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HILFE FÜR FLÜCHTLINGE IN POTSDAM: Ratatouille statt Schnitzel

Im Alten Krug in Marquardt geht der Herd nicht aus: Die Inhaber kochen jetzt auch für Flüchtlinge. Für das Küchenteam ist die Abwicklung dieses Großauftrags ein Lernprozess.

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Normalerweise werden hier für das Abendgeschäft Schweineschnitzel geklopft. Dieser Klassiker der deutschen Küche geht immer gut im Alten Krug in Marquardt. Seit Kurzem aber ist in der Küche alles anders, zumindest tagsüber. Dann wird hier das Essen für zwei Flüchtlingsheime zubereitet, täglich etwa 250 Portionen, und ausgeliefert. Und zwar entsprechend den Vorschriften des Islam. Was genau das ist, kann Christian Schulze, der zusammen mit seinem Mann Michael Schulze das Restaurant führt, auf Anhieb nicht sagen. Das Wichtigste sei jedenfalls, dass kein Schweinefleisch verwendet wird. Und das werde streng eingehalten. Die Schulzes haben eigens dafür ein Schild entwickelt, das an der Essenausgabe vor Ort angebracht wird und das man auch ohne Worte versteht: Ein Schwein in einem roten Kreis, durchgestrichen. „Wie ein Verkehrsschild“, sagt Michael Schulze. Und es funktioniert.

Alles begann eher hektisch mit einem Anruf 

Für die Inhaber und das Küchenteam ist die Abwicklung dieses Großauftrags noch immer ein Lernprozess, denn alles begann eher hektisch mit einem Anruf vom DRK im November. Ob sie nicht am nächsten Tag 1000 belegte Brötchen an eine Unterkunft nach Berlin liefern könnten. Konnten sie. Und so wurden sie gefragt, probeweise eine Woche die Neuangekommenen zu bekochen. Aus der einen Woche wurde ein ständiger Auftrag, 180 Menschen bekommen seitdem täglich drei Mahlzeiten aus Marquardt. Als kurz vor Weihnachten die ersten 70 Flüchtlinge den alten Landtag in Potsdam bezogen, bat sie der Träger, die Arbeiterwohlfahrt, auch für die Potsdamer das Catering zu übernehmen - als Übergangslösung,  bis die dort geplanten Küchen für die Selbstversorgung der Bewohner  funktionstüchtig sind. 

„Das war eine richtig stressige Zeit“, sagt Christian Schulze. „Im Haus kochten wir tagsüber für die Flüchtlinge, abends à la carte und zeitgleich fand im Schloss Marquardt das traditionelle Gänseessen statt. Ich stand in der mobilen Küche am Schloss und schob Gänse für 400 Leute“, sagt der Gastronom. Weihnachtsstimmung sei da nicht aufgekommen.

Die Inhaber sind überrascht, was sich aus der kleinen Küche heruasholen lässt

Trotzdem, bereut haben sie es nicht. Sie scheinen sogar ein bisschen überrascht, was sie aus der vergleichsweise kleinen Küche der Dorfgaststätte rausholen können. Ihre zwei Teilzeitmitarbeiter arbeiten nun voll, fünf weitere Leute haben sie eingestellt. Mittlerweile haben sie alles gut organisiert. „Wir sind immer einen halben Tag voraus“, sagt Christian Schulze. Abends wird das Frühstück vorbereitet und um 5 Uhr ins Auto geladen, auf dem Weg zu den Heimen werden frische Brötchen vom Bäcker Fahland, „einfache Brötchen zu 20 Cent“, abgeholt. Dann wird das Mittagessen gekocht, um 11 ausgeliefert, um 17 Uhr das kalte Abendbrot. Zwei neue Kühlschränke mussten her, um die vorgeschriebene Kühlkette einzuhalten, und ein neues Auto. Der alte Lieferwagen war nicht mehr zuverlässig. Reich werde man von so einem Auftrag aber sicher nicht, sagen die Inhaber. Von dem Tagessatz für die Verpflegung pro Person gehe die Hälfte allein für Personal und Transport drauf.

Sie besorgten sich landestypische Gewürze

Die vielleicht interessanteste Herausforderung ist das Kochen. „Wir haben anfangs viel im Internet recherchiert und syrische Rezepte gesucht“, sagt Michael Schulze. Sie besorgten sich landestypische Gewürze, Zaatar aus Thymian, Sesam und Sumak, und Ras el Hanout, ein Gewürz aus Marokko. Ein Mann aus Marquardt, der in einer arabischen Bäckerei arbeitet, bot ihnen Fladenbrot an. Schulzes lernten schnell, dass Kartoffeln nicht gut ankommen, Reis und Nudeln indes viel besser. Mittlerweile wird der Reis auch genau so serviert, wie man ihn in Syrien mag, „matschig und mit viel Butter“, sagt Christian Schulze. Dazu gibt es Geflügel, Rind, Fisch oder auch mal eine Schafskeule und viel Gemüse: aus Letscho mit Zucchini und Auberginen wird Ratatouille. Auch vegetarische Maultaschen gehen gut. Christian Schulze hatte sie eines Tages dabei und ließ sie verkosten. „Wenn einer dann sagt, die schmecken, dann essen alle anderen auch“, sagt er. Einen der Gasträume haben sie mittlerweile zum Lager umfunktioniert, für Einweggeschirr, kistenweise Tee und Zucker. Vor Weihnachten baten sie über Facebook um Geschenke für die Kinder, viele aus dem Dorf brachten daraufhin Spielzeug vorbei. Leider habe es auch unschöne Kommentare zum Thema Flüchtlinge gegeben. Christian und Michael Schulze lassen sich davon nicht beirren. „Wenn man deren Fluchtgeschichten hört und Kinder mit schlimmen Verletzungen sieht, das geht einem sehr nahe“, sagt Christian Schulze. Die Kinder liegen ihnen sehr am Herzen. Denen stecken sie gern extra Kleinigkeiten zu, mit Bildungsauftrag. „Sie wissen genau, Schokoriegel gibt’s nur, wenn sie auf Deutsch Danke sagen.“

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