zum Hauptinhalt
Perfektes Gewebe. Nibalis Physis erfreut den Dopingarzt Michele Ferrari.

© Reuters

Sport: Rätselhafter Hai

Vincenzo Nibali könnte die Tour gewinnen – auch um den Italiener ranken sich Doping-Gerüchte

Stand:

Saint-Etienne - Vincenzo Nibali ist der neue Tourtribun. Er trägt nicht nur das Gelbe Trikot seit nunmehr neun Tagen. Er verhält sich auch wie ein Souverän. Der Italiener legt fest, wann das Feld mal Fahrt herausnimmt, um gestürzten Kontrahenten – wie auf der zehnten Etappe Alberto Contador – das Aufschließen zu erleichtern. Seine Astana-Truppe bestimmt auch mit, wer überhaupt in eine Fluchtgruppe gehen kann. „Wenn zwei, drei Mann weg sind, die für die eigenen Ziele ungefährlich sind, machen Astana und die Sprintermannschaften das Feld dicht“, erläutert Martin Elmiger, Schweizer Meister und bereits Initiator mehrerer Fluchtgruppen bei dieser Tour. „Sie blockieren für ein, zwei Minuten die erste Reihe des Pelotons, so dass die kleine Gruppe weggehen kann. Gehört man nicht zu ihr, hat man für diesen Tag Pech gehabt.“

Die Autorität für solche Macht hat Nibali sich auf der Straße erobert. Er gehört zu den wenigen Profis, die mit jedem Gelände und bei jedem Wetter gut zurechtkommen – bergauf, bergab, auf Asphalt, Schotter oder Lehm, wenn es regnet, schneit oder auch die Sonne brennt. Diese Vielseitigkeit kann man nach Meinung von Nibalis Trainer Paolo Slongo nicht trainieren. „Einen Teil davon bekommst du von Mutter und Vater. Es liegt in den Genen. Die Fähigkeit, auf jedem Gelände anzugreifen, bildest du als junger Bursche im Alter von zwölf, dreizehn Jahren aus. Da lernst du, ohne Angst in die Kurven zu gehen. Sich das später anzueignen, fällt schwerer“, erklärt Slongo.

Wegen seiner Wendigkeit auf dem Rad und der Unempfindlichkeit gegenüber äußeren Umständen hat sich der im sizilianischen Messina geborene Nibali schon als junger Sportler den Kampfnamen „Hai von Messina“ verdient.

Zum Hai-Sein gehört auch ausgeprägtes Muskelgewebe. Denn dass Nibali nicht wie seine auf dem Papier größten Konkurrenten Chris Froome und Alberto Contador bereits die Heimreise nach Sturzverletzungen antreten musste, liegt nach Meinung eines Kenners des Metiers mit daran, dass er nicht so abgemagert ist wie diese. „Froome ist viel zu fragil und zu dünn. Er ist kein starker Fahrer für Etappenrennen“, schreibt der alte Doping-Guru Michele Ferrari in seinem Blog. Zu ausgedünntes Muskelgewebe bietet seiner Erfahrung nach zu wenig Dämpfung bei Stürzen. Knochen brechen schneller. Seinen Landsmann Nibali hält Ferrari für robuster.

Näher wollte sich Ferrari zum aktuellen Tour-de-France-Dominator nicht äußern. Schade eigentlich. Denn im Jahr 2009 sah ein Radsportfan Nibali in der Nähe von Ferraris Stützpunkt St. Moritz gemeinsam mit Sportlern trainieren, die definitiv zum Kader des „Dottore“ gehörten. Nibali überzog den Augenzeugen und auch den Journalisten einer römischen Tageszeitung, die davon schrieb, mit Unterlassungsklagen.

Laut der Zeugenaussage des Ex-Profis Leonardo Bertagnolli nahmen zahlreiche Profis des Liquigas-Rennstalls, dem Nibali damals angehörte, die Dienste von Ferrari in Anspruch. Bertagnolli nannte unter anderen den später wegen Unregelmäßigkeiten im Blutpass gesperrten Franco Pellizotti und den Tschechen Roman Kreutziger, dessen Blutpasswerte gegenwärtig von einem Dopingausschuss untersucht werden. Nibalis Name indes taucht in der Zeugenaussage, die auch zum Material des Usada-Verfahrens gegen Lance Armstrong gehört, nicht auf. Bertagnolli hebt darin Alexander Winokurow als besondere Vertrauensperson Ferraris hervor. Winokurow, selbst einmal wegen Blutdopings gesperrt, ist gegenwärtig General Manager von Nibalis Arbeitgeber Astana.

Die Nähe Ferraris zu Nibali bleibt Spekulation. Fakt ist, dass der „Hai von Messina“ sich bislang so geschickt durch alle Dopingverdachtsuntiefen des Metiers geschlängelt hat, dass an seiner Haut nichts haften blieb. Vielleicht ist sie sogar rein.

Beim Aufstieg zur Planche des Belles Filles am Montag war er trotz seines überlegen aussehenden Sieges 26 Sekunden langsamer als Etappensieger Froome vor zwei Jahren und auch 19 Sekunden langsamer als er selbst in jenem Jahr. An diesem Tag zumindest lieferte Nibali also keine neuen Verdachtsmomente. Tom Mustroph

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })