Landeshauptstadt: Provokante Thesen
Wissenschaftler diskutierten über das DDR-Bild von Brandenburger Schülern
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Kaum hatten Wissenschaftler der FU Berlin Ende vergangenen Jahres ihre Studie über das aus ihrer Sicht erschreckend falsche DDR-Bild vieler Schüler in Berlin und Brandenburg vorgestellt, wurden massive Forderungen nach Konsequenzen insbesondere im schulischen Bereich laut. Darüber sollte am Montagabend auf einer Veranstaltung der Potsdamer Landeszentrale für politische Bildung gesprochen werden – es wurde ein Streitgespräch unter Wissenschaftlern.
Was vor einem erstaunlich zahlreichen, teilweise auch sehr jungen Publikum debattiert wurde, war vor allem eine Kontroverse um die tatsächlichen Möglichkeiten des Schulunterrichts. Verantwortlich für diese Debatte war der Hamburger Erziehungswissenschaftler Bodo von Borries. In teilweise provokanten Thesen warnte er davor, sich von veränderten Lehrplänen und der Verpflichtung der Lehrerschaft Besserung zu versprechen. Wenn die Schule versuche, gegen das an zu arbeiten, was die Kinder in ihrem privaten Umfeld an DDR-Nostalgie erfahren, werde sie keinen Erfolg haben. „Identität entsteht nicht im Geschichtsunterricht“; sagt Borries. Der beschönende Rückblick auf die SED-Herrschaft sei auch ein Reflex darauf, dass die ostdeutsche Gesellschaft in ihrer Mehrheit kein Interesse an einer Debatte habe, in der der Westen als überlegenes System dargestellt werde. „Jeder konstruiert sich die Geschichte, die er gerne haben möchte“ und dagegen könne der beste Schulunterricht nicht frontal angehen. Die oft selbst unsicheren Lehrer sollten vielmehr versuchen, die Unterschiede in der Sicht auf die DDR „zu verhandeln“ – also eine offene Debatte zulassen.
In einem konnte ihm dabei sein Professorenkollege und Studienautor Klaus Schröder von der FU Berlin folgen. Ihm sei aus der Vielzahl der Reaktionen, die ihn nach der Veröffentlichung als Brief oder Mail erreicht hätten noch einmal ganz klar geworden, wie weit verbreitet die Meinung sei, bei der DDR habe es sich um einen Staat gehandelt, an den man sich seiner vielen angeblichen Vorzüge wegen auch gut anpassen konnte. Aber Schröder verlangt einen wesentlich klareren Gegenkurs gegen die aus seiner Sicht für eine Demokratie gefährlichen Tendenzen zur Verharmlosung. „Es muss ein Minimum an Wissen über die tatsächlichen Gegebenheiten in der DDR vermittelt werden“, sagt er. Und er fordert von der Schulpolitik weitergehende Überlegungen und praktische Veränderungen.
Staatssekretär Burkhard Jungkamp (SPD) vom Bildungsministerium stimmt ihm im wesentlichen zu und verspricht eine intensive Auseinandersetzung mit der Studie. Deren Ergebnisse werden trotz erheblicher Kritik an der Methodik auch von Professor von Borries im Wesentlichen nicht angezweifelt. Danach hält eine Mehrzahl ostdeutscher Schüler die DDR in vielen Feldern für das attraktivere System und unterscheidet sich dabei zum Teil erheblich von westdeutschen und Westberliner Altersgenossen. Der FU-Wissenschaftler Schröder glaubt auch einen direkten Zusammenhang zwischen dem Wissenstand der jungen Menschen und ihrem DDR-Bild erkennen zu können. Wer beispielsweise gelernt habe, dass die DDR noch viele Jahre die Todesstrafe anwandte oder etwas über die damalige tatsächliche Rentenhöhe und die äußerst ungleiche Vermögens- und Einkommensverteilung wisse, der neige im Systemvergleich auch zu einer eindeutigen Bevorzugung der Demokratie. Johann Legner
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