ist Klimaschutz überhaupt bezahlbar?

Salopp gesagt, kostet es nicht die Welt, die Erde zu retten. Im Wesentlichen geht es um eine Verzögerung von Wirtschaftswachstum von etwas mehr als einem Jahr bis zur Mitte des Jahrhunderts. Den Wohlstand, den wir ohne Klimaschutz erst 2050 erreichen würden, erreichen wir dann erst im Jahr 2051. Für manche Länder kann es auch um fünf Jahre Verzögerung gehen. Klimaschutz ist nicht kostenlos. Aber wir bekommen ja etwas dafür – einen intakten Planeten. Klimaschutz und Wirtschaftswachstum können miteinander vereinbart werden, und vor allem die Entwicklungsländer können wirtschaftlich aufholen.

Wie kann der Energiemix der Zukunft aussehen?

Es gibt hier Wahlmöglichkeiten: Kernenergie kann man relativ leicht durch erneuerbare Energien ersetzen. Allerdings wird man auf das CCS-Verfahren, das Abspalten und Speichern von CO2 aus Kraftwerksabgasen, kaum verzichten können. Es ist gesellschaftlich umstritten, aber ohne diese Technologie wird globaler Klimaschutz schwer. Durch die Kombination von Bioenergie und CCS könnte der Atmosphäre CO2 entzogen werden, das wäre angesichts der fortgesetzten Renaissance der Kohle wichtig.

Wie lässt sich der Verbrauch der fossilen Energieträger reduzieren?

Am Ende bedeutet Klimaschutz immer auch, dass die Mehrzahl der Ressourcen fossiler Energieträger im Boden bleiben müssen. Sollten sich die Staaten der Welt tatsächlich auf Klimaschutz einigen, Emissionen reduzieren, und entsprechend weniger Kohle und Öl verbrennen, dann heißt das ökonomisch, dass die Vermögen der Besitzer der fossilen Energien deutlich an Wert verlieren.

Die Eigentümer von Öl, Kohle und Gas sind bekanntlich recht einflussreich. Wie soll man deren Vermögen entwerten?

Indem man CO2 einen Preis gibt. Irgendwann lohnt es sich nicht mehr, die fossilen Energieträger aus dem Boden zu holen. Vielleicht wird man manche Länder für diese Entwertung entschädigen müssen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass etwa Saudi-Arabien seine Einnahmen aus dem Verkauf von Öl in der ganzen Welt investiert. Würde der ungebremste Klimawandel zuschlagen, dann würde auch ihr Kapitalbesitz im Ausland entwertet. Daher weiß auch Saudi-Arabien, dass der Klimawandel begrenzt werden muss. Norwegen ist schon heute ein hervorragendes Beispiel dafür, dass sich ein Exporteur von Öl für ambitionierten Klimaschutz aus rationalen Gründen einsetzen kann.

Worin liegt für Sie der Schlüssel zur Lösung des Klimaproblems?

Darin, dass im 21. Jahrhundert der knappe Faktor nicht mehr durch die fossilen Energieträger bestimmt wird, sondern durch den knappen Deponieraum in der Atmosphäre. Denn mit den Einnahmen aus der Verknappung der Atmosphäre – erwirtschaftet durch einen CO2-Preis – können sich Staaten dringend benötigte Einnahmen verschaffen, um damit Steuern zu senken, Staatsverschuldung abzubauen oder in Infrastruktur zu investieren.

Was ist also das Problem?

Dass wir zu kurzfristig denken und handeln. Die Kosten des Klimaschutzes fallen bereits heute an, von den vermiedenen Schäden profitieren aber vor allem die kommenden Generationen. Wenn wir es jedoch geschickt anstellen, könnten wir schon den heutigen Generationen Vorteile durch die Klimapolitik verschaffen, vor allem in den Schwellenländern. Finanzielle Vorteile, aber nicht nur. China etwa vermindert die CO2-Emissionen, weil es etwas gegen die lokale Luftverschmutzung unternehmen will.

In Deutschland wird derzeit um die Zukunft der Kohlekraftwerke gestritten. Wäre eine Stilllegung sinnvoll?

Europa hat sich auf ein sinnvolles Klimaziel bis 2030 festgelegt. Wenn nun Deutschland die Emissionen im Stromsektor zusätzlich vermindert, werden wir vor allem Steinkohlestrom von unseren europäischen Nachbarn importieren. In Europa werden die Emissionen durch den zusätzlichen Beitrag Deutschlands nicht sinken. Es ist bitter, dass diese Zusatzanstrengung zunichtegemacht wird. Wenn man allerdings im europäischen Emissionshandel einen ansteigenden Mindestpreis einführen würde, dann könnten die Mitgliedsstaaten tatsächlich sinnvoll eine ambitioniertere nationale Klimapolitik verfolgen: Wenn Deutschland mehr Emissionen reduziert und seine Emissionsrechte anbietet, könnte der Preis nicht unter den Mindestpreis fallen. Damit wäre auch der Anreiz der anderen Mitgliedsstaaten begrenzt, mehr zu emittieren.

Sie sagen, das Klimaproblem sei im Wesentlichen ein Zeitproblem.

Ja, wir dürfen nur noch 1000 Gigatonnen CO2 in der Atmosphäre ablagern. Wenn wir so weitermachen wie bisher, dann ist dieser Deponieraum in drei bis vier Jahrzehnten voll. Wir sollten daher nicht allein auf technische Durchbrüche hoffen, die wie Manna vom Himmel fallen und unser Klima retten. Sondern wir müssen jetzt mutig Klimapolitik machen. Vor allem eben eine Bepreisung von CO2. Das schafft für Investoren den Anreiz, Geld in technologische Innovation zu stecken.

Ihr Ausblick auf das kommende Jahr?

Wenn Europa in Paris 2015 – dem Klimagipfel nach Lima – eine glaubwürdige Führungsrolle spielen will, sind die Kohlendioxid-Bepreisung und die Reform des europäischen Emissionshandels unverzichtbare Voraussetzungen. Europa könnte durch eine Reform des Emissionshandelssystems dem Rest der Welt zeigen, wie man aus den Fehlern lernt. In Paris braucht es einen Perspektivwechsel. Über hehre Ziele der Emissionsminderung zu reden, ist vergleichsweise leicht. Jetzt kommt es drauf an, über die konkreten Mittel zu sprechen, mit denen die Länder ihre Emissionen senken wollen. Das ist die Herausforderung für Paris.

Das Interview führte Jan Kixmüller

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