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Von Jan Brunzlow: Provokanter Schulterschluss

Bei einer Diskussion verteidigte Steffen Reiche Rot-Rot und Heinz Vietze – zur Verwunderung der Zuhörer

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Die Antwort lautete wie so häufig „Ja, aber“. Dabei ist die Frage einfach: Ist 20 Jahre nach dem Mauerfall eine Versöhnung zwischen früheren Tätern und Opfern der DDR-Diktatur möglich? Es wurde eine Diskussion über die neue rot-rote Regierung Brandenburgs sowie das Handeln und Selbstverständnis eines Menschen: Heinz Vietze. Der frühere SED-Bezirksleiter Potsdams, von Gregor Gysi als „sympathischste Altlast“ bezeichnet, stellte sich auf der Veranstaltung am Donnerstagabend der Vergangenheitsbewältigung und der Aufarbeitung. Eine schwere Aufgabe in einem konservativen Diskussionsumfeld am ehemaligen Standort der Garnisonkirche, die als Versöhnungszentrum wiederaufgebaut werden soll.

Einen rot- roten Schulterschluss hat es auch an diesem Abend in der Runde um die Moderatorin und freie Journalistin Ursula Weidenfeld gegeben. Flammende Plädoyers für die neue Koalition in Brandenburg hielt der frühere Pfarrer und SPD-Bundestagsabgeordnete Steffen Reiche. Gäbe es diese Konstellation nicht, könnten die Linken bei den nächsten Wahlen 40 Prozent und mehr einfahren. Jetzt müssen sie mitregieren und auch unbequeme Beschlüsse vertreten. Es sei die Enttarnungstaktik. An dieser Stelle gab es Beifall für Reiche – allerdings allein vom Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. Ansonsten herrschte unter den 60 Zuhörern blankes Unverständnis und Murren über die neue Regierungsbildung. Selbst im Podium: Ines Geipel, DDR-Dopingopfer und Autorin, die zwischen Vietze und Reiche als dritte Gesprächspartnerin in der Runde saß, versteht die Entscheidung nicht. „Zwanzig Jahre danach sind sie an der Macht dessen, was sie selbst zerstören wollten“, sagte sie. Sie sprach Vietze und den Linken aufgrund der Schwere der Schuld in der DDR das Recht auf eine Versöhnung ohne vorherige Entschuldigung und eigene Aufarbeitung ab.

Das sieht SPD-Mann Steffen Reiche anders, pragmatischer. Er verteidigte die Aufarbeitung des Unrechts in der DDR nach dem Umbruch ’89 als gut. „Sofort und direkt“ sei sie geschehen und bis heute nicht abgeschlossen. Doch die Menschen wählen wieder anders. Er selbst habe 20 Jahre gegen die SED, PDS, PDS.Linke und Die Linke gekämpft. Er habe aber anerkennen müssen, dass sie demokratisch gewählt ist. Und zwar nicht nur von alten Kadern. Die Gründe? Einer könnte Reiche zufolge sein, dass sich die früheren Bürgerrechtler und Oppositionelle der DDR im neuen System nicht in die erste Reihe gestellt und dagegen gekämpft haben. Das Publikum murrte. Reiche teilte weiter aus: Die Diskussionen um die Wende und die Opfer würde keinen mehr interessieren, gemeinsam mit Ines Geipel sei er der jüngste in diesem Raum an diesem Abend. Das Publikum murrte mehr. Daraufhin bestätigte Reiche dem Linken Vietze, dass er sich auf den Weg gemacht habe, um die Vergangenheit aufzuarbeiten. Man müsse vergeben können wie im Evangelium beschrieben und einen verlorenen Sohn zurückholen.

Vietze selbst warb dafür, dass es auch andere Sichtweisen auf die DDR gibt als die der Opfer und der früheren Bundesbürger. Das müsse respektiert werden. Eine Verklärung wolle er nicht und fordert von den ehemaligen SED-Genossen, eine andere Einstellung gegenüber DDR- Opfern zu entwickeln, um sie zu verstehen. Er habe sich das erste Mal vor 20 Jahren für die Vergehen in der DDR entschuldigt. Sechs Wochen führte er die SED-Bezirksleitung, hat den Abrissstopp der barocken Innenstadt durchgesetzt und das SED-Bezirksorgan selbst aufgelöst. Heute sagt er, dass die Mittel aus dem DDR-Parteienvermögen, die jährlich ausgeschüttet werden, für die Opfer zur Verfügung stehen müssten. Für die Zuhörer blieb er Täter – und einige sagten, sie würden ihm gerne glauben, könnten es aufgrund der Vergangenheit aber nicht.

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