
© A. Klaer
Gedenken an Tag der Befreiung: Rote Rosen, rote Nelken
Am Montag wurde in Potsdam an den Tag der Befreiung vor 72 Jahren erinnert. An der Gedenkveranstaltung am Ehrenfriedhof am Bassinplatz nahmen auch diplomatische Gäste teil.
Stand:
Roten Rosen, rote Nelken und Blumenkränze für die im Kampf um Potsdam 1945 gefallenen Sowjetsoldaten: Rund 200 Potsdamer, darunter Stadt- und Landespolitiker und Vertreter der jüdischen Gemeinden, gedachten am gestrigen Montag am Ehrenfriedhof auf dem Bassinplatz des 72. Jahrestags der Befreiung vom Nationalsozialismus und des Endes des Zweiten Weltkrieges. Mit dabei waren neben Generaloberst Alexej Mitjuchin, dem früheren Oberbefehlshaber der in Deutschland stationierten Truppen, auch diplomatische Gäste aus drei Ländern: der weißrussische Botschafter Denis Sidorenko sowie Vertreter der ukrainischen und der russischen Botschaft. Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) ging in seiner Rede auf die Vielschichtigkeit ein, die das Gedenken und die Erinnerung an den 8. Mai 1945 prägt – beziehungsweise den 9. Mai, denn in der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten wird dieser als Tag des Sieges begangen, weil bei der Unterschrift unter die deutsche Kapitulationserklärung nach Moskauer Zeit bereits der nächste Tag angebrochen war.
Naziherrschaft bis zuletzt mitgetragen
Dass man in Deutschland zunächst lange von „Niederlage“ anstelle Befreiung sprach, gehöre zu der vielschichtigen Wahrheit über diesen Tag hinzu, so Jakobs. Dass nämlich breite Teile der deutschen Bevölkerung das nationalsozialistische Regime, den von ihm verantworteten Holocaust an den europäischen Juden und den von ihm ausgegangenen Weltkrieg, bei dem Millionen von Menschen starben und unzählige Städte in ganz Europa in Schutt und Asche gelegt worden, bis zuletzt mitgetragen und sich so auch mitschuldig gemacht hatten. „Der 8., 9. Mai fordert uns auf, über Schuld und Verantwortung nachzudenken.“
Das Gedenken an die Millionen Kriegstoten müsse „im historischen Bewusstsein der Menschheit eingeprägt und lebendig bleiben“, forderte Denis Mikerin, der erste Sekretär der russischen Botschaft in Berlin. Die gemeinsame Erinnerung dürfe nicht „konjunkturpolitischen Stimmungssschwankungen“ zum Opfer fallen – ein Verweis auf die seit dem Ukraine-Konflikt frostigen Beziehungen zwischen Russland und dem Westen. Bis 2005 seien bei den Gedenktagen in Potsdam noch Kriegsveteranen dabei gewesen, erinnerte die Potsdamerin Svetlana Schukowa, die Witwe eines solchen Kriegsveteranen: „Es gibt sie nicht mehr.“ Alice Keiler, die vor 23 Jahren aus Usbekistan nach Potsdam kam und heute hier die Kunstschule Integrazia leitet, bedauerte, dass der 8. Mai kein Feiertag ist, sodass auch Arbeitnehmer oder Schüler am Gedenken teilnehmen könnten. Sie dankte den Potsdamern für das anhaltende Engagement gegen rechts, etwa gegen die „Pogida“-Demonstrationen: „Ich bin stolz auf unsere Stadt.“
Dank für gute Pflege der Soldatenfriedhöfe
Generaloberst Alexej Mitjuchin, der momentan bei einer Deutschlandreise unter anderem sowjetische Soldatenfriedhöfe besichtigt, dankte wiederum der Stadtverwaltung für die gute Pflege dieser Orte – in Potsdam gibt es neben dem Ehrenfriedhof auf dem Bassinplatz, wo 383 sowjetische Armeeangehörige beerdigt sind, auch noch den Sowjetischen Friedhof an der Michendorfer Chaussee, auf dem 2 398 sowjetische Kriegstote und weitere 2829 danach gestorbene Offiziere, Soldaten, Zivilangestellte der Armee und deren Angehörige ihre letzte Ruhe gefunden haben. Die deutschen Kriegsgräber in Wolgograd seien in ebenso gutem Zustand, betonte er.
Zu einer Art tätigem Gedenken an Opfer des NS-Regimes hatten unterdessen Mitglieder der SPD-Ortsverbände Mitte/Nord und Babelsberg aufgerufen. Sie wollten im Laufe des Montags alle in Potsdam verlegten „Stolpersteine“ putzen. Die pflastersteingroßen Gedenktafeln erinnern in ganz Europa an Menschen, die unter dem NS-Regime ermordet wurden – verlegt werden sie jeweils im Gehweg vor der letzten noch frei gewählten Wohnadresse der Toten. Erst im März hatte der Kölner Künstler Gunter Demnig, der das Stolperstein-Projekt startete, den 30. Stein in Potsdam verlegt – für den Juristen Gustav Herzfeld in Bornstedt.
„Es geht uns nicht nur um Straßendreck, sondern auch um Gedankenschmutz“, sagte die Potsdamer SPD-Chefin Ulrike Häfner zum Auftakt am Platz der Einheit 2, wo ein Stolperstein an den Oberkantor der Potsdamer Synagoge, Samuel Guttmann, erinnert. Das Vergessen und Verklären des NS-Regimes gewinne zunehmend Aktualität. Darüber drohten die Opfer des Faschismus in Vergessenheit zu geraten, so Häfner. Es sei aber wichtig, an sie zu erinnern und darüber zu reflektieren, „was das für das Hier und Jetzt bedeutet“.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: