Von Kay Grimmer: „Riwwemdaddel“ im Trockenraum
Bürger Lars Dietrich berichtet über seine Kindheit in Potsdam und seine ersten Schritte als Rapper
Stand:
„Eissede Hip-Hop, you dum Stopp, tude riwwemdaddel make your body wapp.“ Alles klar? Zumindest zwei Sachen: Mit etwas lautmalerischer Phantasie wird klar, dass Bürger Lars Dietrich einst, 1985 in einem Trockenraum am Patrizierweg am Stern den Rap-Klassiker „Rappers Delight“ von der Sugarhill Gang zum Besten gegeben. Zum anderen lügt Dietrich nicht wirklich, wenn der gebürtige Potsdamer sein Buch „Schlecht Englisch kann ich gut“ betitelt.
Es sind nicht nur Dietrichs Kindheitserinnerungen, die der 37-jährige Moderator, Schauspieler, Comedian, Musiker und nun also auch Buchautor, auf den knapp 240 Seiten schildert. Für all jene, die zwischen 1970 und 1980 in Potsdam geboren und aufgewachsen sind, ist es niedergeschriebene Heimat. Zumindest, wenn man die Dietrich’schen Kindheitsecken zwischen Polytechnischer Oberschule „Herbert Ritter“ in der Flotowstraße, „Arbeiterschließfach“-Plattenbau im Patrizierweg und der Wohngebietsgaststätte „Orion“ am Johannes-Kepler-Platz kennt. Ja, der Autor dieses Beitrags bekennt: diese Orte gehörten auch zum eigenen Kindheits-Universum.
Allerdings gibt Bürger Lars Dietrich mit seinem Buch auch einen echt authentischen Blick in die Endjahre der DDR – und zeigt, wie man als Kind und Jugendlicher in diesem Land aufwuchs: zwischen Thälmann und Westfernsehen, zwischen dem Stolz über gesammelte Coca- Cola-Dosen und dem ersten eigenen tragbaren DDR-„Ghettoblaster“, zwischen dem Aufsagen von auswendiggelernten Parolen und Losungen und der Freude über die Aufnahme an der Staatlichen Palucca-Ballettschule.
Lars Dietrich, 1973 zur Welt gekommen, beschreibt seine Kindheit und Jugend in Potsdam bis er die Stadt verlässt, um an der Gret-Palucca-Schule in Dresden zum Tänzer ausgebildet zu werden. Dabei schafft es der einstige Klassenclown und heutige TV-Komiker Dietrich in seinem Buch ohne künstlich angestrengte Regime- Kritik oder aufgesetzten Freiheitsdrang auszukommen, und trotzdem zu beschreiben, dass es für einen angehenden Breakdancer zu eng in der DDR der 80er Jahre war. Fast lapidar, aber doch sehr anschaulich werden die Schwierigkeiten klar: seine vom polizeilichen Abschnittsbevollmächtigten beargwöhnte Rap-Leidenschaft, die Nöte, über benachbarte Rentnerinnen, die nach West-Berlin reisen durften, an die ersehnten Hip-Hop-Schallplatten zu gelangen und die ersten Auftritte als Mitglied der Breakdance-Gruppe „PDM Teenie Rapper“ werden eingebettet in glaubhafte Geschichten. Dabei scheut sich Dietrich nicht, sich selbst durch den Kakao zu ziehen – wie bei seinen Erinnerungen zu den ersten öffentlichen Breakdance-Einlagen auf der damaligen Klement-Gottwald-Straße, der heutigen Brandenburger Straße. Dort stellte sich Dietrich mit seinen Tanz-Kumpels auf, um wie seine großen Originale live zu breakdancen – und Ruhm einzuheimsen. Den allerdings holten sich Schüler einer französischen Austauschgruppe, die die Breakdance-Novizen aus der DDR spielend überboten mit ihren Styles und Moves. Dass es anschließend auch noch Ärger mit der Polizei gab wegen der öffentlichen, aber eben auch nicht angemeldeten Aufführung, dürfte nicht verwundern.
Dietrich schafft es mit der Beschreibung von solchen kleinen Episoden oder Erinnerungen wie an ein Aufeinandertreffen mit Neonazis – die es auch in Potsdam gab – zu verdeutlichen, wie merkwürdig und brüchig das Bild des in DDR propagierten absoluten Sozialismus’ war. Er schildert, wie jede Familie mit Kreativität den immer wieder anstrengenden Alltag gestaltete, um ohne anzuecken, Annehmlichkeiten zu erhalten, die von der Staatsführung nicht erwünscht waren.
Es ist ein persönliches Werk – womöglich viel zu weich für (meist ältere) Regime-Kritiker. Doch Bürger Lars Dietrich schafft es, nachvollziehbare DDR-Kindes- und Jugendemotionen zu formulieren.
Bürger Lars Dietrich liest am morgigen Freitag, dem 15. Oktober, 20 Uhr, im Lindenpark, Stahnsdorfer Straße 76 aus seinem Buch „Schlecht Englisch kann ich gut“. Die Karten kosten an der Abendkasse 17 Euro.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: