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 Auch in Potsdam gibt es eine ukrainische Gemeinschaft – die um ihr Land bangt. 

© AFP

Interview | Ukrainer in Potsdam: „Putin tritt wie ein Zar auf“

Der Ukrainer Mykhaylo Tkach lebt seit 20 Jahren in Potsdam. Mit Sorge schaut er auf seine Heimat – und darauf, was noch kommen kann.

Von Carsten Holm

Herr Tkach, Sie sind vor 83 Jahren in der Ukraine geboren, leben seit mehr als 20 Jahren hier und waren zwölf Jahre Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Potsdam. Wie erleben Sie, was jetzt geschieht?
Es ist eine sehr, sehr schwierige Lage für die Ukraine. Meine Frau und ich saßen am Sonntag vor dem Fernseher und haben am Abend mit großer Sorge die Nachrichten aus unserer Heimat verfolgt, abwechselnd im deutschen und im russischen Staatsfernsehen. Am Montag genauso. 

Der russische Präsident Wladimir Putin hat am Sonntag mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron telefoniert und mit ihm die Fortführung der Gespräche mit Vertretern Russlands und der Ukraine unter deutsch-französischer Moderation vereinbart. Am nächsten Tag hat er das alles einkassiert. Hat Sie das überrascht?
Nein. Wenn man Wladimir Putin zuhört, merkt man doch schnell: Was er sagt, besteht aus Lügen, Lügen und nochmals Lügen. Ich verstehe nicht, wie der Präsident eines so großen Landes so viel lügen kann. Kaum ein Wort von dem, was er sagt, beschreibt die Situation richtig. Und alle, die ihm zuhören, merken das doch. Er tritt wie ein Zar auf.

Mykhaylo Tkach (83), der ehemalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Potsdam.
Mykhaylo Tkach (83), der ehemalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Potsdam.

© Sebastian Gabsch 

Was glauben Sie: Was will Putin wirklich?
Es ist für mich klar, dass er Republiken der früheren Sowjetunion in die russische Föderation zurückholen will, damit Russland wieder eine Großmacht wird.

Wird er sich ihrer Einschätzung nach mit seiner Expansionspolitik auf die Separatistengebiete in Donezk und Luhansk beschränken oder will er die gesamte Ukraine zur Kriegsbeute machen?
Das können wir im Westen in Wahrheit nicht ahnen. Meine Frau und ich sind uns einig in dem Wunsch, dass Putin sein Militär stoppt. Er sagt, er wolle nur den Donbass unterstützen, aber ich glaube, dass der nur ein Spielzeug für seine aggressiven Pläne ist. Noch haben wir aber trotz der Eskalation im Osten unserer Heimat nicht aufgegeben.

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Manche Beobachter befürchten, dass Präsident Wladimir Putin auch zunehmend unberechenbar handelt, niemand weiß mehr, ob er Beratern gegenüber noch zugänglich ist.
Diese Befürchtungen habe ich auch. Es kann ja kaum jemand verstehen, was er will und was er tut. Ich frage mich, ob er ein wirklich gesunder Mensch ist. Entscheidungen, die er trifft, sind ja nicht nur im Verhältnis zur Ukraine und zu den westlichen Ländern irrational, auch den Russen selbst gegenüber.

Kann die Diplomatie noch Erfolg haben?
Das ist jetzt sehr schwierig. Mich freut, dass so viele Deutsche Mitgefühl mit unserer Lage in der Ukraine haben. Und ich habe Verständnis dafür, dass die Deutschen uns keine schweren Waffen liefern wollen, diese Position haben sie ja seit langem formuliert. Andererseits braucht die Ukraine eine starke Armee, Sanktionen sind jetzt nicht die richtige Waffe. Mir gefällt aber auch, dass Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ganz klare Positionen vertritt und sagt: was Putin will und macht, verstößt gegen die Prinzipien des Völkerrechts und der Menschlichkeit.

Über die Lage sprechen Sie wahrscheinlich oft mit Ihrer Frau.
Natürlich, auch mit meinem Sohn, der in Potsdam lebt, und meiner Tochter, die Frankfurt am Main wohnt.

In welcher Sprache sprechen Sie dann?
Auf Deutsch, Russisch und Ukrainisch.

Haben Sie denn auch noch Verwandte in Russland?
Ja, in Samara, der Industriestadt im Südosten des europäischen Teils von Russland. Wir telefonieren zwei, dreimal im Monat. Wir sind uns einig darin, wie labil die Lage ist, aber auch unsere Verwandten begreifen nicht, was noch passieren wird.

Das Gespräch führte Carsten Holm

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