Von Erhart Hohenstein: „Rechte, Privilegia und andere Wolthaten“
Wie in Potsdam der 325. Jahrestag des Toleranzediktes gefeiert werden soll
Stand:
Als vielleicht wichtigstes stadthistorisches Dokument, das europaweit wirkte, wurde durch den Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm am 29. Oktober 1685 – also vor 325 Jahren – das Edikt von Potsdam erlassen. In diesem „Chur-Brandenburgischen Edict“ gewährte „Se. Churf. Durchl. zu Brandenburg denen Evangelich-Reformirten Franszösischer Nation so sich in Ihren Landen niederlassen“ besondere „Rechte / Privilegia und andere Wolthaten “ Er bot den in Frankreich wegen ihres protestantischen Glaubens verfolgten Hugenotten freie und sichere Niederlassung in Brandenburg an, Befreiung von Steuern und Zöllen, Subventionen für Wirtschaftsunternehmen und Bezahlung der Pfarrer durch den Staat.
Etwa 20 000 Menschen, zu großen Teilen beruflich hochqualifiziert, folgten diesem Angebot. Ihre Ansiedlung trug wesentlich dazu bei, die Wirtschaft des im Dreißigjährigen Krieg zerstörten Landes zu beleben und legte so einen Grundstein für den Aufstieg Brandenburg-Preußens. Sie stärkte gegenüber den Lutheranern den Anteil der Einwohner reformierten Glaubens, dem das brandenburgische Herrscherhaus anhing.
Am 10. Januar 1686 wurden die ersten französischen Glaubensflüchtlinge (Réfugiés) vom Großen Kurfürsten in Potsdam empfangen, doch nur wenige blieben in der Stadt. Die meisten zogen in andere Landesteile weiter. Erst ab 1719 ließ König Friedrich Wilhelm I. mit der ersten Stadterweiterung östlich des Platzes der Einheit ein Französisches Quartier von etwa 50 Häusern bauen. Am 21. Juli 1723 folgte die Gründung einer Französisch-Reformierten Gemeinde. Die Französische Kolonie bildete ein eigenständiges politisches, kirchliches und kulturelles Gemeinwesen innerhalb Potsdams, mit eigenem Richter und Polizisten und eigener Kirchengemeinde. König Friedrich II. ließ für sie 1752/53 nach Entwürfen von Knobelsdorff die Französische Kirche erbauen. Die Existenz der Gemeinde wurde mehrfach in Frage gestellt, sie behauptete aber auch über Nationalsozialismus und DDR-Zeit hinweg ihre Eigenständigkeit und verzeichnet seit den 1980er Jahren wieder einen Zuwachs.
Die Französische Gemeinde wird am 29. Oktober, dem Jubiläumstag des Edikts, und dem folgenden Wochenende ihre Kirche in Potsdam geschlossen halten. Das Réfugé-Fest will sie, wie schon in den Vorjahren in Berlin, mit der dortigen Gemeinde feiern. „Das Jubiläum hätte Anlass geboten, das Fest diesmal in Potsdam zu begehen“, meint dazu Hans-Peter Warnecke, der Vorsitzende von Agaphi. Der Innenstadtverein hat bereits im Mai ein Konzept vorgelegt, um das Jubiläum im Straßenraum öffentlichkeitswirksam zu machen. Dazu soll die von der Schützengilde Fehrbellin gestellte Schlosswache des Großen Kurfürsten aufziehen, nach einem musikalischen Auftakt des Fanfarenzuges ein Herold Auszüge aus dem Edikt verlesen, dessen kompletter Text dann als Nachdruck verteilt wird.
Den Vorplatz der Französischen Kirche als Veranstaltungsort kann der Verein wegen der Bauarbeiten am Klinikum schon mal streichen. Der Platz an der Nikolaikirche kommt ebenfalls nicht in Frage, denn dort wird man nach Auskunft von Pfarrerin Susanne Weichenhan nicht auf das Jubiläum eingehen. Nun hofft Warnecke auf Ursula Löbel, die die Vorschläge wohlwollend aufgenommen habe. Die Leiterin der Potsdamer Sicherheitskonferenz koordiniert die Vorbereitungen auf das 3. Potsdamer „Fest der Toleranz“, das am 30. Oktober ab 13 Uhr am Schlaatz stattfindet. Veranstaltet wird es vom Netzwerk „Potsdam bekennt Farbe“ mit dem 80-köpfigen Verein Neues Toleranzedikt. Dieses Fest, das in den letzten beiden Jahren jeweils im September am Brandenburger Tor einen Gegenpol zu rechtsradikalen Kundgebungen setzte, wurde nun bewusst in Datumsnähe des Ediktes von Potsdam gerückt, sagt Vereinssprecher Daniel Wetzel. Zudem findet es am Schlaatz statt, wo ein hoher Anteil an Einwanderern wohnt.
Das der Begegnung zwischen eingesessenen und zugewanderten Potsdamern dienende Fest biete allerdings nicht die Möglichkeit, die Schützengilde aufmarschieren zu lassen, meint Wetzel: „Keine Uniformen.“ Doch Agaphi hält an seinem Vorhaben fest. Falls die bisherigen Überlegungen nicht zum Erfolg führen, plant der Verein einen Alleingang. Stadtwache, Fanfarenzug und Herold wollen dann am Filmmuseum aufziehen – als Marstall früher dem Stadtschloss zugeordnet, in dem das Edikt verkündet wurde. Termin soll der 29. Oktober, Beginn 18 Uhr sein.
Erhart Hohenstein
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