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Landeshauptstadt: Rechtliche Lücken behindern Inklusion in Brandenburg Wer auf Lehramt Gymnasium und Sonderpädagogik studiert hat, ist gefragt – aber überqualifiziert

Frank Pagenkopf hat Fächer studiert, wonach derzeit Schulleiter bundesweit händeringend suchen: Lehramt Physik für Gymnasium und zusätzlich Sonderpädagogik. Schließlich sei das die Zukunft, meint der 27-Jährige: „Ich möchte das, was in der Praxis nötig ist, auch unterrichten.

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Frank Pagenkopf hat Fächer studiert, wonach derzeit Schulleiter bundesweit händeringend suchen: Lehramt Physik für Gymnasium und zusätzlich Sonderpädagogik. Schließlich sei das die Zukunft, meint der 27-Jährige: „Ich möchte das, was in der Praxis nötig ist, auch unterrichten.“ Mit seiner fachlichen Kompetenz könne er die Lücke schließen, um auch Schüler mit Förderbedarf in einer Gesamtschule adäquat zu unterrichten, sagt Pagenkopf.

Zurzeit absolviert Pagenkopf sein Referendariat an zwei Schulen, der Voltaire-Schule und der Oberlinschule in Babelsberg. „Allein dafür musste ich ein Jahr kämpfen“, sagt der Potsdamer. Sein erstes Staatsexamen in Sonderpädagogik hat das Land bis heute nicht anerkannt, obwohl das Landesinstitut für Lehrerbildung ihn selbst geprüft hat. Er sei überqualifiziert, habe man ihm gesagt, so Pagenkopf. So ließ er sein Examen in Bremen anerkennen, um dann in Brandenburg sein Referendariat beginnen zu können. Denn hierzulande ist solch eine Doppellaufbahn beamtenrechtlich nicht vorgesehen. Mit Ende seines Referendariats ist sie denn auch zu Ende. Dann muss sich Pagenkopf entscheiden – entweder unterrichtet er als Physiklehrer oder als Sonderpädagoge. Beides zusammen an einer Gesamtschule, so wie es sein beruflicher Traum wäre, geht nicht.

Die Inklusion, der gemeinsame Unterricht von Schülern mit und ohne Behinderungen, ist das Vorzeigeprojekt in der Amtszeit von Bildungsministerin Martina Münch. Doch bislang konzentrierte sich das Ministerium vorranig auf Regelungenund Maßnahmen für Grundschulen; weiterführende Schulen werden später bedacht. „Dabei müssten wir als Gesamtschule seit Jahren Kinder mit Förderbedarf aufnehmen“, sagt Karen Pölk, Schulleiterin der Voltaire-Schule. Um ihren Referendar Frank Pagenkopf nach Ende der Ausbildung gleichzeitig als Sonderpädagogen und Physiklehrer zu beschäftigen, gibt es bislang keine rechtliche Regelung.

Diese ist vorerst auch nicht in Sicht: Zwar verweist Ministeriumssprecher Stephan Breiding auf das neue Lehrerbildungsgesetz. Wenn das in Kraft tritt, werden auch Abschlüsse wie sie Pagenkopf erworben hat, anerkannt und eine Anstellung ist möglich. Allerdings erst für Lehramtskandidaten, die ihr Referendariat frühestens 2019 beginnen. „Es ist leider so, wie es ist“, sagt Breiding, „die rechtlichen Bestimmungen sind noch nicht so weit.“ Dabei sieht auch das Ministerium den Bedarf nach Lehrkräften wie Pagenkopf: „Im Grunde brauchen wir solche Leute, die über den Tellerrand hinausschauen. Herr Pagenkopf ist da Vorreiter“, sagt Breiding. Solche Fachkräfte seien „absolut wünschenswert mit Blick auf die zunehmend heterogene Schülerschaft“.

In anderen Bundesländern hat man diese Lücke schon geschlossen: Nordrhein-Westfalen bildet selbst zum Studienrat mit sonderpädagogischem Schwerpunkt aus und auch Bremen bietet einen doppelqualifizierenden Studiengang an. Für den Potsdamer Referendar Pagenkopf ist denn auch klar: Sollte das Ministerium für seinen Fall keine Lösung finden, um ihn als Gymnasiallehrer und Sonderpädagoge einzustellen, werde er nicht etwa vor dem Verwaltungsgericht klagen, sondern schlichtweg das Land verlassen. Ein Angebot aus Hamburg liege ihm bereits vor.

Inzwischen hat sich die CDU-Fraktion im Potsdamer Landtag des Falls angenommen: Der bildungspolitische Sprecher Gordon Hoffmann will eine Kleine Anfrage bei der Regierung stellen. Ob es nicht sinnvoll wäre, solche Einstellungshindernisse zu beseitigen, fragt Hoffmann: „Im Prinzip ist das doch ein Schildbürgerstreich“, wettert der CDU-Politiker. „Das kann man keinem erklären: Der Ast, auf dem man sitzt, wird abgesägt.“ Hoffmann hatte bereits vor einigen Monaten im Bildungsausschuss die rot-rote Landesregierung auf rechtliche Lücken bei der Einstellung von Lehrern aufmerksam gemacht. Geschehen sei nichts, so Hoffmann. „Das ist frustrierend und ärgerlich.“ Das Ministerium verweist im Fall Pagenkopf wiederum auf fehlende Vorgaben durch die Kultusministerkonferenz.

Doch für Dagmar Graefe vom Brandenburger Pädagogenverband sind viele rechtliche Lücken hausgemacht: „Es gibt diverse Fälle, bei denen es zu Problemen der beamtenrechtlichen Laufbahn kommt. Da ist ganz viel nicht geregelt.“ Noch immer würden auch Ausbildungen anderer Bundesländer zum Fachlehrer nicht anerkannt, solche Lehrer könnten dann hier nicht verbeamtet werden. „Die sind in der Besoldungsordnung schlicht vergessen worden“, sagt Graefe. Zahlen darüber, wie viele solcher Fälle es gibt, hat das Ministerium nicht erfasst. Laut Graefe müsste das Land aber schnellstmöglich Regelungen finden, um Lehrer zu werben – oder um die eigenen nicht zu verlieren.

Grit Weirauch

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