Landeshauptstadt: Realität statt Normalität
4. Benefiz-Gala der Aids-Hilfe Potsdam im Nikolaisaal
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4. Benefiz-Gala der Aids-Hilfe Potsdam im Nikolaisaal Von Sabine Schicketanz Zahlen klingen oft nach viel, sagen aber wenig. Doch das Zahlenwerk, das am Mittwochabend im Nikolaisaal ausgebreitet wurde, rückte die Realität in bedrohliche Nähe: 24 Menschen sind in Brandenburg bisher an Aids gestorben; 92 Aids-Kranke und 149 mit HI-Virus infizierte Menschen leben in diesem Bundesland; Ende 2002 waren 42 Millionen Menschen auf der Welt an Aids oder HIV erkrankt, drei Millionen von ihnen im Alter unter 15 Jahren; drei Millionen Menschen sind im vergangenen Jahr weltweit an Aids gestorben; zehn Menschen infizieren sich pro Minute auf der ganzen Welt mit Aids oder HIV; die Vereinten Nationen haben errechnet, dass in den nächsten 20 Jahren 68 Millionen Menschen an Aids sterben werden, wenn es keinen medizinischen Durchbruch bei der Behandlung der Immunschwächekrankheit gibt. Ins Gedächtnis gerufen wurden diese Zahlen den rund 200 Zuhörern bei der 4. Benefiz-Gala der Aids-Hilfe Potsdam im Nikolaisaal, weil sie mittlerweile zur Normalität geworden sind. Es habe, sagte Oberbürgermeister Jann Jakobs als Schirmherr der Gala, ein „Paradigmenwechsel“ stattgefunden. „Es gibt Anzeichen, dass die präventiven Maßnahmen weniger strikt gehandhabt werden.“ Klar ausgedrückt: Immer weniger Menschen, vor allem Jugendliche, sind sich beispielsweise bewusst, wie viel sie riskieren, wenn sie ungeschützt Sex haben. Aids sei normal geworden, „man riskiert nicht sein Leben“ sei die nunmehr gängige Meinung. „Wir müssen die Präventions-Botschaften aktualisieren“, sagte Jakobs. Die Zahl der an Aids erkrankten oder mit HIV infizierten Menschen steige auch in Brandenburg, so Sabine Kaschubowski von der Aids-Hilfe Potsdam. Dass an zweiter Stelle aller Betroffenen die Migranten stehen, sei eine neue Entwicklung. Deshalb stehe der Welt-Aids-Tag am 1. Dezember deutschlandweit unter dem Motto „Ausgrenzung abwehren“. Das Gesundheitssystem in Deutschland müsse sich den Migranten mehr öffnen, „sie müssen aufgeklärt werden, sie müssen rechtzeitig auf Aids getestet werden“. Der Aids-Prävention für Menschen einer fremden Kultur kamen auch die Einnahmen der Benefiz-Gala, die Aids-Hilfe und der Behindertensportverband Brandenburg e.V. gemeinsam mit den Potsdamer Neuesten Nachrichten und zahlreichen anderen Sponsoren organisiert hatten, zugute: Drei Viertel der Einnahmen des Abends, bei dem jeder Gast 10 Euro Eintrittsgeld spendete, gehen an das „HIV-Projekt Belize e.V.“ des Potsdamer Arztes Dr. Wolfgang Güthoff, ein Viertel an den Behindertensportverband. Güthoff hat vor fünf Jahren begonnen, sich im lateinamerikanischen Zwergenstaat Belize – gelegen neben Honduras – für die HIV-Prävention einzusetzen. „Seit zwei Jahren ist unsere Präventions- und Beratungsstelle dort eröffnet.“ Güthoff und seine Frau Karin, die fast das ganze Jahr in Belize arbeitet, bieten den Einheimischen kostenlose Aids-Tests und Beratung, auch in Schulen sorgen sie für Aufklärung. „Therapien können wir leider noch keine anbieten, sie sind zu teuer“, so Güthoff. Dafür will der Arzt, der in der Infektionsambulanz des Ernst von Bergmann-Klinikums rund 60 HIV- und Aids–Patienten betreut, im kommenden Jahr in Belize ein epidemiologisches Pilotprojekt starten, bei dem von März bis August 3000 Belizianer auf die Immunschwächekrankheit getestet werden. „Damit gewinnt man einen Überblick über die Lage im Land.“ 32 000 Euro soll das Projekt kosten, „dabei ist uns die Unterstützung der Aids-Hilfe mit dieser Gala eine große Hilfe“, so Güthoff. Dafür, dass die Gala erfolgreich stattfinden konnte, sorgten für allem die Künstler, die allesamt auf ihr Honorar verzichteten: Das Persius-Ensemble lieferte mit Musik von Johann Christian Bach die Einstimmung, eine A-Cappella-Darbietung des Songs „How deep is your Love“ der Potsdamer Band „The Clogs“ sorgte ebenso für viel Applaus wie der Auftritt von Sängerin Anke Lautenbach mit der Musical-Hymne „All that jazz“. Das Kleinmachnower „pitch pipe project“ – fünf junge, a-cappella singende Männer – brachte das Publikum mit humoristischen Vorträgen zum Thema Kühlschrank-Botanik, Stress-Halluzinationen und Knoblauch-Fahnen zum Lachen. Während die Tänzerinnen des Ballettstudios Erxleben für Abwechslung zwischendurch sorgten, blieb der Höhepunkt des Abends dem Duo „Malediva“ vorbehalten: Tetta Müller und Lo Malinke kombinierten Chanson und Comedy so überzeugend, dass die Nikolaisaal-Sitze vom Lachen der Zuhörer wackelten. Im Anschluss servierte das Team des Restaurants „Pacha Mama“ ein umfangreiches Büfett-Menü. Es war ein gelungener Abend im Kampf gegen das, was hinter dem anfangs aufgeführten Zahlenwerk steckt – und ein Auftakt für die Aids-Präventivwoche, die seit gestern und bis zum Mittwoch in der UCI-Kinowelt in den Bahnhofspassagen stattfindet.
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