Landeshauptstadt: Refugium für die Ohrlöffel-Lichtnelke
Im Neuen Garten wachsen Gräser und Wildblumen, die es sonst so gut wie nirgends mehr gibt. Mit den Samen soll nun ein ehemaliges Gewerbergebiet renaturiert werden
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"Sehen sie hier!", sagt Christina Grätz und zeigt auf eine unscheinbare Pflanze mit blassen Blüten. "Eine Ohrlöffel-Lichtnelke - die ist sehr selten in Brandenburg und in Potsdam findet man sie nur noch nur noch im Neuen Garten." Die Diplom-Biologin der Lausitzer Renaturierungs-Firma Nagola Re GmbH kümmert sich zusammen mit der Bauern AG Neißetal darum, die zahlreichen seltenen Gräser und Wildblumen des Neuen Gartens auch andernorts zum Blühen zu bringen: Von Donnerstag bis Freitag mähen die Renaturierungs-Experten vier Wiesen von insgesamt drei Hektar Größe und bringen das Mahdgut anschließend auf den Brachflächen nördlich des Werderschen Damms aus, damit dort in Zukunft ein ähnliches Biotop entstehen kann.
Der Neue Garten ist ein wahres Paradies für in Deutschland und Brandenburg gefährdete Arten: Grasnelken, Sandfingerkraut, Liegender Ehrenpreis, Seggen-Gräser, Goldhafer - wer Grätz ein paar Minuten über die Park-Wiese begleitet, traut sich bald kaum noch, irgendwo hinzutreten, denn überall sprießen Kostbarkeiten. "Genau aus diesem Grund ist es nicht erlaubt, die Wiesen zu betreten", sagt Stephan Giese, Gartenmeister im Neuen Garten. Die Grünflächen hier sind eben keine profanen Grasteppiche, sondern üppige Trockenrasenbiotope. In ihnen schlummern viele Arten, die so nur in dieser Region beheimatet sind, sagt Grätz: "Ein Botaniker aus Westdeutschland würde hier andächtig niederknien."
Gestartet wurde das Umwelt-Projekt bereits 2011, im ersten Jahr finanziert von der Stadt Potsdam, 2013 von der Landesumweltbehörde. Es ist das erste Mal, dass die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG) Flächen für eine solche Maßnahme zum Erhalt der Artenvielfalt zur Verfügung stellt. Die Initiative dazu kam von der Unteren Naturschutzbehörde (UNB) der Stadt Potsdam, welche einen halben Hektar der ehemaligen Gewerbegebietsfläche am Werderschen Damm renaturieren möchte; der Rest des knapp zehn Hektar großen Geländes soll laut Claudia Walter von der UNB wieder zuwachsen. Die Renaturierung des kleinen Teilstücks dient als sogenannte Ausgleichsmaßnahme für diverse Naturflächen in der Stadt, die durch Neubebauungen verloren gegangen sind.
Da Letzteres in Parks so gut wie nie geschieht, können Pflanzen hier ungestört wachsen: "Solche Wiesen wie diese findet man kaum noch", sagt Grätz leicht wehmütig über den Neuen Garten, "denn in den letzten Jahren ist auf allen Grünflächen der Nutzungsdruck erhöht worden, etwa für die Landwirtschaft." Dort hingegen kann die Biologin auf nur wenigen Metern Wiesenfläche etliche seltene Wildblumen- und Kräuter identifizieren: "Das ist wilder Feld-Thymian, riechen sie mal", sagt Grätz und hält eine kleine Blume mit pinken Blüten hoch, die beim Zerreiben der Blätter ein intensives Aroma verströmt.
Ein gutes Stück der vier Wiesen ist bereits gemäht, als Nächstes wird die Fläche rund um die Pyramide "abgeerntet": Geräuschvoll tuckert einer von Grätz' vier Mitarbeitern mit einem sogenannten Saugmulchgerät über die Wiese, welches die Pflanzen samt aller Samen nach dem Schneiden einsaugt; dieses fruchtbare Mahdgut wird nachher als dünne Mulchdecke auf die Brachfläche aufgetragen. "Sie schützt die jungen Keimlinge und verhindert Bodenerosion durch Wind und Wasser", sagt Grätz.
Manche Parkbesucher hätten sich in den vergangenen Wochen bereits gewundert, warum die augenscheinlich verdorrten Wiesen noch nicht gemäht wurden, sagt SPSG-Sprecher Ulrich Henze: "Doch dies ist notwendig, um den Wildblumen eine optimale Vermehrung zu ermöglichen. Die Mitarbeiter der Schlösserstiftung achten sehr darauf, dass die Samen zum Mahdzeitpunkt gut ausgereift sind, damit sie sich beim Mähvorgang selbstständig verbreiten können." Nachdem 2011 erstmals das Mahdgut am Werderschen Damm ausgebracht worden war, wurden die Ergebnisse von Nagola Re wissenschaftlich überprüft – mit erfreulichen Ergebnissen: Bereits nach einem Jahr konnten verschiedene seltene Gräser und Wildblumen nachgewiesen werden, wie sie in den Trockenrasenbiotopen des Neuen Gartens vorkommen. "Und sie haben sogar schon geblüht!", freut sich Grätz.
Nachdem der bestandenen Erfolgskontrolle konnte 2013 nun die zweite Magd erfolgen; es wäre ohnehin nicht möglich gewesen, 2012 schon den nächsten Mäheinsatz durchzuführen: "Wir können ja nicht jedes Jahr die Samenausbeute der Wiesen abschöpfen, die Pflanzen müssen sich erst mal erholen", erläutert Grätz. Das Gelingen des Projekts überzeugte auch die Schlösserstiftung: Statt 1,5 Hektar können nun drei Hektar "beackert" werden. "Wir mussten uns das Vertrauen der Stiftung erst erarbeiten", sagt Grätz. Immerhin waren die beiden Lausitzer Unternehmen bislang vor allem auf die Renaturierung von alten Tagebauen spezialisiert, von denen Grätz und ihre Helfer laut eigener Aussage jährlich 20 bis 30 Hektar in einen natürlichen Zustand versetzen. "Wir wenden hier im Prinzip die gleichen Methoden an, nur etwas kleiner", so Grätz. Für Mammutaufgaben wie in der Lausitz setzten die Renaturier sonst Traktoren und andere Großtechnik ein. "Das ging hier natürlich nicht", so Grätz, "deshalb machen wir es mit Handarbeit und kleinem Gerät."
Nach den ersten Erfolgen scheint auch die SPGS auf den Geschmack gekommen zu sein: Laut Stephan Giese wurde 2012 erstmals innerhalb der Potsdamer Parks eine ähnliche Übertragung von Samenreichen Mahdgut vorgenommen, nämlich vom Neuen Palais auf den Ruinenberg. Auch für das Projekt am Werderschen Damm wolle die Schlösserstiftung ihre Wiesenflächen im Neuen Garten in den nächsten Jahren weiter zur Verfügung stellen, so Giese. Nach Grätz' Schätzung sind noch etwa vier Jahre nötig, um den halben Hektar völlig zu renaturieren, denn: "Man muss sechsmal so viel Fläche mähen wie das Gebiet, wo man das Mahdgut ausbringen will."
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